Ich holte tief Luft und dann begann ich.
„Kleine Lady?! Sie waren wohl zu lange in der Sonne! Das ist so was von typisch. Konnten Sie denn nicht einen Blick in ihren Seitenspiegel werfen, bevor Sie ihre bescheuerte Tür öffnen – Sie braungebrannter Großkotz, Sie?“, schrie ich zurück. Ich richtete mich auf, um etwas größer zu wirken. Mit meinen 1,72 m war ich bestimmt nicht klein, trotzdem reichte ich diesem Angeber nur bis zur Brust.
„Sie müssen doch nicht wie eine Irre in eine Parklücke fahren! Wo haben Sie denn eigentlich ihren Führerschein gemacht, oder gewinnt man den neuerdings in Deutschland? … Und warum fahren Sie eigentlich barfuß?“
Während wir so dastanden, mit Händen und Armen stark artikulierten und uns lautstark beschimpften, hüpften meine widerspenstigen Locken wild umher, als würden sie gerade einen Freudentanz aufführen. Dabei kitzelte mich auch noch diese blöde schwarze Feder in meiner Halsgegend. Es reichte! In diesem Augenblick reagierte ich über, riss mir das bescheuerte Accessoire wütend vom Kleid, warf es zu Boden und stampfte wie wild darauf herum. Oh wie ich Cocktail-Kleider hasste!
Also wirklich, wäre ich eine Figur im Batmans weltberühmten Comicstreifen, würde über meinem Kopf anstatt ‚WUMM!!!‘, und ‚PENG!!!‘, eine dicke Rauchwolke mit Totenköpfen umherschwirren. Wäre das alles nicht schon genug, fuhr auch der blaue Family-Van nochmals im Schritttempo an uns vorbei. Um ja nichts zu übersehen, starrte uns die ganze Familie samt Oma verdutzt an. Das Allerschlimmste war, die wollten die freie Parklücke nicht einmal. Mit einem vernichtenden Blick schaute ich sie an, konnte es mir absolut nicht verkneifen und rief ihnen lautstark zu: „Was gibt es hier so blöde zu glotzen!“ Der Fahrer fuhr eilig das Fenster hoch, stieg aufs Gas und weg waren sie.
Was ich ebenfalls nicht ausstehen konnte, waren neben blöden Machos Schaulustige, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren!
Eigentlich war es nicht meine Art, fremde Leute derartig anzumotzen. Ich war im Grunde ein freundlicher und netter Mensch, vermischt mit einer Portion Sarkasmus. Aber meine Lage war kaum zu toppen, und mir war einfach nur mehr zum Heulen zumute. Mein Gegenüber grinste mich überrascht an. Ehrlich gesagt verstand ich nicht im Geringsten, was daran lustig sein sollte. Mit verschränkten Armen setzte ich mich auf meine Motorhaube und schnaubte vor mich hin.
Was zu viel war, war zu viel!
Ich war müde, hungrig, traurig, wütend.
Und ich zog Bilanz.
In den letzten zwei Tagen hatte ich mein Zuhause und meinen Verlobten an ein vollbusiges Monster verloren.
Die Reihenfolge war irgendwie doch interessant …
Naja, wie dem auch sei. Meinen geliebten Job war ich vermutlich ebenfalls los. Dann wäre ich auch noch fast abgebrannt und, als wäre das alles nicht schon genug, fuhr ich jetzt auch noch meinen geliebten Mini zu Schrott.
Da stellt sich mir doch glatt die Frage, was morgen noch so alles schiefgehen würde?
Mein Gegenüber streifte sich seine Mütze vom Kopf, fuhr sich mit den Händen durch seine dunklen Haare, und schenkte mir ein schiefes Lächeln. Erstaunlicherweise wirkte er fast erheitert von meinem Wutanfall, steckte seine zerknüllte Mütze in die hintere Hosentasche und kramte entspannt ein rotes Päckchen aus seiner vorderen Hosentasche hervor. Er bot mir auch eine Zigarette an. Dankend schüttelte ich den Kopf, zu jung waren die letzten Eindrücke, als ich eine geraucht hatte. Ich wollte hier jetzt nicht auch noch dieses Restaurant in die Luft fliegen lassen.
Dieser eingebildete Macho lehnte sich ebenfalls gegen die Motorhaube seines schwarzen Maserati, und meinte mit einer ruhigen, tiefen Stimme: „Naja, so schlimm ist es jetzt auch wieder nicht! Nichts, was die Versicherung nicht zahlen würde.“
Ich seufzte tief.
