„Ja, eben. Wenn es keine Rolle spielt, kann es Ihnen ja auch egal sein. Ich habe jedenfalls nichts mit James‘ Tod zu tun. Und ich verstehe auch überhaupt nicht, wie diese Fragen helfen sollten, James Mörder zu finden. Sie vergeuden doch Ihre Zeit mit mir.“
„Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass Sie mir etwas verschweigen. Kann das sein?“
Sie lächelte. „Hinter die Stirn können Sie mir aber nicht gucken, oder?“ Katrin verstummte und sprach nach einer kleinen Pause weiter, weil der Kommissar ihr gegenüber ebenfalls nichts sagte. „Ich dachte, ich könnte eine Erinnerung an James für mich behalten. Na gut, erzähle ich es eben. James sollte im Wohnzimmer bei den anderen schlafen. Er kam aber zu mir und legte sich in mein Bett, dafür kann ich nichts. Ich habe mich schlafend gestellt. Er ist an mich ran gerutscht und hat mein Gesicht gestreichelt, vorsichtig, und ich roch seine Hände…“ Sie schniefte auf.
Der Kerl war wohl doch in sie verliebt, dachte Edgar. „Das ist alles?“
„Ja, ehrlich. Ist schon schwierig, darüber zu reden. Ist schließlich eine sehr private Angelegenheit, und ich kenne Sie kaum.“
Das ließe sich ändern, dachte Edgar spontan. Für seinen Geschmack war Katrin Sommerfels im Gespräch bisher zu aufmüpfig gewesen. Während ihrer letzten Sätze war sie leiser geworden und beinahe anrührend.
So oder so, er hatte nichts, was er ihr vorhalten konnte, bis auf ihre kleinen Lügen zum Ablauf der Nacht mit James. An dem Schürhaken in ihrer Wohnung war kein Blut gefunden worden. Und er war sich ziemlich sicher, dass auch der Abgleich ihrer Fingerabdrücke mit den Spuren in James‘ Wohnung negativ sein würde. Eigentlich könnte er sie sofort wieder wegschicken, hatte aber nun Lust, sich länger mit ihr zu unterhalten.
Katrin trank einen Schluck Wasser, dabei schaute sie sich im Raum um. „Na ja, ist auch mal interessant, so ein Kriminalbüro“, sagte sie, wieder eine Spur forscher, „ziemlich schmucklos, finde ich. Haben Sie schon viele Mörder gefangen?“
„Mordfälle aufzuklären, ist immer Teamarbeit.“
„Hm.“ Sie musterte ihn unverhohlen wie am Tag zuvor in ihrer Wohnung. Dabei würde sie seinen Ehering bemerken.
„Stört Ihr merkwürdiger linker Finger nicht bei der Arbeit?“
Sein abstehender Finger hatte es ihr angetan. „Ich habe mich an den krummen Begleiter gewöhnt“, sagte er.
„Hauptsache, er ist zu gebrauchen. Kann ich gehen?“
„Gleich. Haben Sie einen Freund?“
„Das meinte ich vorhin, lauter intime Sachen fragen Sie mich. Nein, ich bin Single. Schon eine Weile. Zufrieden?“
„Es gibt gar niemanden, mit dem Sie…?“
Sie grinste. „Mit dem ich was?“
„Sie wissen, wovon ich rede.“
„Ein Kommissar sollte sich trauen, das Wörtchen Sex auszusprechen. Nein, ich schlafe solo, total. Im Moment kuschele ich nur mit Freundinnen.“
„Mit Yvonne Richter auch?“
Als Antwort verdrehte Katrin lediglich die Augen.
„Regine Herzig deutete an, Yvonne Richter mache sich nichts aus diesen Dingen, wie sie sich ausdrückte. Würden Sie diese Ansicht bestätigen?“
Katrin lächelte amüsiert. „Ist jetzt vielleicht nicht so toll, über Yvonnes‘ Sexleben zu reden, aber ich muss ja. Sie vermuten richtig, Herr Kunze, Yvonne ist nicht scharf auf“, an dieser Stelle sahen sich beide in die Augen, „Sexuelles, in welcher Form auch immer. War das deutlich genug?“
„Hat Yvonne ihren Ex gehasst?“
„Nö, er war in ihren Augen eher ein lästiges Insekt. Aber Hass? Er war doch der Vater von Sina. Und immer zuverlässig. Man konnte James richtig ausnutzen.“ Katrin schien ein neuer Gedanke zu kommen: „Und wenn sie ihn getötet hätte, wäre doch auch der Unterhalt futsch, nicht? Glaube nicht, dass Yvonne freiwillig auf das Geld verzichtet hätte.“
Praktisch veranlagt, die Frauen, dachte Edgar. Er war von Katrins Überlegung überrascht. Und amüsiert. Wollte es ihr aber nicht zeigen. „Sie kennen die Frau sehr gut, mit der Sie auf keinen Fall befreundet sein wollen. Würden Sie Yvonne den Mord an James zutrauen?“
„Nein, die beiden haben viel gestritten, das ist nichts Besonderes, oder? Aber einen Mord? Never. Kann ich gehen?“
Edgar verabschiedete sie, mit dem deutlichen Gefühl, dass sie sich bald wiedersehen würden.
