Ebenso hängen von der Decke lange, teilweise leicht verrostete Haken herunter, wie in einem Schlachthaus. Es scheint sich auch wirklich, um ein solches zu handeln, da man die Stimme eines Mannes hört, der etwas erklärt.
„…das Geheimnis ist, dass man mit einem Schlag auf den Kopf das Gehirn ausschaltet, danach muss man das Schlachtgut mit den Füßen nach oben aufhängen. Als nächstes durchtrennt man mit einem kräftigen scharfen Messer die Halsschlagader. Am besten schneidet man bis auf den Knochen, dann ist man sich sicher, dass man nicht zu zaghaft war, sonst dauert alles zu lange. Das Blut lässt man herauslaufen und fängt es auf, man will doch nichts vergeuden, oder? Hat man den letzten Tropfen aufgefangen, weitet man den Torso und muss aufpassen, dass das Fleisch nicht mit Kot verunreinigt wird, sonst kann man alles wegschmeißen. Es gibt doch nichts Besseres wie seine Wurst und Pasteten selbst herzustellen, da kann man alles so würzen wie es einem beliebt. Heute habe ich allerdings etwas anderes vor. Nach dem Ausbluten ziehe ich erst die Haut ab. Ach ja, gibt es noch Fragen?“ erkundigt sich die Stimme des Fleischers. Für die Hygiene trägt er eine lange Schürze und Handschuhe. In der einen Hand hält er einen Knüppel und mit der anderen entfernt er den Knebel des an den Füßen herunterbaumelnden Mannes.
„Nein! Nicht! Lassen Sie mich gehen! Ich will hier raus! Ich zahle Ihnen alles was Sie wollen, aber lassen Sie mich gehen…“, fängt dieser gleich lauthals zu schreien an. Er fleht um Erbarmen! Das Entsetzen spricht aus seinem Gesicht, verzweifelt windet er sich, aber er bekommt die Hände, die hinter seinem Rücken gefesselt sind, nicht frei. Immer wieder flackert das Licht, und seine Schreie durchdringen nicht die dicken Mauern. Es hört ihn keiner, da er mit diesem Verrückten alleine ist. Er versucht sich, mit aller Kraft zu befreien, aber je mehr er es versucht, umso fester ziehen sich seine Fesseln zusammen.
Die Schmerzen die er dabei spürt sind nebensächlich, er muss es schaffen sich zu befreien, sonst hat sein letztes Stündchen geschlagen, aber es gelingt ihm nicht. Der Mann mit dem Knüppel in der Hand geht auf ihn zu und bemerkt noch: „Nur zu, schrei dir die Seele aus dem Leib, für die habe ich keine Verwendung, mir reicht dein Fleisch!“ Mit diesen Worten holt er aus und…
„Oh mein Gott, das müsst ihr probieren, diese Leberpastete schmeckt so gut. Ich kann nicht genug davon bekommen. Auch wenn es eine Sünde ist, weiter zu essen, obwohl man schon satt ist, ich kann einfach nicht aufhören. Dieser Geschmack ist einzigartig, so etwas habe ich noch nie gegessen. Ich wüsste zu gern, was das Geheimnis dieser leckeren Pastete ist?“ schwärmt der gute Pastor Koch, als er bei Jean und Marie Roussou, die heute beide frei haben, zum Mittagessen vorbeikommt. Er hat unterwegs extra etwas aus einer der Charcuteries, eine der edel eingerichteten Metzgereien, in denen es auch Aufschnittwurst, Schinken oder kalten Braten gibt, mitgebracht. Dazu gibt es natürlich ofenfrisches Baguette und etwas Käse.
„Die haben doch alle ihre Geheimrezepte. In der Regel kommt es auf die Qualität des Fleisches und der Gewürze an. Ich muss dir aber zustimmen Richard, diese Pastete schmeckt außergewöhnlich gut, die musst du auch probieren Jean.“ Jean ist immer noch nicht glücklich, dass seine Schwester mit dem Pastor zusammen ist, er verflucht jetzt schon den Tag, an dem ihn seine Schwester in die Kolonien verlässt. Er darf aber nicht so miesepeterisch sein, sonst vergrault er alle noch schneller als er denkt.
