»Wums! - Wums! – Wums!« Der Stempel des Zollbeamten knallte mindestens dreimal auf jede Seite der Dokumente. Die Schlange hinter uns atmete hörbar auf und Mr. Barnaby gab endlich Ruhe.
Nachdem ich Mum und Dad in die Arme gefallen, der Kater auf dem Rücksitz neben mir und der Koffer im Kofferraum verstaut war, ging es mit Dads altem Landrover quer durch meine alte Geburtsstadt. Ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern, aber ich war damals einfach noch zu klein gewesen. Mum und Dad hatten vor Monaten einen Makler konsultiert und durch ihn waren wir nun stolze Besitzer eines kleinen Hauses von 1912. „Urig und romantisch“ hatte in dem Expose‘ gestanden und ich wurde von Sekunde zu Sekunde aufgeregter. Endlich kamen wir in unserer neuen Wohnstraße an und Dad parkte vor einem wunderschönen strahlend weißen Haus mit frisch gestrichenen Fensterläden und bunten Blumen vor den Fenstern. Ich war hoch erfreut, doch nur kurz, denn unser neues Haus war das Nachbarhaus: ein windschiefes Spukschlösschen mit Erkern und Türmchen, dass sich in den Schatten einer hundertjährigen Eiche duckte. Die alten Dachziegel waren grün bemoost, der graue Anstrich blätterte ab und die Fensterläden hingen windschief in den Angeln. Dad strahlte mich voller Besitzerstolz an: »Ein bisschen müssen wir außen noch renovieren, aber dann wird es sicher sehr schön!« und Mum nickte fröhlich dazu. Ich sagte besser nichts und trabte stumm hinter ihnen her. Die Eingangstür quietschte fürchterlich und in dem dunklen Flur dahinter roch es muffig. Doch die große Wohnküche, deren Hintertür zu einem kleinen Garten mit einem großen Apfelbaum führte, ließ etwas Hoffnung in mir aufkeimen. Für Mr. Barnaby gab es immerhin einen erstklassigen Kletterbaum! Mum hatte die Wände sonnengelb gestrichen, bunte Vorhänge aufgehängt und auf dem großen runden Esstisch stand ein Schokoplätzchen - Kuchen.
»Willkommen Daheim!« Sie gab mir einen dicken Kuss, schnitt mir ein dickes Stück Kuchen ab und für einen Augenblick fand ich die Welt ganz in Ordnung.
Als ich am Abend in meinem neuen Zimmer in meinem alten Bett lag, konnte ich trotz Schlafmangel (Danke, „Vision of the Sea“!) nicht einschlafen. Ich musste an die neue Schule denken und obwohl es ja nicht der erste Neuantritt dieser Art war, fühlte es sich nicht gut an. Manche Dinge werden eben nicht besser, wenn man sie wiederholt. Dabei war ich diesmal wenigstens der Landessprache mächtig. In Paris, Mailand und wie schon erwähnt, Colchester, einem kleinen Ort nordöstlich von London, in dem wir gewohnt hatten, weil die Mieten in London unbezahlbar waren, hatte ich mich zunächst nur mit Händen und Füßen verständigen können. Der positive Begleiteffekt war, dass ich mittlerweile relativ gut Französisch, Italienisch und Englisch sprach. Und es gab noch einen Pluspunkt für die neue Schule: Keine Schuluniform! Die Dinger waren ziemlich teuer und öfter als einmal im Jahr hatte ich keine neue bekommen. Also hatte ich mich an entweder zu große oder zu kleine graue Flanellhosen und dunkelblaue, mit Wappen bestickte Jerseyblazer gewöhnen müssen und konnte es kaum glauben, dass ich nun anziehen durfte, was ich wollte.
Der Vollmond schien durch das große alte Sprossenfenster, und tauchte mein neues Zimmer in ein gespenstisch weißes Licht. An Schlaf war nicht zu denken, also griff ich mir meinen alten Laptop und schaute nach, ob Max on war.
\V/ Max, vermisse dich, good old boy!! Liege im Bett, in meinem neuen Zimmer und kann nicht schlafen. Klasse dass du noch wach bist + Zeit für mich hast : )
What do you think? - ADAADS, oder was?
Na ja, weiß´ man´s? Kannst du auch nicht schlafen?
