Mar’thain Kastir hat eine Versammlung einberufen mit den Pferdeherren, die die Angriffe aus Tien’sa überlebt haben, und er hat ihnen gesagt, sie können zurückkehren auf ihre angestammten Plätze, das große Tor im Norden wird sich nicht mehr öffnen. Es wird bewacht, und wenn es sich doch öffnet, erfährt er davon, dann werden die drei leuchtenden Schwerter wiederkommen und es endgültig schließen. Und dass sie auch untereinander Frieden halten sollen, sich nicht mehr befehden, lernen miteinander zu leben, es liegen schon viel zu viele Menschen tot auf den Ebenen. Seine Grenzforts werden nicht mehr besetzt sein bis auf fünf, sie werden zu ihnen kommen und handeln um das, was sie benötigen für das Leben auf der Steppe. Dann müssen sie nicht mehr versuchen, es zu stehlen, sie werden schon etwas finden, das sich eintauschen lässt gegen irdene Schälchen, eiserne Töpfe und warme Decken. Pferde nicht, davon gibt es in Beth’nindra genug, und auch noch genug Reiter mit Lanzen, die kommen werden, wenn kein Frieden herrscht auf den Ebenen. Das kleine Volk, das gelebt hat an einem Fluss nicht weit entfernt von den beiden Statuen, die in einer Nische im Fels stehen, wird nicht zurückkehren, sie haben eine neue Heimat gefunden.
Sie würden dort auch nicht mehr leben können, einer der Pferdeherren, der nördlich davon seinen angestammten Platz hat, berichtet es Mar’thain Kastir. Es leben jetzt andere Menschen dort, böse Menschen, sie sind durch den Pass über die Betain’it’Dromar gekommen, und sie bedrohen jeden, der ihnen zu nahe kommt. Das Lager des kleinen Volks ist verwüstet, das Wasser im Fluss kann man nicht mehr trinken, und die beiden Statuen stehen nicht mehr in der Nische. Sie sind herausgezerrt worden mit Pferden und Seilen, hinter ihnen hat sich ein Eingang befunden zu dem Loch in den Bergen, aus dem die weichen gelben Steine herausgespült worden sind in den Fluss. Es leben kaum noch Tiere an den Hängen, sie töten sie, um sie zu essen, und sie töten sich auch gegenseitig, wenn sie in Streit darüber geraten, wem die meisten der gelben Steine gehören, die sie aus den Wänden brechen. Die Goldmine, auf der Ginjens Volk einst gelebt hat, stiftet viel Unfrieden auf der Ebene. Das Gold, das sie aufklauben daraus, wird mit Blut bezahlt.
Aber Ginjens Volk will gar nicht mehr zurückkehren, sie haben sich eingewöhnt in ihre neue Heimat und ihr neues Leben. Sie wohnen jetzt in Häusern, sie schlafen noch auf den dicken warmen weichen Fellen der großen Tiere, die an den Hängen der Betain’it’Dromar zuhause sind, aber sie liegen jetzt auf hölzernen Bettgestellen. Ihre eisernen Töpfe stehen nicht mehr in einem Ring aus Steinen, sie hängen an einem Haken über dem Herdfeuer in der Küche, und ihre irdenen Schälchen stellen sie auf Tische, an denen sie auf Stühlen sitzen. Wie die Kinder in der Schule, lesen und schreiben ist eine Fertigkeit, um die sie beneidet werden von ihren Eltern. Der Lehrer der Schule hat es ihnen angeboten, er lehrt es auch sie, manche haben es angenommen, andere nicht, es fällt ihnen nicht leicht, aber der Lehrer schmunzelt, wenn er das Leuchten in ihren Augen sieht, wenn sie das erste Mal ihre Namen geschrieben haben. Sie haben gelernt, wie man mit Plättchen bezahlt und wie man ihren Wert bemisst, sie brauchen die weichen gelben Steine nicht. Sie haben viel Hilfe erfahren von den Menschen in Beth’narn und denen, die aus Beth’anu gekommen sind auf den Ruf des Nun’thain, sie haben es ihnen vergolten damit, dass sie die Hilfe willig angenommen haben und gelernt zu leben wie die Menschen in Beth’narn. Und sie sind stolz darauf, jetzt eine Marunan zu sein mit dem Mann als Herrscher, der ihr Da’in gewesen ist, und in der großen Schlacht auf den Ebenen haben sie ihre neue Heimat verteidigt.
Der zweite Mond ist schon in seinem letzten Drittteil, die Tage werden spürbar länger, nicht mehr lange bis zur ersten Tag- und Nachtgleiche, dann wird das Leben wieder lebhafter werden in den Ländern. Es sind klare Tage und Nächte, die sie erleben, Regen und Schnee sind kaum mehr gefallen im zweiten Mond, es wird heller und wärmer. Es fehlen nur noch acht Tage bis zum Beginn des dritten Mondes, und dann geschieht das, was große Veränderungen bringt in Beth’anu und Beth’narn.
