1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 „Mein Mann“, begann sie, „ist kein sehr kameradschaftlicher Typ.“ Dabei stellte sie das eine Bein seitlich nach vorn, sodass ihr Fuß zur Ansicht kam. „Während ich“ – eine leichte Bewegung in der Hüfte – „in der Küche stehe und das Abendbrot zubereite, hält er sich bequem im Wohnzimmer auf und sieht bereits fern.“
Der Bezug zur Wissenschaft baumelte bei solchen Ausführungen ziemlich frei in der Luft; doch jene sah darin eine Veranschaulichung und Aufweichung der sonst so spröden Wissenschaft, mit der sie einem vorschnellen Ermüden der Zuhörerschaft vorzubeugen versuchte. Der Erfolg, den diese Exempel bei der Studentenschaft hatten, gab ihr Recht. Die Ohren der Zuhörer öffneten sich mehr als sonst, und nachlässige Sitzpositionen veränderten sich zu aufrechten Haltungen, wenn sie mit Hüftschwung aus ihrem Eheleben zu erzählen begann. Am Schluss musste sie dann den seidenen Faden, an dem alles hing, wieder zu einem Bogen spannen, der zur Wissenschaft zurückführte, was sie auf griffige Weise zu tun verstand. Was dieser Zeit mit der Verliebten geschah, die geradeaus zum Pult starrte und jene scharf ins Visier nahm, war eine Überraschung. Für sie hatte sich die Geliebte in ihrer Abwesenheit stark verändert, denn sie glich jener Person, mit der sie so oft bis in die Morgenstunden geplaudert hatte, kaum; eigentlich waren es nur die weißen, flachen Schuhe und die blaue Hose der Frau, die ein vertrautes Bild hervorriefen. Mit Bestürzung blickte sie auf die Dozierende, dass sie es war, die ihr Herz aus der Verkühlung geholt haben sollte. Und später, als sich jene einer weiteren Veranschaulichung der spröden Wissenschaft zuwandte, zweifelte sie gar, ob es die Geliebte überhaupt gab. Die Welt schien ihr eine einzige große Einbildung zu sein, in der es keine Wirklichkeit gab und schon gar nicht zwei davon; alles, was man sah, wie der seitlich vorangestellte Fuß der Geliebten, war nur Täuschung.
Verwirrt richtete sie den Blick auf ihre Schuhspitzen. Nur Augenblicke später jedoch schob sich ein Vorfall dazwischen, der die Verwirrte wieder auf ihre Füße stellte und, Einbildung hin oder her, ihre Alarmglocken heftig schrillen ließ. Der Schwätzer neben ihr war, als sich die Tür geöffnet hatte und jene Frau hereingetreten war, sofort verstummt und hatte seinen Hals lang ausgestreckt. Der Verliebten war das wegen ihres verzagt gesenkten Kopfes nicht gleich aufgefallen und es wäre ihr auch nie in den Sinn gekommen, dass dieser da allen Ernstes ein Auge auf ihre Geliebte geworfen hatte. Sie bemerkte es erst, als jene ihre Anschauungsbeispiele beendet hatte und ihr Blick an dem Schwätzer hängen blieb. Die beiden blickten einander in die Augen, bis der Schwätzer über beide Ohren rot wurde und verschüchtert den Kopf senkte. Für einen Moment saß die Verliebte wie vom Donner gerührt; doch der Schwätzer ließ keinen Zweifel daran, dass auch sein Herz getroffen worden war, denn sein Kopf behielt eine verstohlene Röte und sein Blick blieb gesenkt. Die Verliebte war auf eine solche Wandlung der Dinge nicht vorbereitet; es traf sie unverhofft und dafür umso heftiger. Sie war elektrisiert und schüttelte die wie vom Donner gerührten Glieder. Mit schrägem Blick sah sie zu jener am Pult hinüber, die ihre Brille putzte, und lenkte ihn dann zu dem Schwätzer, dessen Röte langsam nachließ. Zuallererst wollte sie sich ein genaues Bild von ihrem Nebenbuhler machen. Da er praktischerweise gleich neben ihr saß, konnte dies unauffällig und sofort erfolgen. Sie fing oben an und musterte seine Locken. Bei eingehender Betrachtung kamen sie ihr ein wenig zu hübsch, zu weibisch vor, wodurch sie seinem Gesicht in ihren Augen eine konturlose Weichheit verliehen. Sie blickte weiter hinab. Seine Schultern besaßen athletische Maße und bügelten damit das charakterlose und schlaffe Gesichtchen ein wenig aus, doch darunter verengte sich sein Körper plötzlich, wurde in den Hüften äußerst schmal und dürftig, als hätte man ihn durch einen zu engen Flaschenhals gezwängt, schließlich gar fiel sein Körper immer weiter ab, sodass er seine Hose nicht trug, sondern sie an ihm hing und die Verliebte sich fragte, ob er überhaupt etwas in der Hose hatte. Alles in allem fing sein Körper hoffnungsvoll an, endete dann aber mit einer glatten Enttäuschung.