Gegen 21 Uhr am Samstagabend fuhr Edgar vom Präsidium mit dem Auto in den Prenzlauer Berg, zu Corinna, seiner bisherigen Geliebten, um die vertagte Aussprache nachzuholen. Je näher er ihrer Wohngegend kam, umso stärker zweifelte er am Sinn dieses Unternehmens. Worüber sollten sie reden? Über Corinnas Gefühle und Erwartungen? Sollte er sie trösten und etwas versprechen, was er nie einhalten würde? Was er am nächsten Tag vergessen hätte, nein, was er schon vergaß, wenn er ihre Wohnungstür hinter sich zu ziehen würde? Während sie im Bett lag und ihren Illusionen nachhing. Er sah genau vor sich, wie sich ihr Treffen abspielen würde. Zu oft hatte er ähnliche Szenen erlebt. Edgar spürte, dass ihm heute Abend die Energie für einen Streit oder für eine Versöhnung fehlte. Im Moment brauchte er keine Affäre. Er wollte seine Ehe retten; eine Scheidung hatte er sich nie vorstellen können. Für ein Leben als Single war er nicht geschaffen. Er würde Corinna sagen, dass Schluss wäre. Damit rechnete sie sowieso. Hatte schließlich gewusst, dass er ein verheirateter Mann war. Darüber hatte er sie nie im Unklaren gelassen. Eine Affäre, ja. Eine Beziehung, nein. In diesem Punkt machte Edgar sehr feine Unterschiede.
Auf der Suche nach einem Parkplatz fuhr Edgar in die Stubbenkammerstraße hinein. Auch hier fand er keine Lücke. Doch er wollte die Sache mit Corinna möglichst rasch hinter sich bringen. Deshalb stellte Edgar seinen Wagen auf der Fahrspur ab und verhinderte damit den Durchgangsverkehr.
Corinnas Fenster waren hell, sie war Zuhause. Edgar postierte sich an einen Baum, wählte ihre Telefonnummer; gleichzeitig hupte ein Auto hinter seinem. Corinna meldete sich. „Ist kein Parkplatz frei“, begann er. Sie riet ihm, es in einer Nebenstraße zu versuchen. Edgar sagte den entscheidenden Satz: „Es ist vorbei.“ Ein Hupkonzert begleitete seinen Abschied und drängte ihn zugleich zur Eile. Jemand brüllte ‚Arschloch’. Der Fahrer des Wagens hinter seinem Audi war ausgestiegen und schimpfte laut. „Ruf die Bullen“, schrie jemand. Mehrere junge Leute von einer Kneipe grölten herüber. Corinna schwieg. Edgar drückte den Aus-Knopf am Handy. Die Erleichterung, die er erwartet hatte, blieb aus. Schnell lief er zum Auto zurück und startete den Motor.
Er fuhr weiter zum Arkonaplatz, parkte in der Swinemünder Straße und ging zum Haus, in dem Katrin Sommerfels wohnte. Die zwei Fenster ihres Wohnzimmers waren spärlich erleuchtet. Gern hätte er privat mit ihr geredet, denn da war irgendetwas zwischen ihnen. Wie sie ihn angesehen hatte, als er sie nach Yvonnes Sexleben befragt hatte…Doch hatte er nicht eben erst eine Affäre beendet und wollte sich ausschließlich um Renate kümmern? Edgar rief zu Hause an, der Anrufbeantworter begrüßte ihn nach dem vierten Freizeichen. Er probierte es mit Renates Handynummer und wurde weggedrückt.
Edgar änderte seine Richtung, schlenderte rüber zur Kneipe, in der Irmgard Zimmermann arbeitete, Yvonnes Mutter. Er hatte eine ungefähre Vorstellung von ihr: über 50 Jahre alt, recht groß, schlank, graue Haare. Die einzige Kellnerin an diesem Abend war eine kleine Frau um die vierzig. Demnach schien Yvonnes Mutter frei zu haben.
Nach zwei hastig getrunkenen Bieren meinte Edgar, ein kurzer Besuch bei Katrin wäre durchaus vertretbar. Jedenfalls besser, als allein im Reihenhaus zu sitzen.
„Mein eigensinniger kleiner Finger hat mich zu Ihnen geschickt, er zuckt plötzlich nervös“, erklärte er Katrin sein Erscheinen und grinste sie an. Katrin ging bereitwillig auf seinen leichten Ton ein. „Okay, was will er damit sagen?“
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