Ein benachbarter Kaufmann versuchte es: sein Haus ging in Flammen auf. Die hiesige Stadtmiliz musste nach mehreren massakrierten Wachen ebenfalls einsehen, dass es kein Rankommen an diesen verdorbenen Lindwurm gab, wie sie ihn verächtlich schimpften. Vivan entwickelte eine Idee, wie man den unwegsamen Straßen des Landes entgehen konnte. Nun, man flog die Ware, statt sie mühselig über marode Pfade zu transportieren, flankiert von Gefahren und Unwegsamkeiten. Der Luftraum war fraglos die Zukunft. Die Kaufleute von Friedstatt waren entzückt und zeigten sich überraschend umgänglich, so stand Vivan und der Drache zügig unter dem Schutz der einflussreichen Händlergilde. Das strikte Flugverbot wurde teilweise aufgeweicht, eigens um die lukrativen Flüge zu ermöglichen. Die Ersparnisse an Zoll waren immens, die Verluste durch Raub nahmen ab und so wurde der Drache zu einem Helden stilisiert und Vivan zum erfolgreichsten Transporteur der Stadt oder sogar, aller verbliebener Städte im Reiche Udür.
Doch heute war der Wurm drin. Vivan beobachtete besorgt, wie Pesch den letzten Schluck Meschlar gierig hinunterstürzte. "Hm, sehr schön – und nun?" Pesch fixierte sein Gegenüber feindselig aus zusammengekniffenen Augen. "Ich werde mich darum kümmern, Höchstselbst!" Vivan vollzog fast einen Knicks. Wo war nur dieser Drache geblieben? Er war all die Jahre, bis auf ein paar Ausnahmen, erfreulich zuverlässig gewesen.
"Ist dir irgendetwas Absonderliches aufgefallen an deinem Schützling?" Vivan verneinte kopfschüttelnd. Nachdenklich blickte er aus dem Fenster. Nebel stieg aus den angrenzenden Schluchten, dick wie Watte. Nur unwillig reagierte Vivan auf weitere Fragen. Er wusste genau, dass Pesch ihm den Einfluss neidete den auf den Drachen neidete und schon oft hatte sich der dicke Kaufmann dafür eingesetzt, dass er selbst Pate des Tieres werden sollte. Nur war es nicht möglich mit einem trotzigen und unwilligen Drachen zu arbeiten, und einen gesunden Kooperationswillen legte er nur, und ausschließlich, Vivan gegenüber an den Tag.
"Das hoffen wir für dich – du weißt so ein Eigensinn schadet dem reibungslosen Ablauf – oder willst du, dass die Küstenpiraten hier auftauchen? Du weißt sehr gut, dass wir sie mit unseren Lieferungen beschwichtigen und von für uns alle schmerzhaften Dummheiten abhalten." Vivan nickte geistesabwesend. Ja, diese verdammten Kerle.
Pesch gab keinen Laut von sich, er nickte nur bestätigend: "Also – sorge dafür, dass die Ware ausgeliefert wird, suche diesen verdammten Drachen und flöße ihm Vernunft ein!"
Peschs Stimme blieb verhältnismäßig ruhig – was umso schlimmer war, denn Vivan kannte die Stimmlagen seines Gegenübers nur zu gut. Pesch sprach mit tödlichem Ernst. "Vielleicht will dir wieder jemand den Drachen abspenstig machen – oder Keleran ist im Streik?" Pesch grinste kalt. Seine Augen strahlten eine insektenartige Gelassenheit aus. Die Geste war so künstlich wie die Fingernägel seiner Frau. "Nun, gut das wir uns verstehen – sorge dafür, dass die Ware auftaucht und dieser Hundsfott von einem Reptil noch dazu! Sehe es als einen wohlgemeinten Rat!"
Mühsam erhob sich Pesch, er wankte etwas. Vivan fühlte sich veranlasst aufzuspringen – doch Pesch winkte mürrisch ab. Er zupfte sein seidenes Gewand zurecht, das ihm unfreiwillig einen femininen Ausdruck verlieh, und verließ stöhnend den Holzverschlag. Die Stiege ächzte unwillig unter seinem Gewicht.
