Daniel bestellte zwei Bier, ohne den Kommissar und Freund aus alten Tagen nach dessen Wunsch zu fragen.
«Soll ich auch zwei Bier bestellen oder ist eines davon für mich gedacht?», witzelte Philipp.
Daniel antwortete darauf nicht, sondern studierte die Karte. «Bock auf Nippel-Salat?»
«Was?»
«Nippel-Salat», wiederholte Daniel und zeigte in der Karte auf die Empfehlung des Chefs.
«Ist das denen ihr Ernst? Nein, danke, ich verzichte.»
«Wie wäre es dann mit den Stierhoden? Dafür muss nicht mal ein Tier getötet werden. Ist für Vegetarier geeignet.»
«Ja sicher. Die werden kastriert und ... ach, verarsch mich doch», er zeigte auf die Karte. «Ich nehme das Braumeisterschnitzel.»
Daniel bestellte wieder für beide und lehnte sich dann zurück.
«Sieben Jahre bist du nun tot», meinte Philipp nach einer kurzen Schweigepause. «Hast du nicht Angst, dass irgendjemand hinter dein Geheimnis kommt?»
«Nein», log Daniel. Er wusste, dass sein Geheimnis kein Geheimnis mehr war. Nicht nur Philipp, auch Johnny wusste, dass er lebte. «Ich war hier in Giesing im Kindergarten und in der Grundschule. Danach bin ich mit meiner Familie nach Südafrika gegangen, das weißt du. Als Offizier bin ich dann zwar nach München zurückgezogen, aber Kontakt hatte ich mit niemanden. War auch viel zu selten hier.»
«Außer mit mir», meinte Philipp.
«Und mit deiner Frau», grinste Daniel. «Die ...»
«Erspar mir diese Geschichte!», sagte der Kommissar schnell und meinte dann weiter: «Du hast also nie in München wieder Kontakte geknüpft. Außer mit mir?»
«Mit Leuten aus der Grundschule? Nein. Warum auch?»
«Keine Freundschaften? Nichts?»
«Ich hatte Kameraden», meinte Daniel und nickte dem Kellner zu, der zwei Bier auf den Tisch stellte.
«Und mich!»
«Und dich. Aber das war Zufall. Ich hätte nie erwartet, dass ich in München nach so vielen Jahren jemand aus der Grundschule wiedertreffe.»
Philipp nickte. Er erinnerte sich an die Nacht in der Disko. Er hatte Daniel nicht wiedererkannt. Und es war reiner Zufall gewesen, dass seine Frau mit ihm ins Gespräch gekommen war. Eine Stunde hatte es gedauert, bis beide verstanden hatten, dass sie sich kennen. «Du bist ein einsamer Mensch. Und das nicht nur jetzt. Du warst es im Grunde, seit du aus Südafrika zurückgekommen bist. Ich verstehe nicht, dass du keinen Anschluss gesucht hast.»
«Ich habe mich auf meine Karriere als Soldat konzentriert. Nicht mehr und nicht weniger.»
«Die Frau, die vorher da war», meinte Philipp und wechselte damit abrupt das Thema. «Sie hat ihn identifiziert. Es ist ihr Ehemann.»
«Okay ...», murmelte Daniel und nahm einen kräftigen Schluck. «Ich kenne die Frau nicht. Und auch nicht diesen Mann.»
«Was hat es mit diesem Barettabzeichen auf sich?»
«Herrgott, ich weiß es nicht», schimpfte Daniel. «Ich habe in jedem Fall nichts damit zu tun.»
«Habe ich auch nicht behauptet. Aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass du mehr weißt.»
«Ach ja? Und was?» Er hatte keine Ahnung, was hier los war. Aber irgendwas stimmte nicht. Er hing mittendrin, ohne bisher dabei gewesen zu sein.
Kommissar Philipp Walter seufzte. «Nun, ich weiß es nicht. Du hast doch immer gesagt, dass die Fallschirmjägertruppe klein ist.»
Das Essen kam und Daniel antwortete deshalb erst einmal nicht. Erst als der Kellner wieder weg war, flüsterte er: «Ja, sie ist klein. Aber so klein auch wieder nicht. Und die Uhren haben sich weitergedreht. Ich bin schon lange nicht mehr dabei. Ich weiß es wirklich nicht. Und du kannst dir nicht einmal sicher sein, dass es irgendwas mit Fallschirmjägern zu tun hat.»
«Es sieht mir doch wie ein symbolischer Akt aus. Dieses Barettabzeichen.»
»Lass uns essen, verdammt.»
