»Eine? Jede Menge! Seit der geschieden ist, geht’s hier zu wie im Puff. Kaum ist die eine weg, kommt schon die Nächste. Mich geht’s ja nichts an, aber die hätten wenigstens das Fenster zumachen können, hier wohnen ja auch Kinder. Und ich sage Ihnen was, die Frauen, die zu ihm kamen, die waren nicht alle ledig. Was wollen Sie überhaupt von ihm? Um diese Uhrzeit? Suchen Sie vielleicht Ihre Frau?« Sie kicherte.
Sie war eindeutig ziemlich angeschickert.
Das war jetzt der Punkt, an dem ich Keller das Feld überlassen musste. Er zeigte ihr seinen Ausweis.
Sie schlug die Hand vor den Mund. »O Gott! Die Polizei! Hat er was ausgefressen? So weit musste es ja kommen!«
»Er hatte einen Unfall«, sagte Keller diplomatisch.
So konnte man es auch nennen.
»Einen Unfall! Eduard, hast du das gehört? Der Rautenberg hatte einen Unfall!« Und fort war sie.
»Da muss jetzt die Spusi ran«, sagte Keller. »Hoffentlich sind sie noch nicht weit weg vom Leichenfundort.«
Er telefonierte. »Glück gehabt, sie sind gerade erst los.«
»Du bringst die ganze Siedlung um ihren Schönheitsschlaf. So schnell kommen die jetzt nicht ins Bett. Und ich auch nicht.«
»Kannst dir ja ein Taxi nehmen.«
»Jetzt, wo’s spannend wird? Wie im Tatort, gell?«
Der Autokonvoi bog um die Ecke. Und es begann das übliche Ritual. Nur zu gern hätte ich mich im Haus umgesehen, aber mir war klar, dass ich jetzt nicht erwünscht war.
Ich wandte mich an Keller. »Bitte um Erlaubnis, mit der mitteilsamen Nachbarin sprechen zu dürfen, bevor sie wieder ganz nüchtern ist.«
»Ich kann dich ja doch nicht daran hindern. Notfalls kommst du garantiert morgen wieder.«
»Manchmal überrascht mich deine Menschenkenntnis.«
»Dazu gehört bei dir nicht viel.«
Die Nachbarin stand mit großen Augen an der Hecke, neben ihr die männliche Ergänzung. Ich ging zu den beiden hinüber.
»Was passiert denn da jetzt?«, fragte sie.
»Nun, Spurensicherung und so, Sie wissen schon«, sagte ich.
»Wie im Tatort?«
»Richtig, Frau …?«
»Roswitha Bäuerle. Und das ist mein Eduard.«
Ich nickte ihrem Eduard zu. Er nickte nicht zurück.
»Was ist denn mit dem Rautenberg eigentlich passiert?«, fragte Roswitha Bäuerle.
»Tut mir leid, das dürfen nur die Angehörigen erfahren. Gibt es irgendwelche Angehörigen? Seine Exfrau zum Beispiel, wo kann man die erreichen?«
»Man hat gehört, dass sie nach Welzheim gezogen ist nach der Scheidung, vor zwei Jahren ungefähr, zusammen mit dem Sohn, der muss jetzt achtzehn sein oder so. Aber nichts Genaues weiß man nicht.«
»Haben Sie mit Ihrer Nachbarin nicht darüber gesprochen? Wenn man so dicht aufeinander wohnt?«
»Ach, wir hatten nicht so viel Kontakt. Die Rautenbergerin war so eine … wie soll ich sagen …«
»Eine Verhockte«, ergänzte ihr Eduard.
»Und zu ihm hatten Sie auch wenig Kontakt?«
»Doch, schon. Der hat ja gern geredet. Und dann war er ja auch so ein Umweltschützer, ein ganz fanatischer. Der ist immer sauer geworden, wenn er bei mir Schneckenkorn gesehen hat. Das Gift bleibt sieben Jahre in der Erde, hat er geschimpft. Aber was soll ich denn machen gegen die Biester? Die fressen mir doch meine ganzen Blumen weg! Na ja, das muss einer vielleicht sagen, wenn er Biologielehrer am Gymnasium ist. Und sogar ein Doktor.«
»Und Sie sagten, er hatte viel Damenbesuch?«
»Ha! Und kaum eine kam zweimal.«
»Das haben Sie ja gut beobachtet.«
»Wenn man so dicht aufeinander wohnt.«
»Der hat bestimmt dafür bezahlt«, ließ sich ihr Eduard vernehmen. »Da waren auch ganz junge Dinger dabei.«
In mir keimte ein schrecklicher Verdacht. »Wie jung? Wie Schülerinnen?«
»Das sieht man doch nicht so genau«, schaltete sich Frau Bäuerle wieder ein. »Die jungen Mädchen heutzutage sind ja so aufgetakelt, die sehen viel älter aus, als sie tatsächlich sind.«
»Waren seine Frauenbekanntschaften auch der Grund für seine Scheidung?«
»Gesagt hat natürlich keiner was, aber man denkt sich seinen Teil.«
»Kannten Sie welche von den Frauen, die zu Besuch kamen?«
»Ha! Viele! Die Renate Lohmeier, die Margot Waghans, die Lore Bibloch …«
»Aber die sind doch alle aus dieser Umweltgruppe«, unterbrach sie ihr Eduard. »Die werden sich über die Frösche unterhalten haben.«
»Und dabei haben sie quaken geübt oder was? Was die gemacht haben, war ja wohl eindeutig, das hast du doch auch gehört. Direkt neidisch hätte man werden können!« Sie warf ihrem Eduard einen Blick zu, den der nicht registrierte oder nicht registrieren wollte.
