Als er aufblickte und es bemerkte, beeilte er sich, entschuldigende Worte zu finden und fügte dem hinzu: „Ja, ich bin bereit.“ Von Beginn an hatte sie darauf bestanden, dass er sich an einfache Formen der Höflichkeit hielt und ihrer Ansicht nach, gehörte die Beantwortung von Fragen in ganzen Sätzen, dazu. Sie holte einen Notizblock hervor, auf dem eine Liste notiert war, welche sie nun Punkt für Punkt ablas. „Hast du wenigstens an die medizinischen Untersuchungen gedacht“, fragte sie in vorwurfsvollem Ton. „Ja, alle Ergebnisse sind in der oberen Schublade“, antwortete er. Sie zog ein ganzes Bündel an Dokumenten und Negativen hervor. Mit geschultem Blick überflog sie die Blutuntersuchung, das Röntgenbild der Lunge und das psychologische Gutachten und machte mehrere Kreuze in ihrem Notizblock. „Dennoch wirst du dich spätestens nächstes Jahr von unseren Ärzten noch einmal untersuchen lassen müssen“, erwähnte sie, wobei sie sich Mühe gab, dass er die Zufriedenheit in ihrer Stimme nicht hörte. „Ja, kein Problem“, erwiderte er nur. „Beruflich gibt es keine Probleme, oder?“, las sie die nächste Frage vor. „Nein, die Kanzlei läuft gut.“ „Deine Zahlungen sind alle regelmäßig eingetroffen“, stellte sie fest und machte ein Kreuzchen auf dem Block: „Und wie sieht es mit der Wahl aus?“ „Nun ja, prinzipiell läuft es gut. Soweit es mich betrifft, gab es noch keinen Skandal, mein Hintergrund wurde auch schon überprüft und als gut befunden. Die Ehe war eine sehr gute Idee und hat mir zusätzliche Stimmen bei Umfragen eingebracht. Eine Schwierigkeit sehe ich zurzeit eigentlich nur bei meinem Alter, also laut Umfragen hätten die Leute lieber einen älteren Kandidaten“, erklärte Miguel und zuckte dabei mit den Schultern, als würde er beteuern wollen, dass er sich bemühte, alles richtig zu machen. Sie notierte sich das und versprach, dass sie sich darum kümmern würde. „Wo du gerade schon das Thema Ehe angesprochen hast, ich hoffe, du hältst dich an deine ehelichen Pflichten…“, sie ließ den Satz so im Raum stehen. Beide wussten, dass es nur eine Scheinehe war, um seinen Stand zu sichern, dennoch wäre sie nicht davon angetan, wenn sie hörte, dass er ein Verhältnis hatte. Zu groß war die Gefahr, dass dies einen Skandal geben würde, und zu groß ihre Moral, als dass sie ihm das durchgehen ließe. Er nickte behutsam und wandte den Blick zu Boden, als er dies zögerlich bejahte. Sie durchschaute seine Lüge sofort und verlangte, dass er sie anschauen solle, um dies zu wiederholen. Er hob den Kopf, und sie ohrfeigte ihn erneut: „Bist du wahnsinnig, sprichst hier groß davon, du willst die Wahl nicht in Gefahr bringen und fängst eine Affäre an?! Mal ganz abgesehen davon, dass sich das einfach nicht gehört. Wie kannst du es nur wagen?!“ Ihre Stimme bebte vor Zorn, und sie war immer lauter geworden. Miguel hob zu Entschuldigungen an, doch sie funkelte ihn nur wütend an und brachte ihn so zum Schweigen. „Wer ist sie? Ich will den Namen!“, brüllte sie ihn an. Er antwortete nicht gleich und nickte zögerlich zur Tür. Sie schloss für einen kleinen Augenblick die Augen und atmete tief ein. Beim Ausatmen öffnete sie die Augen wieder und stand auf, vor Wut schäumend. Sie ging um den Schreibtisch herum und stellte sich seitlich hinter ihn. Miguel spürte ihre Hand im Nacken, und dann ihren Atem an seinem Ohr, als sie bedrohlich flüsterte: „Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du ganz klischeehaft mit deiner Sekretärin schläfst, was jeder, der hier arbeitet, mitbekommen kann?! Sie weiß nicht nur, wer du bist, sondern auch, dass du verheiratet bist, dich zur Wahl aufstellst und so weiter. Wenn du schon so eine idiotische Nummer abziehen möchtest, hättest du dir nicht irgendeine Unbekannte nehmen können?! Was ist denn, wenn du keine Lust mehr auf sie hast? Sie wird der ganzen Welt brühwarm von deinem Betrug erzählen, dass du doch nicht der gute Ehemann bist, für den dich deine Wählerschaft hält und…“ Er unterbrach sie wutschnaubend: „Das ist etwas anderes, ich bin in sie verliebt. Sie bedeutet mir wirklich etwas, und sie wird mich auch nicht verraten, ich habe das mit ihr geklärt.“ „Du Narr, ich hoffe du hast ihr nicht noch weitere deiner Geheimnisse offenbart. Wie verblödet bist du eigentlich?! Die Hochzeit war nur zu deinem Besten, und das weißt du ganz genau. Du hättest dich wenigstens zügeln und deine Hormone bis nach der Wahl zurückstellen können. Es sind nur noch ein paar Tage, und die setzt du aufs Spiel wegen einer schnellen Nummer?“, ihre Stimme wurde immer bedrohlicher, und am Ende war es nur noch ein Zischen, was ihn schaudern ließ. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Haut am Nacken, und er bekam eine leichte Gänsehaut. Sein ganzer Körper war angespannt, denn er wusste instinktiv, was gleich passieren würde, und dennoch schien die Zeit still zu stehen, kurz bevor sie mit voller Wucht seinen Kopf auf die Tischplatte donnerte. Er schlug mit der Stirn auf, und die Erschütterungen in seinem Kopf schienen kein Ende zu nehmen, es dröhnte und schmerzte. Er sah ein wenig verschwommen und schloss die Augen, um das Schwindelgefühl zu vertreiben, bevor er sich wieder aufsetzte. Ihre Hand ruhte mittlerweile auf seiner Schulter, und der Daumen bohrte sich schmerzhaft hinter sein Schlüsselbein, so dass er leicht einknickte. „Ich erwarte, dass du die Sache augenblicklich beendest, nein, ich verlange es. Danach werde ich mich um sie kümmern und dir eine neue Sekretärin suchen, hast du das verstanden“, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückte sie noch ein wenig fester zu. „Ich will…“, begann er, durfte den Satz jedoch nicht zu Ende bringen. „Falsche Antwort, es heißt einfach nur Ja!“, fauchte sie. Bedrückt blickte er auf seine Schuhe, obwohl er Jeanette liebte, konnte er nicht anders, als jetzt zuzustimmen. Sie nickte zufrieden und ging wieder um den Schreibtisch, um sich langsam in den Stuhl zu setzen. Die Beine übereinander geschlagen, legte sie eine Hand auf die Lehne und griff mit der anderen nach dem Telefonhörer. Intuitiv benutzte sie die Kurzwahltaste 1 und wurde wie erwartet mit Jeanette verbunden. „Kommen Sie bitte herein!“, bat sie in einem Tonfall, der jedoch keine Widerrede duldete, und legte wieder auf. „Miguel öffne ihr die Tür!“, befahl sie streng, woraufhin er sich sofort erhob, die Tür aufschloss und diese öffnete.
Jeanette trat ein und betrachtete Miguel mit einem argwöhnischen Blick. Sie hatte ihn noch nie so gesehen, er blickte sie nicht an und wirkte fast schon verschüchtert. Jeanette hielt Ausschau nach der ominösen Frau, die vor einer halben Stunde an ihr vorbei gestürmt war, und entdeckte sie auf Miguels Stuhl. Geradezu hoheitsvoll thronte sie darauf und tippte ungeduldig mit den Fingern auf die Lehne. Miguel schloss die Tür, und mit einem Nicken bedeutete sie den beiden, dass sie sich setzen sollten. Jeanette setzte sich zögerlich, sie wusste nicht, was sie von der Szene halten sollte, die sich ihr hier bot. Miguel gab keinen Ton von sich, und die Fremde begann zu sprechen: „Ich weiß von Ihrem Arrangement und muss Ihnen mitteilen, dass sie damit nicht nur Miguels Ehe, sondern auch seine politische Karriere gefährden und dass dies nun beendet ist.“ „Was?“, entfuhr es Jeanette erstaunt, sie schaute Miguel verwirrt an. Sie versuchte, in seinem Gesicht eine Antwort zu finden, doch er hielt es weiterhin gesenkt. „Des Weiteren werden Sie hier gekündigt, doch wir haben einen idealen Ersatz für Sie, sogar besser vergütet als bisher.“, fuhr sie unbeirrt fort. „Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Miguel sag du doch mal was dazu. Ich dachte, du liebst mich!“, entrüstete sich Jeanette vor ihrem Liebhaber. Dieser blickte auf, jedoch nicht ihr in die Augen, sondern der Fremden hinter seinem Schreibtisch. Mit einem leichten Kopfnicken, gab sie ihm ihre Zustimmung, und er räusperte sich, um zu einer Erklärung anzusetzen: „Das tu ich, nur es geht zurzeit einfach nicht, bitte versuch, es zu verstehen.“ Jeanette schüttelte missbilligend den Kopf, sie war enttäuscht von der Reaktion Miguels und gleichzeitig verwirrt. Sie wusste nicht, in welcher Beziehung er zu dieser Frau stand oder was sie überhaupt hier zu suchen hatte. Dies platzte jetzt auch aus ihr heraus: „Wer sind Sie eigentlich, und warum mischen Sie sich in unsere Beziehung ein?“ Die fremde Frau lächelte, doch ihre Augen waren kalt: „Zunächst einmal haben Sie keine Beziehung, und den Rest lassen sie mal Miguels und meine Sorge sein. Ich würde Sie jetzt bitten mitzukommen, damit ich Sie in Ihren neuen Arbeitsplatz einweisen kann.“ „Ich werde nirgends mit hinkommen. Wenn es wirklich dein Wunsch ist, mich loszuwerden, Miguel, dann gehe ich, aber ich will es hören und zwar von dir!“, forderte Jeanette. Sie blickte ihn an, er schaute jedoch immer nur die Fremde an, welche eine Augenbraue hob und erwartungsvoll zurückschaute. Daraufhin nickte Miguel sichtlich verletzt und wandte sich Jeanette zu: „Ja, es ist so, wie sie sagt.“ „Gut“, meinte Jeanette eingeschnappt und stand auf. Sie blickte Miguel noch einmal an, bemerkte nicht, wie die fremde Frau indessen aufstand und zur Tür ging. Er blickte auf seine Hände, konnte sie nicht ansehen, es machte ihn zu traurig. Jeanette wandte sich ab und ging zur Tür. „Es tut mir Leid, aber ich kann Sie wirklich nicht gehen lassen“, stellte die Fremde mit einem halben Lächeln fest, doch Jeanette verstand nun gar nichts mehr. Sie blickte zurück zu Miguel, welcher sich jedoch weiterhin nicht rührte.
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