Ginjen wundert sich, als er aus dem Bett steigt und aus dem Fenster des Schlafzimmers schaut, es ist klar gewesen in der Nacht, er hat den Mond deutlich gesehen, er sieht auch die Scheibe der Sonne, aber sie ist verschwommen, als ob ein feiner Dunst in der Luft liegt, wie ein Schleier, der den Blick verhängt. Es ist noch früh, sie ist noch kaum gestiegen über den Drat‘kalar, und doch regt sich schon etwas im Haus. Er hört leise Waniris Stimmchen aus dem Nebenzimmer, sie wird zwei im nächsten Mond, sie singt ein Liedchen, das Tenjen sie gelehrt hat. Ginjen erkennt es wieder, es ist das von der kleinen Spinne, das Danima ihm einmal vorgesungen hat, damit ihm die Zeit im Sattel nicht lang wird auf dem Weg von der Feste des Thain zum Haus des Barar von Beth’kalar. Zwei Tage, bevor er am Ufer des Sees mit einem Messer gekämpft hat gegen eine große Echse, weil sie Marino angegriffen hat, den jüngsten Sohn von Barar Metiro. Er ist ohne Sinne liegen geblieben danach, und als er wieder erwacht ist, ist er ein Marun gewesen. Aber sie wohnen immer noch in dem großen Holzhaus, das Tonwin für ihn gebaut hat, und wenn es nach ihm ginge, würden sie hier auch bleiben, es ist Merenos Einfall gewesen, eine steinerne Residenz für ihn zu bauen. Er hört den Riegel gehen an Tenjens Tür, er will sich davon machen, der kleine Schlingel, aber zwei Männer der Garde werden sich an seine Fersen heften, sie werden ihn schon rechtzeitig zur Schule bringen. Er ist sechs geworden im letzten elften Mond, er besucht sie jetzt wie alle Kinder im Dorf. Bis er zehn ist, und danach wird er einen eigenen Lehrer haben, er ist sein Erbe, er soll einmal mehr wissen als seine Untertanen, wenn er der Marun ist. Schreiben, lesen und rechnen sind Fertigkeiten, die sie nicht gekannt haben in ihrer alten Heimat, er hat es selbst erst gelernt, als er schon dreiundzwanzig war, es ist ihm nicht leicht gefallen. Es lernt sich leichter, wenn man jung ist, und auch wenn er jammert wie alle Kinder, Tenjen geht zur Schule.
Er hört Danima erwachen hinter sich, und ein Lächeln geht über sein Gesicht. Sie haben miteinander gelegen in der Nacht, sie hat lustige Einfälle auch ohne Badehaus. Er spürt noch ihre sanften Hände auf seinem Körper, er liebt sie innig, seine junge Frau. Sie hat geweint in seinen Armen, als er zurückgekommen ist aus der Schlacht und sie ihm hat sagen müssen, dass sie kein Kind mehr haben werden, dass sie ihm nur eine Tochter wird geben können, aber keinen zweiten Sohn. Er hat sie liebevoll getröstet, es ist doch nicht ihre Schuld. Und er hat einen Sohn, wenn Tenjen und Waniri ihre einzigen Kinder bleiben, dann hat Melak es eben so bestimmt für sie. Sie ist ihm wertvoller als noch ein Sohn oder noch eine Tochter, der Arzt hat auch ihm gesagt, ein neuer Versuch kann sie ihr Leben kosten, das ist es ihm nicht wert. Dafür liebt er sie viel zu sehr, die junge Frau, die sich einmal still neben ihn gesetzt und seine Hand ergriffen hat, als er geweint hat vor einer Statue des Melak, weil er geglaubt hat, er hätte seinen Sohn verloren.
Und da ist es wieder, dieses leichte Zittern, das er in letzter Zeit so oft gespürt hat, mehr erahnt als gefühlt, aber diesmal wird es stärker. Nicht viel, nur ein wenig, aber es ist mehr als eine Ahnung. Eine der Leisten, die die Platte Glas im Fenster halten, ein Luxus, den sie sich geleistet haben für jedes Haus im Dorf, ist nicht richtig befestigt, er hört sie leise klirren, aber sie fällt nicht heraus. Und dann hört es wieder auf. Danima ist hinter ihn getreten, sie legt ihre Arme um seine Mitte und ihren Kopf zwischen seine Schulterblätter, und er spürt das Verlangen nach ihr mit jeder Faser seines Körpers. Es steht nicht geschrieben, dass man nur in der Nacht liegen darf bei seiner Frau, er möchte sie jetzt in seinen Armen halten. Aber Waniri ist schon wach, sie kann allein heraus aus ihrem Bett und plötzlich durch die Tür kommen, Tenjen ist schon fast aus dem Haus, und was, wenn er zurückkommt, weil ihm einfällt, dass er etwas vergessen hat? Und das Morgenmahl wird schon bereitet in der Küche, er seufzt. Aber so lang sind die Tage ja noch nicht, sie werden früh zu Bett gehen, und dann wird er haben, wonach ihm verlangt. Und Tonwin wird auf ihn warten, sie wollen gemeinsam reiten zu der Stelle, an der seine steinerne Residenz gebaut wird, sehen kann er sie nicht, aber er reitet gern mit ihm. Und er behauptet, die Steine reden mit ihm, er hört es, wenn eine Mauer nicht gerade steht oder ein Balken schief an seinem Platz liegt. Sie lachen dann gemeinsam darüber, aber manchmal scheint es fast, als ob er es tatsächlich kann.
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