„Ach mir passiert so leicht nichts!“, war mein stärkstes Argument, als ich meine Kaskoversicherung in eine Haftpflicht umschreiben ließ. Meinen Schaden musste ich so oder so selbst bezahlen. Er zündete sich eine Zigarette an, nahm sie zwischen Daumen und Zeigefinger, zog genüsslich daran und blies den Rauch nach unten wieder aus. Dann drehte er seinen Kopf zu mir, und lächelte mich nochmals verschmitzt an. Da traf es mich wie der Blitz. Kannte ich diesen Typen auch noch vielleicht?
Nein, das konnte gar nicht sein.
So viel Pech hatte selbst ich nicht, oder vielleicht doch?
Unerträgliche Hitze stieg in mir hoch. Flehend blickte ich zum Himmel und schlug mir erneut die Hände vors Gesicht.
Nein, sowas war wissenschaftlich doch völlig unmöglich!
Bitte nicht.
Neeeeinnnn!
Was für ein Albtraum!!!
Kann mich bitte mal jemand zwicken!
„Sie schauen etwas erschöpft aus. Wie wäre es mit einer Tasse caffè ? Dann könnten wir auch unsere Adressdaten austauschen“, meinte er trocken. „Ihre dummen Anmachsprüche können Sie für sich behalten!“, war meine bissige Antwort. „Naja, … die Sache ist die, für die Versicherung geht es leider nicht ohne Daten.“ Lässig zog er wieder an seiner Zigarette.
Oh, wie peinlich!
Was war das denn wieder?
Glaubte ich dummes Huhn wirklich, er wollte sich gerade an mich heranmachen? Kein Mann dieser Welt würde eine Schnecke anbaggern, die gerade sein Auto in Schrott verwandelt hatte! Jetzt schoss mir gehörig Rot ins Gesicht und womöglich konnte ich ernsthaft mit einer überreifen Paprikaschote konkurrieren. Um meine Verlegenheit nicht allzu publik zu machen, landete mein Blick wieder auf meinem beschädigten Auto. Außerdem konnte ich den Typen nicht mehr länger ansehen aus Angst, meine schlimmsten Befürchtungen könnten wahr werden.
„Verdammte Scheiße!“, gab ich leise von mir. Warum läuft denn zurzeit alles so beschissen, was habe ich denn verbrochen?
Ich seufzte nochmals.
Tief im Inneren klopfte mein schlechtes Gewissen an und mir wurde immer klarer, dass der Crash eigentlich auf meine Kappe ging …
Eine Weile saßen wir noch wortlos auf unseren Motorhauben und starrten wie zwei Irre auf das Restaurant vor uns. Pizzeria Massimo stand geschwungen geschrieben auf einer Holztafel über der Eingangstür. Klein darunter war der Familienname Salvatore zu lesen. Den Salvatores gehörte wohl ganz Italien. Köstliche Gerüche nach Pizzen drangen nach außen, und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Mein Magen begann zu knurren und nach langem Zögern rutschten mir dann doch folgende Worte über meine Lippen. Ganz leise, kaum hörbar, murmelte ich: „Sorry … wegen … hmm … Ihrem Auto, meine Versicherung wird das natürlich übernehmen.“ Ob und wie, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich. Kopfschüttelnd über mich selbst stieß ich mich ab, setzte mich in mein Auto und kramte meine Fahrzeugpapiere, einen Stift und Post-its aus dem Handschuhfach hervor. Darauf schrieb ich meinen Namen, meine Adresse und alle anderen benötigten Daten. Grimmig überreichte ich ihm den kleinen Notizblock und den Stift, damit auch er mir seine Daten aufschreiben konnte. Als wir unsere kleinen gelben Zettel austauschten, studierte ein jeder für sich die jeweilige Adresse. Dachte ich gerade noch, meine Lage wäre nicht zu toppen, lehrte mich das Schicksal jetzt eines Besseren.
Oh, mehr geht immer!!!
Da hatte ich es nun schwarz auf weiß – oder besser gesagt schwarz auf gelb!
[…]
Tom Corneli.
Jetzt war mein Glas definitiv am Überschwappen!
Wie war das nochmal?
Ich konnte ihm ja aus dem Weg gehen, müsste mich ja nicht einmal mit ihm unterhalten … Natürlich! Italien wäre groß genug für uns beide …
Und was mache ich?
[…]
Ich Riesen-Rindvieh?!
Ich musste ihm gleich ins Auto donnern!
War ich noch ganz dicht?!
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