Aber auch er hatte sich verändert, zumindest äußerlich. Er war muskulöser geworden und sehr viel männlicher. Ansonsten war Tom immer noch derselbe Scheißkerl wie früher.
Dass er sich an meine Haare erinnern konnte …
Hatte absolut keine Bedeutung!
„Ach, so ist das.“ Er richtete sich auf, stützte seine Ellbogen wieder auf dem Tisch ab, spielte mit seinen Händen an seinem Schlüsselbund herum und schenkte mir ein schiefes Grinsen.
„Ich spuke dir also in deinem süßen Kopf herum … schön zu wissen!“
Auf was der nicht alles kommt?!
Ich bekomm gleich einen Lachkrampf!
„Der Kleinstadtcasanova hält sich wohl für unwiderstehlich!“
Doch er lächelte nur versonnen vor sich hin. Ab dem Zeitpunkt ignorierte ich ihn. Kurz darauf kamen Gianni und Malou mit Maria zurück. Sie stellten uns mehrere Platten mit italienischen Köstlichkeiten auf den Tisch. Genüsslich aßen wir Mozzarella mit Tomaten, gewürzt mit frischem Basilikum, schwarze Oliven, getrocknete Tomaten, köstliche Salami und natürlich Prosciutto mit Ciabatta, und tranken dazu immer mehr Rotwein. Langsam ging die Sonne unter, und der heiße Tag ging in einen lauwarmen Sommerabend über. Malou zündete ein paar Gartenlichter an, ihr geliebter Ehemann holte die nächste Weinflasche aus dem Keller, und da er schon auf dem Weg war, machte er auch gleich noch Musik an. Es war echt schön, wir lachten und redeten viel, natürlich auch über alte Zeiten. Streiften wir aber nur ein wenig ein bestimmtes Thema, schmunzelten drei am Tisch sitzende Personen in ihre Rotweingläser, und meine Wenigkeit guckte stumm und leicht beklommen aus der Wäsche. Wie seit Jahren ließ ich kommentarlos diesen Spott über mich ergehen. Aber zum ersten Mal in Anwesenheit von El-Macho. Was es nicht gerade leichter machte.
Gianni schenkte uns wieder allen großzügig ein. Nur Tom deckte sein Glas mit der Hand ab.
„Ist schon gut Alter, ich muss ja noch fahren.“
In mir keimte die Hoffnung, er würde bald mal abschwirren, aber da hatte der Super-Ehemann seine Einwände.
„Ach was, du kannst ja im Hotel übernachten. Du hast morgen Vormittag sowieso Dienst.“ Er nahm ihm das Glas aus der Hand und schenkte zu meiner Enttäuschung auch nochmal gehörig ein. Nach dem köstlichen Essen zündeten sich die beiden Jungs eine Zigarette an. Gianni rauchte, im Gegensatz zu El-Macho, nur ab und zu, wenn er gerade in Stimmung war. Ich musste mich zwingen, meinen Blick, von Toms Händen zu lösen, als mich der Ehemann von der Besten auch schon fragte: „Hey Mia, wie geht es eigentlich Niklas? Ist er noch immer so viel in New York unterwegs?“
Die Frage traf mich völlig unvorbereitet und war wie ein Schlag mitten ins Gesicht. Ein ungutes Gefühl machte sich in meinem Magen breit, mir wurde richtig unwohl. Ich wollte nicht lügen, aber genauso wenig wollte ich über Niklas sprechen. Zumindest jetzt noch nicht. Und außerdem schon gar nicht vor Tom. Gespannt schauten mich alle fragend an.
„Mmh … zurzeit ist er ziemlich eingespannt“, gab ich zögerlich von mir.
Ein schriller Ton, der aus meiner Handtasche zu kommen schien, lenkte von meiner Stotterei ab. Da meine Handtasche unmittelbar neben Malou lag, kramte sie mir mein Handy hervor und reichte es mir.
‚Niklas ruft an‘ , leuchtete uns das Display entgegen.
Auch das noch!
Wenn man vom Esel spricht, kommt er auch gleich gerannt! Sowas Blödes!
Außerdem würde das jetzt absolut kein harmonisches Gespräch werden, daher drückte ich ihn gleich wieder weg, so wie ich es schon die ganze Zeit über konsequent gemacht hatte.
„Willst du denn nicht rangehen? Er macht sich bestimmt Sorgen um dich!“, fragte mich die Beste.
Oh ja, ganz bestimmt!
„Später, … ich werde ihn später zurückrufen“, stammelte ich. Das klang schwer nach Erklärungsbedarf. Meine beste Freundin bemerkte sofort, dass da was faul war, und meinte einlenkend: „Mia komm, ich muss dir ja noch unser Wohnzimmer zeigen und dein Bild!“ Mit einem aufgesetzten Lachen sprang sie auf, zerrte mich am Arm hoch und schob mich regelrecht ins Wohnzimmer. Die kleine, zierliche Malou hatte ganz schön viel Kraft und ich wusste auf Anhieb, was jetzt auf mich zukommen würde.
Frage-und-Antwort-Spiel!
Juhu! Wie ich es liebe!
Sie führte mich in den großen Wohnbereich mit dem Kamin und den dunkelbraunen Ledersofas. Fast alle Räume waren offen miteinander verbunden und nur durch Rundbögen optisch getrennt. Also Fluchtmöglichkeit bestand.