Nach der Begutachtung, die sie zu dem eindeutigen Ergebnis brachte, dass der Schwätzer keine Gefahr für sie darstellen würde – denn unmöglich könnte sein pummeliges Gesicht und sein magerer Hoseninhalt ihrer hohen, schlanken Gestalt etwas entgegensetzen –, lehnte sie sich zurück und verschränkte die Arme.
Die Vorstellung, dass ein anderer ihre Geliebte ebenso begehrte, ließ ihre Fantasie erblühen, und die ihr eben noch so fragwürdige und fremde Frau wurde zu einem außergewöhnlichen Geschöpf, dessen weiß beschuhter Fuß frei zur Ansicht stand und von der Verliebten bereitwillig beschaut wurde. Erstmals träumte sie nicht mehr allein zu Hause und horizontal von der Frau, sondern in deren direkter Anwesenheit, mehr noch, nur wenige Schritte von ihr entfernt. Auch die Träume selbst waren nicht mehr mit den vorhergehenden zu vergleichen. Bisher hatte sie nur mit der Geliebten geplaudert und war an ihren Lieblingsorten spazieren gegangen; das alles war harmlos gewesen und nur von dem Wunsch getragen, die ferne Geliebte möglichst dicht bei sich zu haben.
Nun jedoch, im Angesicht jener Frau, spürte sie zum ersten Mal Pikantes. Allem voran stellte sie einen Kuss, den sie den dozierenden Lippen der Geliebten zuwarf. Kurz darauf stand diese bereits unbekleidet hinter ihrem Pult. Die Verliebte ging mit langsamem, aber festem Schritt auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Sehr bedächtig neigte sie ihren Kopf, legte ihn der Geliebten auf die Schulter und verharrte eine Weile, bis sie wie eine Sterbende, die all ihre Kräften verlassen hatten, vor ihr auf die Knie sank und ihren seitlich vorangestellten nackten Fuß küsste. Die Geliebte am Pult und rührte sich nicht. Vermutlich erschauerte sie gerade. Ermutigt von ihrer duldsamen Haltung löste die Verliebte die Lippen vom Fuß der Geliebten und fuhr mit der Zungenspitze über deren Waden bis hoch zwischen die Schenkel. Hier hielt sie inne. Auf ihren Lippen fühlte sie einen stark hämmernden Pulsschlag und wusste nicht, ob er von ihr oder von ihrer Geliebten stammte. Beide schlossen die Augen und sogen den rauschhaften Moment ganz in sich ein. Die Geliebte verströmte einen angenehmen Duft zwischen ihren Schenkeln, den die Verliebte tief in sich aufnahm, um ihn als kostbare Erinnerung für immer zu bewahren. Auf ihren Lippen spürte sie indes eine zunehmende Feuchtigkeit, die nur von der Geliebten herrühren konnte, die bereits mit nach hinten geworfenem Kopf ein Bild vollkommener Hingabe bot.
An dieser schönen Stelle erwachte die Träumende abrupt und ein wohliges Stöhnen entrann ihren Lippen. Rasch war die Frau am Pult wieder bekleidet und gerade dabei, weitere Anschauungsbeispiele zur Aufweichung der spröden Wissenschaft zu geben. Die Verliebte sah sich erschrocken, mit weit geöffneten Augen auf den Hochschulbänken um. Zu ihrem Glück hatte niemand den Kuss zwischen die Schenkel jener Frau bemerkt, nicht einmal der Schwätzer neben ihr. Sie atmete erleichtert auf und versuchte, sich zu konzentrieren. Dazu setzte sie sich aufrecht hin und lauschte den Worten der Frau am Pult. Dank der Anschauungsbeispiele hatte sie schon vieles aus dem Privatleben der Frau erfahren und schon einige Male versucht, sich ein Bild davon zu machen. In ihrer Vorstellung wollte sie jene nicht als tätige Hausfrau und leidendes Eheweib sehen, und erst recht nicht gehörte sie allabendlich vor den Fernsehapparat. Ihre Geliebte war gebildet, einfallsreich, witzig und rundum ein Mensch, der seine privatesten Stunden nur auf besondere Weise verbringen konnte. Allerdings hegte sie schon längst den Verdacht, dass es mit dem Wind, den die Geliebte um sich machte, in Wirklichkeit nicht viel auf sich hatte. Und in der Tat war jene Frau am Pult in die Welt, die sie repräsentierte, nicht durch hervorragende Geisteskraft gekommen, sondern hatte all ihre Kräfte zusammennehmen, Fleiß, Ehrgeiz und Verbissenheit ständig parat haben müssen, um schließlich als kleiner Stern am akademischen Himmel glänzen zu können. Die Verliebte störte so viel Gewöhnlichkeit nicht, vielmehr wunderte sie sich, warum jene Frau, die so viel tat, um geistreich zu erscheinen, durch ihre Anschauungsbeispiele die gute Tarnung auf derart läppische Weise verspielte. Die Verliebte fand, dass sie mit ihrem Hintern genau das wieder einriss, was sie sich mühevoll aufgebaut hatte.
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