Oh, no! It´s so loud downstairs; my parents, you know? Sie streiten, nur KK …
Hu - echt unschön; aber dafür musst du nicht in einem Spukschloss wohnen - andauernd knarrt und knistert es in dem alten Kasten; meine LTERN finden das Haus „romantisch“ (!), der Makler nennt es „urig“… Ist über hundert Jahre alt, wenn ich richtig umgerechnet habe - MCMI steht jedenfalls auf dem Band, das zwei kitschige Engel aus Gips über der Haustür halten. Dem einen fehlt ein Stück Nase, wodurch sein Gesicht wie ein Totenkopf aussieht. Habe ihn „Skully“ getauft und sofort in mein Herz geschlossen. ´ Türlich nicht so wie dich …
THX! Freust du dich eigentlich auf die neue Schule morgen?
*@!?$ !!!! Nimm das als Antwort …
I understand! Sorry, muss kurz mal in die ENGE …
Na, dann… Ich greife nach unten, wo meine Schultasche schon fix und fertig steht, und ziehe ein altes zerfleddertes Heft heraus, auf das ich vorne dick „Mathe- Übungsheft“ geschrieben habe.Wenn man ein Tagebuch oder etwas Ähnliches schreiben will, sollte man unbedingt zwei Dinge beachten.
Erstens: Es sollte niemals nach Tagebuch aussehen! Also kein Einband aus Samt oder gar ein goldenes Schloss, denn dem kann keiner widerstehen; schon gar nicht meine Mum! Die knackt so ein „Schlösschen“ mit einer simplen Haarnadel.
Zweitens: nicht verstecken! Ein Platz unter der Matratze oder ganz hinten im Schrank unter den Unterhosen ist sofort verdächtig.
Max ist immer noch off, also stopfe ich mir mein Kissen in den Rücken und schlage das Heft von hinten auf. Der letze Eintrag ist eine Liste der
Dinge, die ich echt blöd finde :
1. Umzüge
2. Bücher über Elfen, Feen, Zauberschüler, etc.
3. Oper
4. Mathematik
Das alte Haus ist voll mit merkwürdigen Geräuschen. Es knarrt - direkt über mir - wie flinke Schritte auf morschen Dielen. Muss der Liste unbedingt unser neues „Zuhause“ hinzu fügen. Und zwar auf Platz eins. Dadurch würde das Thema Umzüge auf Platz zwei rutschen, worüber ich doch noch einmal nach denken müsste, „Elfen und Zauberschüler“ auf Platz drei (o.k.) und auf Platz vier käme dann die Oper . Nicht das ich etwas gegen diese Art der Darstellung an und für sich hätte - nee, wer das viele Gesinge mag, bitte sehr, aber ich verdanke schließlich ihr, bzw. dem Job meiner Eltern in dieser Institution das Zustandekommen von Punkt Eins beziehungsweise zukünftigen Punkt Zwei der Liste. Warum kann mein Vater nicht einfach ein ganz normaler Bankangestellter sein? Müßig darüber nach zu denken, bringt mich zum Gähnen, werde wohl doch langsam müde.
RE, my dear!
WB! Es knarrt schon wieder - a u s g i e b i g s t. Kommt von oben. Muss der Sache auf den Grund gehen - j e t z t ! CY L8ER!
*
Max - schläfst du schon? Ich bin RE! Von der Expedition
Dachboden …
WB - noch immer kein Schlaf in Sicht. What happenend?
Pass auf, du glaubst es echt nicht! Ich nenn es Begegnung mit Zwergen und Fundsachen; ich fang mal von vorne an: hinter meiner Zimmertür - Dunkelheit - total. Dank Taschenlampe dann nicht mehr. Flur, Treppe, Dachbodenklappe - steht offen. Ein Flüstern und Zischeln - äußerst merkwürdig. Wage mich trotzdem hinauf. Riesige Spinnweben mutieren angeleuchtet zu Gespenstern.
Are you going to be a writer?
WW? Aber weiter: Ein Schornstein versperrt die Sicht auf die andere Seite des Dachbodens. Von dort kommt das Flüstern und ein gelbliches flackerndes Licht. Es riecht eigenartig, wie nach Benzin. Zähle die Schritte bis zum Kamin: Sieben. Nun sehe ich es, beziehungsweise ihn: Im Schein einer Petroleumlampe steht ein kleiner Freak in einem karierten Anzug. Er wühlt in einer alten Truhe, murmelt dabei vor sich hin und stößt ab und an zischend die Luft aus. Ich mache einen Schritt rückwärts - vor Überraschung natürlich - breche mit dem Fuß durch eine morsche Diele und lande auf meinem S. Der Zwerg erschreckt sich, schießt in die Höhe und stößt dabei mit seinem großen Kopf an den Deckel der Truhe, der mit einem dumpfen Geräusch auf seine Finger fällt - aua-aua! Er hüpft auf einem Bein im Kreis und hält sich wimmernd die linke Hand. Wie Rumpelstilzchen, sage ich dir …
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