Wie soll man sich diese Sprache, diese Schrift vorstellen? In erster Linie unterschied sich die Sprache von dem gemeinen Kommunikationsmittel in der Lautgebung von emotionalen Wahrnehmungen und Empfindungen. Es gab für bestimmte Erregungsmomente und seelische Zustände eigenartige weiche Zisch- oder Jodellaute, für gewisse Schwingungen des gesamten Soseins pfeifartige Äußerungen, die dargestellt werden wollten. Die Ausdrucksmöglichkeiten, die Gottfried seiner Sprache dafür gab, waren weit differenzierter und vielfältiger als es die diesseitige Sprache bot.
Seine Schrift bestand im Wesentlichen aus Strichen, Doppelstrichen von unterschiedlicher Länge und Dicke - senkrecht, waagerecht, schräglinks, schrägrechts, und jede Veränderung hatte seine besondere Bedeutung. Außerdem spielten Bögen eine große Rolle. Auch wieder verschieden in Dicke, nach oben oder unten geöffnet, in Kreisen unterschiedlichster Größe, darin enthaltenen, kleineren Kreisen. Es gab Schlangenlinien unterschiedlicher Länge, Dicke und Frequenz, desgleichen senkrecht, waagerecht. Und Punkte, ebenfalls in Form und Größe verschieden. Für manche Sätze, die eine ganz besondere, heilige Bedeutung für ihn hatten, gab es verschlungene Ornamente. So bestand später seine gesamte Schöpfungsgeschichte aus dreizehn dieser Ornamente. Alles hatte natürlich in den verschiedensten Kombination wieder seine eigene Bedeutung - man darf sich das Ganze nicht zu simpel vorstellen. Was das metrische System angeht, war es auf die Dreizehn ausgerichtet und drückte sich in Punkten Kreisen und Doppel-Dreifachkreisen aus. Fürs erste sollte das dem Verständnis des Lesers genügen.
Gottfried, wieder in seinem Zimmer, spürte aufrecht auf der Couch sitzend, den Schwingungen nach. Nachdem etwa zehn
Minuten verstrichen waren, glaubte er, dass die Schwingungen positiver Art seien. Vielleicht wurden sie aber auch durch die Arbeit der Baumaschinen hervorgerufen. Gottfried gab dem Zimmer jedenfalls eine Chance und machte sich an die Arbeit. Er suchte sich eine bestimmte Kladde und schrieb die Erlebnisse, Gedanken und Vorhaben des Knechtes, der übrigens den Namen en-Vani trug, darin nieder. Es war eine der Kladden, die die tagebuchartigen Eintragungen verschiedener Persönlichkeiten des Jahres 411.4/6 enthielten.
Obwohl Gottfried seine Schrift flüssiger beherrschte als die lateinische, machte es ihm heute Mühe. Der Grund war, dass er seinen Tagesablauf ändern musste. Normalerweise wäre er nach diesen Aufzeichnungen in den Keller gestiegen, um handwerkliche Aufgaben zu erledigen. Von jetzt an konnte er das nur tun, wenn seine Mutter zu Bett gegangen war. Er kramte in seinen Taschen. Ja, der Zweitschlüssel zur Villa war da. Nun war er gezwungen, nachts in sein Gewölbe zu steigen, da er seine Mutter in tiefem Schlaf wähnte. Unruhe kam über ihn. Sonst hätte er sich anschließend, durch die körperliche Arbeit entspannt, an die Niederschrift der allgemeinen politischen und sonstigen Begebenheiten seiner Welt gemacht. Als da waren: Wirtschaftliche Ereignisse, Festivitäten, militärische Aktivitäten, städtebauliche Maßnahmen, Rechtsprechung, allgemeine Verwaltungsangelegenheiten, Neuordnung von Landbesitz, bis hin zu Palastintrigen und dergleichen. Aber so musste er diese Schreibarbeit gleich erledigen, ehe ihm die Zeit erlaubte, heimlich in das Haus zurückzukehren. Bald erlahmte seine Hand unter der Fülle dieser Aufgabe. Er musste eine Pause einlegen, was seine Unruhe nicht eben minderte. Gottfried setzte sich wieder auf die Couch, trank ein Glas Wasser (es war gegen 14.30 Uhr) und bekam Hunger. Als er an dem Schnauzbärtigen vorbeieilte, wurde dieser von einem Hustenkrampf geschüttelt, sodass Gottfried sich wenigstens kein „Hmpf, Hmpf“ anhören musste.
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