Warme Farbtöne schafften eine angenehme Atmosphäre. Vorm Kamin standen zwei weiße Sofahocker, ein uriger Holztisch in der Mitte und in der Ecke ein Schachtisch mit Figuren aus edlem, geschliffenem Glas. Daneben hing ein großer Flachbildschirm. Außerdem war noch Platz für große Palmen in Übertöpfen. Oberhalb des Kamines hing mein Bild, das ich ihr vor kurzem per Paketdienst geschickt hatte. Alles perfekt harmonisch aufeinander abgestimmt. Dieses romantische Nest sollte eigentlich nur für gemütliche Stunden verwendet werden.
Im Moment aber fühlte ich mich, als wäre ich in einem Gerichtssaal gelandet.
Außerhalb der Hörweite der Jungs drückte sie mich an den Schultern nach unten in eines der schweren Ledersofas und musterte mich eindringlich. Sie blieb stehen und starrte mir fest in die Augen.
Jetzt fühlte ich mich etwas klein, auch ein bisschen hilflos.
In einem beinahe militärischen Ton fing sie dann auch schon an: „Mia Becker, seit Jahren überrede ich dich schon, naja besser gesagt bettle ich vergebens, dass du mich mal besuchen kommst. Und plötzlich stehst du vor meiner Tür! Spielst mir Friede, Freude, Eierkuchen vor!“, sie holte tief Luft, „fang erst gar nicht damit an! Ich kenne dich in- und auswendig – du bist meine beste Freundin! Also du sagst mir jetzt auf der Stelle was los ist!“
Ihr Blick hing an mir, zugleich abwartend und fordernd. Das stimmte, sie kannte mich wirklich gut. Ich konnte ihr nichts vormachen, also musste die Wahrheit auf den Tisch.
„Tja also … wo soll ich nur anfangen … Niklas und ich wollten heiraten“, stammelte ich. Genau so war es am Besten, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Perplex setzte sie sich neben mich hin, ihr Gesicht sprach Bände. Sie wusste nicht, ob sie sich jetzt freuen sollte oder nicht. Das war definitiv nicht DAS , was sie wohl hören wollte. Verdutzt antwortete sie mir: „Das ist aber …“, sie schluckte so laut, dass ich es auch hören konnte, „ähm … schön .“ Dann atmete sie nochmals tief durch. Dass sie Niklas nicht besonders mochte, war kein Geheimnis, und sie machte auch nie eines daraus. Aber mehr Contenance hätte ich ihr schon zugetraut. „Nein, ist es nicht!“, sagte ich bestimmt. „Ist es nicht?“ Ich glaubte, fast mich zu verhören, aber mir schien, dass ein freudiger Unterton in ihrer Frage mitschwang. „Es sollte für alle eine Überraschung werden, dass wir heiraten. Und jetzt … Ich habe ihn zusammen mit seiner Sekretärin erwischt. Du weißt schon, diese Schnepfe, von der ich dir schon ein paar Mal erzählt habe. Die auf keiner Cocktailparty fehlte und deren Möpse immer fast aus dem Kleid kullern.“ Jetzt, da ich es mal laut gesprochen hatte, fiel eine kleine Last von mir ab und ich fühlte mich irgendwie erleichtert. Malou starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Dann nahm sie mich, ohne ein Wort zu sagen, in den Arm und drückte mich ganz fest an sich. Das tat echt gut und es war genau das, was mir gefehlt hatte. „Das ist ja schrecklich!“ „Ich wusste nicht wohin, deshalb bin ich Hals über Kopf mit meinem ganzen Krempel aus Niklas´ Wohnung in mein Auto gestiegen und bin zu dir gefahren – ziemlich egoistisch, ich weiß … tut mir echt leid.“ „Ach komm Mia, es ist doch völlig egal aus welchen Gründen du hier bist. Ich freue mich total dich zu sehen!“ Dieses Mal war ich es, die laut schluckte. Sie ließ mich los und wir beide atmeten mal kräftig durch. „Ich habe alles verloren Malou. Meinen beschissenen Freund, der auf Plastikbusen abfährt, mein Zuhause, und meinen Job bin ich vermutlich auch los!“, gab ich verzweifelt von mir. Jetzt kullerten mir ein paar Tränen über die Wangen, aber nicht wegen Niklas, sondern eher wegen meines Jobs, wegen meines Lebens, das ich gezwungenermaßen zurückgelassen hatte. Und das ausstehende Gespräch mit Mike, das mir trotz Bens Ausrede bevorstand, machte mir qualvolle Bauchschmerzen. Die Beste drehte sich kurz zur Seite, holte von einem gläsernen Beistelltisch eine Taschentücherbox, zupfte mir eines heraus und mit einem tröstlichen Blick reichte sie es mir. „Mensch Mia, das tut mir alles so leid für dich. Aber irgendwie bin ich von Niklas gar nicht mal so sehr enttäuscht. Ich meine, das was er getan hat, ist natürlich nicht okay. Aber der schreit doch schon von weitem, dass er nichts anbrennen lässt.“ „Super, aber diese Erkenntnis hilft mir jetzt auch nicht weiter!“ Schnäuzend fuhr ich mit verstopfter Nase fort: „Vielleicht hast du ja recht, aber er hatte auch seine positiven Seiten.“ Kräftig schnäuzte ich mich ein weiteres Mal in das Taschentuch.
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