»Und was ist mit der Irene Zwigge?«, fuhr sie fort. »Die ist nicht bei der Umweltgruppe, die ist verheiratet!«
Es gab hier anscheinend interessante Zusammenhänge zwischen Umweltschutz und Ehe, aber das wollte ich lieber nicht vertiefen.
»Der Herr Rautenberg ist … war ja sehr aktiv hier. Als Umweltschützer, meine ich. War er auch gegen den Windpark?«
»Ha! Aber wie! Der war ja der Chef von dieser Bürgerinitiative! Und als er die Dinger doch nicht hat verhindern können, hätte er sie am liebsten in die Luft gesprengt. Hat er mir mal gesagt.«
»Ach, das sagt man so«, warf ihr Eduard ein. »Er war halt dagegen, und recht hat er gehabt. Jetzt stehen die Türme da und laufen nicht mal. Wir haben sie ja ständig im Blick, wenn wir im Garten sitzen.«
»Sie waren also auch gegen die Windräder?«
»Freilich, das muss man doch sein! Überall stehen die ’rum und verschandeln die Landschaft!«, empörte sich Frau Bäuerle.
»Dann waren Sie wohl auch in der Bürgerinitiative aktiv?«
»Das nicht. Dafür habe ich keine Zeit. Ich muss meinen Garten machen.«
»Also, Frau Bäuerle, Herr Bäuerle, dann bedanke ich mich mal. Wenn ich noch Fragen habe, komme ich auf Sie zurück.«
»Aber klar, Herr Kommissar! Man hilft doch gern. Was ist nun eigentlich mit dem Rautenberg passiert?«
Herr Kommissar! Wie sich das anhörte! Ich lächelte sie an und ging weiter.
Mittlerweile hatte sich gefühlt halb Ilshofen um das Häuschen von Gustav Rautenberg versammelt. Da es nicht viel zu sehen gab, blieb ausführlich Gelegenheit für Mutmaßungen. Jedem musste klar geworden sein, dass der Herr Nachbar nicht bloß aus dem Schaukelstuhl gefallen war, bei diesem Polizeiaufgebot.
Ich schlenderte durch die Menge und spitzte die Ohren.
Die Zusammenfassung der hin und her schwirrenden Gerüchte war etwa folgende: Rautenberg war ein arroganter Schnösel, ein charmanter Mann, wollte sich in den Vordergrund stellen, engagierte sich selbstlos für eine gute Sache, war schon immer etwas merkwürdig. Zur gefälligen Auswahl.
Ich beobachtete besonders die Frauen im knackigen Alter. Täuschte ich mich oder waren tatsächlich einige auffallend still?
Als ich Keller aus dem Haus treten sah, ging ich zu ihm hin.
»Und? Was spricht die Gerüchteküche?«, fragte er.
»Gymnasiallehrer für Biologie, und da es hier in Ilshofen kein Gymnasium gibt, wohl in Crailsheim.«
»Gut kombiniert. So weit sind wir auch schon.«
»Bei diesem Provinz-Clooney ist wenigstens klar, auf welcher Seite des Bettes er liegt. Er scheint jede Frau vernascht zu haben, die nicht rechtzeitig Reißaus genommen hat. Und er liebte die Abwechslung.«
»Das sagte die nette Nachbarin ja schon.«
»Unter den willigen Frauen waren wohl etliche aus der Nachbarschaft. Du hast also die Wahl zwischen eifersüchtigen Ehemännern und eifersüchtigen Ex-Geliebten und eifersüchtigen Noch-nicht-Geliebten, und das scheint bei ihm ein weites Feld zu sein. Aber keine Sorge, du bist nicht allein, ich helfe dir.«
Keller brummte nur.
»Und jetzt wird’s interessant«, sagte ich. »Unter den Frauen sollen auch junge gewesen sein. Sehr junge.«
Читать дальше