Leider muss er zugeben, dass das Essen, welches der Pastor mitgebracht hat, wirklich einmalig schmeckt. Wenn es etwas gibt, mit dem sich der Pastor auskennt, dann mit Essen. „Haben sie dir gesagt, aus welchem Tier die leckere Pastete ist, Richard?“ will Marie von ihrem Pastor wissen. „Ich habe gefragt, aber die haben ein großes Geheimnis daraus gemacht. Sie sagten, dass die Auswahl der Fleischsorten gerade den Geschmack ausmacht. Es soll aber alles aus der Region stammen, alles aus Paris. Dieser Metzger ist ein wahrer Künstler, wozu braucht man den Louvre oder die Galerien, wahre Kunstwerke findet man in den Metzgereien oder auch Cremerien. Diese Kunstwerke sind nicht nur was fürs Auge, nein auch etwas für die Nase und den Gaumen! Naja, wenn ich wieder Lust darauf bekomme, muss ich die Pastete eben wieder dort kaufen. Diese Pastete haben sie allerdings erst seit kurzem, angeblich eine neue Kreation.“
„Jetzt aber genug vom Essen. War das gestern Abend nicht romantisch, als Albert Isabell den Heiratsantrag gemacht hat? Ich muss immer noch heulen, wenn ich daran denke“, schmilzt Marie dahin und schaut Richard dabei an, mit der Hoffnung, dass er ihr auch mal so einen Antrag machen wird. „Ich glaube das reicht, Albert lässt uns mittlerweile alle schlecht dastehen. Wenn ich Sophie meine Aufwartung machen will, erwartet sie wohl das Gleiche.“ „Ist das denn so schlimm, mein Bruderherz? Das ist doch das, was jede Frau will.“ „Ach was, Frauen wollen richtige Männer, mit Ecken und Kanten und keine Weicheier. Sie wollen einen Mann, der weiß wie es im Leben läuft, und ihnen sagt, wo es lang geht.“ „Ich sehe schon, du willst meinen Rat nicht, aber sag später nicht, ich hätte es dir nicht gesagt.“ „Haben Isabell und Albert schon einen Termin für den großen Tag?“ will Pastor Richard Koch wissen. „Nein ich denke nicht, den werden sie aber sicher bald festlegen.“
„Ah da ist ja einer der großen Helden“, wird Albert von Herrn Schubert, Isabells Vater, in Empfang genommen. „Isabell ist noch nicht so weit, sie schwebt noch auf Wolke Sieben und braucht heute etwas länger. Haben Sie heute denn keine Blumen dabei? Denken Sie, da Sie jetzt am Ziel sind, bedarf es keiner Blumen mehr?“ „Nein, ich war schon im Blumenladen, aber dann musste ich an Ihre Worte denken und dachte mir, heute mal eine Pause einzulegen.“
„Gut, aber schieben Sie die Schuld nicht auf mich, wenn Isabell enttäuscht ist. Ich habe Sie heute kommen lassen, um nach ihrem Antrag mit Ihnen zu erörtern, wie es mit Ihnen beiden nun weitergeht. Natürlich sollen da auch meine Frau und Isabell dabei sein.“
Zu diesem freudigen Anlass hat der Herr des Hauses extra einen Patissier kommen lassen, der zum Tee seine leckeren Tartes oder auch Torteletts kreieren soll. Vielleicht ist der ja auch gleich der passende Mann für die Hochzeitstorte. Nachdem der Tee und Kaffee angerichtet sind, kommen die Damen dazu, um mit Albert die Details zu besprechen. Sophie darf diesmal leider nicht mit dabei sein, da dies eine reine Familiensache ist. Isabell wird ihr aber sicherlich später alles erzählen.
Als Isabell den Salon betritt, fallen sich die beiden frisch verlobten um den Hals und jetzt trauen sie sich sogar, sich vor den Augen von Isabells Eltern zu küssen. Nach der freudigen Begrüßung der beiden Liebenden, spricht Eleonore gleich das wichtigste an: „Wann habt ihr vor zu heiraten, wollt ihr euch noch hier in Paris oder erst in Berlin das Jawort geben?“ Die Beiden schauen sich an und beginnen gleichzeitig, wie aus einem Mund zu reden. „Paris!“ „Berlin!“ Während Albert Paris sagt, kommt aus Isabells Mund das Wort Berlin. Beide schauen sich überrascht an. „Isabell meine Liebe, willst du wirklich noch so lange warten, bis wir vereint sind? In Berlin könnten wir erst in einem halben Jahr heiraten, wenn mein Dienst hier vorüber ist.“ „Albert, du glaubst doch nicht, dass man eine Hochzeit innerhalb eines halben Jahres organisieren kann, außerdem sind meine Freundinnen alle in Berlin!“ „Ich kann aber nicht so lange warten, ich werde noch verrückt, wenn das so lange dauert. Am Ende überlegst du es dir doch noch anders!“ „Was denkst du von mir, ich liebe dich doch!“
Es scheint sich zwischen den beiden die erste Uneinigkeit zu entwickeln. Aber Albert gibt nach und lässt sich breitschlagen. Das ist hoffentlich nicht ein Zeichen, wer in der Beziehung die Hosen an hat. „Mit den Vorbereitungen müssen wir natürlich sofort anfangen. Ich weiß auch schon, wer mir mein Hochzeitskleid schneidert. Monsieur Rossignol ist mir noch etwas schuldig, da er mein Ballkleid damals an eine andere weggab.“ „Da will ich aber unbedingt mit, ich brauche schließlich auch ein neues Kleid, und die Kleider für die Brautjungfern dürfen dann auch nicht fehlen.“ Herr Schubert sieht schon, wie das Geld mit vollen Händen ausgegeben wird, aber wieso auch nicht, sein Engelchen heiratet schließlich nur einmal.
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