«Ist bei euch noch Platz?», meinte ein etwa zwanzigjähriger Kerl, der leicht verlottert aussah. Die Haare wirr, im Gesicht trug er einen ungepflegten Dreitagebart. Hinter ihm stand eine junge Frau, nicht unbedingt hässlich aber auch nicht gerade eine Schönheit. Ihr Haar wirkte fettig.
«Ja!», meinte Daniel ohne auch nur annähernd Höflichkeit in seine Stimme zu legen.
Ohne ein Wort setzten sich die beiden.
«Wo waren wir stehengeblieben?», fragte Daniel.
Philipp schüttelte den Kopf. «Schon in Ordnung. Lassen wir das.»
«Gut, dann lass uns essen.»
Während die Beiden schweigsam aßen, stritten sich die junge Dame und der junge Mann. Es ging wohl um eine andere Frau.
«Könnt ihr euch kein Zimmer nehmen?», fragte Daniel.
Die junge Frau schaute ihn an. Man konnte ihr förmlich ansehen, dass sie kurz davor war wie ein Wasserfall zu reden. Und das tat sie nach einer Sekunde des Nachdenkens auch. «Wir sind nicht zusammen. Er ist mein Ex. Und ist jetzt in meine Freundin verknallt. Aber die will nichts von ihm ...»
«Stopp!», meinte Daniel und unterbrach sie barsch. «Sehe ich aus wie ein Seelenklempner?»
Der junge Kerl grinste, sie schien etwas beleidigt.
Philipp hingegen tat interessiert. «Ihr beide wart zusammen? Und nun will er Tipps von dir, wie er deine Freundin rumkriegt?»
«Das ist Giesinger Ghetto, Herr Kommissar», seufzte Daniel und steckte sich dann ein großes Stück Fleisch in den Mund.
«Wir verstehen uns halt noch gut, wo ist das Problem?», motzte die junge Frau. «Und er hat keine Ahnung, wie man eine Frau rumkriegt.»
Daniel grinste, schluckte und meinte: «Lass mich raten, wenn du nicht besoffen gewesen wärst, dann hättest du dich auf ihn gar nicht eingelassen, richtig?»
«Ich trink keinen Alkohol», meinte sie und es klang stolz.
«Sie war vollgekifft», grinste der junge Mann.
«Arschloch», blaffte sie ihn an und schaute dann zu Daniel. Mit einem Blick, der durchaus Tendenzen eines billigen Flirts hatte. «Du kennst dich doch sicherlich mit Frauen aus, oder? Hast du ihm nicht einen Tipp?»
«Du solltest ihr ein Schwanzbild schicken. So völlig aus dem Kontext heraus. Kommt gut an, glaube es mir!», meinte Daniel. Er schaute den Kerl von oben bis unten an. «Es sei denn, dein Ding ist so eine Art Mikropenis!»
Sie lachte laut. Wurde aber dann wieder ernst. «Nein, das ist eine Scheißidee. Frauen hassen das.»
«Ja, Emanzenfrauen hassen das. So richtig heiße Frauen stehen drauf», grinste Daniel.
«Das ist doch Unsinn», mischte sich Philipp nun ein. «Rede doch den Kindern nicht so einen Quatsch ein!»
«Kinder? Ernsthaft?», fragte die junge Lady.
Daniel lachte. «Herrgott, ich provoziere ja bewusst, aber du hirnverbrannter Depp meinst das auch noch so. Lernt man das auf der Polizeischule? Oder im Kommissariatslehrgang?»
«Verzeihung, ich wollte Sie nicht ...», Philipp stotterte.
«Du bist ein Bulle?», fragte der junge Kerl.
«Herrje, Giesing ist einfach geil», grinste Daniel.
Philipps Handy klingelte. Er ging ran. «Ja?»
Daniel hörte nicht hin. Er aß sein Fleisch.
Es dauerte einen Moment. «Wir haben eine weitere Leiche», meinte Philipp und stand auf.
«Eine Leiche? Gott, wie geil ist das denn?», fragte der junge Typ, der noch immer nichts bestellt hatte.
Philipp reagierte nicht drauf. Er schaute Daniel an. «Was ist? Kommst du mit?»
«Entschuldige, aber ich bin beim Essen.»
«Man hat erneut ein ...», Philipp schaute zu den beiden jungen Leuten und sprach es deshalb nicht aus.
Für Daniel war es ohnehin klar. Ein weiteres Barettabzeichen. Das musste der Kommissar nicht aussprechen. «Ich kann dir nicht helfen!»
«Ich melde mich morgen», seufzte Philipp und kramte nach seinem Geldbeutel. Er legte zwei Zwanziger auf den Tisch.
«Du isst das nicht mehr, oder?», fragte Daniel und zog schon den Teller von Philipp zu sich.
«Ich lasse es mir nicht einpacken, wenn du das meinst», dann ging er Richtung Ausgang.
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