Vivan griff entschlossen nach seinem speckigen Mantel. Er wusste, was jetzt zu tun war. Er wartete einen Moment. Er beobachtete Pesch ungeduldig, der endlich mit seiner Leibwache abzog. Vivan steuerte seinen Schuppen an. Er lag etwas abseits auf einer Rampe, die weit in die Schlucht hineinreichte. Bärte von Pflanzen, die hier in dem Nebel vortrefflich gediehen, schwangen im Aufwind träge hin und her. "Licht!" Die Runen die ringsum, feinsäuberlich, in die Wände geschnitzt waren, reagierten augenblicklich und begannen fröhlich zu leuchten. Da war es – ein Apparat, ein Fluggerät. Monate hatte er gebraucht es zu bauen. Die Pläne waren unvollständig und der Dialekt kaum zu verstehen – dennoch er war zufrieden mit seiner Arbeit. Heute wäre dann wohl der Jungfernflug. Ängstlich stand er vor der Flugmaschine. Ehrfürchtig lief er ihre Linie ab und berührte behutsam sein Machwerk aus Holz und Metall. Grandios – endlich hatte er einen triftigen Grund es zu testen. Mit ein paar Handgriffen war das Gefährt aus der Deckenverankerung gelöst. Er betrat ehrfürchtig die Kanzel. Kleine Propeller befanden sich auf jeder Seite – ein Schaltpult verriet ihm den Zustand der Kettenspannung. Vivan schloss die Augen. Irgendwann kam der Punkt und man musste bei aller Annahme und theoretischer Vorbereitung das Gerät einfach einschalten. Vivan drückte den Hebel nach vorn. Die Propeller nahmen brummend und summend ihre Arbeit auf. Das Gefährt löste sich aus seiner Fesselung und flog geradewegs in den Nebel. Es war magisch. Das zwergische Gerät speiste seine Kraft aus Röhren, angefüllt mit einer unbekannten Substanz. Die Batterien knisterten und sprühten vereinzelt grelle Funken. Der Flug blieb ruhig, die Sicht besserte sich. Um Haaresbreite steuerte er das windige Gefährt an einer Felsmoräne vorbei, die überraschend schnell aus dem Nebel auftauchte. Unter ihm zeichnete sich gut sichtbar eine Felsschneise ab, ein klaffender Riss, der in einem Tal mündete. Der Blick reichte nicht bis hinunter auf die Sohle der Schlucht. Von überall her kamen neugierige Krähen angeflogen. Sie krächzten aufgebracht, hielten aber respektvollen Abstand zu dem seltsamen Neuankömmling.
Vivan wurde unruhig – er hielt ständig Ausschau, aber der Drache war nirgendwo auszumachen. Auch nach Stunden vergeblicher Suche blieb er unauffindbar. Gerade passierte er wankend das Schädeltal. Der Wind nahm zu und das Fluggerät schwang stark aus. Nur mit Mühe konnte Vivan sich halten. Geröll fiel von oben herab. Ein Stein, scharf wie eine Klinge, bohrte sich durch seine Überdachung und zerriss die mit Flicken übersäte Plane lautstark. Vivan betrachtete den scharfkantigen Steinzapfen fassungslos. Sein Gewicht zog die Kanzel ein ganzes Stück hinab. Vivan versuchte gegenzusteuern und an Höhe zu gewinnen, doch das klaffende Loch in der Flügelplane verminderte den Auftrieb. Vivan packte den Brocken und versuchte ihn hinauszuwerfen, was ihm nach einiger Anstrengung auch gelang, doch sein Weg nach unten blieb unaufhaltsam. Krähen begleiteten seinen Sinkflug, sie schienen seine Situation richtig einzuschätzen und krächzten schadenfroh über seine amateurhafte Darbietung. Die Lenkung setzte aus, eine Führungskette war gerissen. Er war dem Wind nun voll und ganz ausgesetzt, eine Kontrolle gab es nicht mehr. Wie ein Blatt im Wind strauchelte das Gefährt führungslos hin und her. Das Vordere wendete sich nach oben, bald darauf senkte sich die Spitze ab und es ging rasant hinunter ins Tal. Der Boden war nur zu erahnen, da der kriechende Bodennebel sehr dicht war und den Untergrund für das Auge gnädig abschirmte. Vivan hielt den Atem an. Er krallte sich verzweifelt an die Armaturen und erwartete jeden Moment am Boden zu zerschellen. Genau in diesem Moment der Todesangst tauchte ein Schatten aus dem Nebel, ein Rauschen zischte vorbei. Etwas ergriff das abstürzende Fluggerät, denn augenblicklich stoppte der rasante Sturz. Vivan wurde durch den plötzlichen Stoß beinahe aus der Kanzel geschleudert. Mit gestreckten Armen hing er hinaus. Er baumelte wie ein Stück nasser Wäsche an einer Leine, die Tiefe des Abgrunds, die unter ihm gähnte, konnte er nicht begreifen. Endlich, nach endlosen bangen Minuten, berührten seine Füße festen Boden. Er zitterte, die Flugmaschine schwebte über seinen Kopf und verschwand funkensprühend im dichten Waschküchen Nebel.
Vivan atmete aus. Er zitterte immer noch am ganzen Leib. Mühevoll gewann er seine Körperspannung zurück. Wo war er? Im Schädeltal. Es war kalt, der Wind pfiff durch seine schweißnasse Tunika. Vivan war sich bewusst – die Rettung verdankte er seinem Drachen, doch warum war er so einfach wieder verschwunden? Vivan hörte in der Ferne ein Krachen. Sein Fluggerät war wohl so eben an der gegenüberliegenden Felswand zerschellt. Mühsam tastete er sich vor, der Nebel war immens, die Sicht war gleich null. Von Zeit zu Zeit tauchte eine Felsstele aus den Wolken. Bedrohlich ragten sie auf – sie schienen von Menschenhand geschaffen, einige dieser Steinriesen wiesen seltsame Einkerbungen auf, die einer Schrift nicht unähnlich waren. Ein Weg breitete sich vor Vivan aus. Der Nebel wich etwas und gab den Blick frei auf eine Anhöhe an dessen Ende sich ein Einschnitt in der Felswand befand. Ein Höhleneingang. Vivan stolperte. Hier lagen Fässer und Kisten, alle sehr verwittert, teilweise in sich zusammengebrochen, was darauf schließen ließ, dass sie schon sehr lange hier lagerten.
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