Katrin Sell - triste
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Inhalt
Dich vergessen Dich vergessen Während jeder schreitet, in ein Blütenfeld oder in Gruben und Aushöhlungen, in seinen Tag hinein, wie ein Tag sein kann als Wiederholung oder Ereignis, rinnt Wasser verstohlen im Hintergrund, als unterdrückter Schmerz, in dessen Zwerchfell ein Atmen ist, auch ein Schrei, meinetwegen von jener Art, die hervorbrechen will, doch nicht zu den einfachen Dingen passt. Denn stell dir vor, plötzlich sprichst du von glühenden Namen und der erwürgten Braut, sprichst von Erinnerungen und grausamen Umständen, denen nichts entnommen werden konnte, außer einer fieberhaften Krankheit und dem Verlust von tausend Küssen. Es bedeutet weiter und sprich nur von Dingen, von gekauften Kleidern und Kaffeetassen, von Terminen und Autobahnen. So ist es. Sich die Oberfläche zu eigen zu machen, und das Geschrillte selbst niederschreien oder sich abwenden vom Gekrächze der eigenen inneren Stimme und das ohne Mitleid, was heißt, den Schmerz bei sich selbst ausrotten, ihn verschlingen und sich irgendwo hintreiben lassen. Und Tau kommt dann vielleicht, auch ein frisches Gewächs, das dem versehrten Morgen einen Anreiz gibt, die verdunkelten Straßen zu vermeiden; und wie jemand zu sein, der nicht mehr fragt: Warum dies? Das nennt sich Strategie und braucht den Kopf, ärztliche Verordnungen und Willen zur Überwindung; die starke, rosige Hand, auch den Roboterarm, der öfter empfindungslos über Rosen streift, damit nicht alles Eindruck und Sanftheit ist. Ja, ein Lächeln, wenn nichts gelingt. Hier sind Wochen, in denen man an einem Dorn festhing und die niedergetrampelte Angst von Neuem kam, es nicht zu schaffen, was so scheinbar existiert zwischen Kaffeehausluft und Fußballplatz, eben dieses Leben, befreit und nicht in Nächten verschüttet. Jeder Winkel der Seele, ihr weiches Mark, klammert sich an mir fest, dich nicht auszusortieren wie zerstörten Hausrat, dabei bist du das wasserlose Gras und stumm wie hundert Tote zu mir und sprichst von Terminen wie andere von ihren Kindern. Eitle Füchsin, sagt etwas in mir, denn ich kenne dich als Zwielicht und habe dir deine Bücher hinterhergetragen und dich verehrt wie ein Knabe die schlaksige Abiturientin. Das geht so durch die Tage, eine niedergerungene Leidenschaft, von der niemand hören will, nicht einmal du selbst.
Energien Energien Blendender Tag, eigentlich. Irgendetwas müsste es zu heben oder zu werfen geben; die bunten Kugeln eines Clowns oder die verwitterten Kohlköpfe in den Auslagen der Gemüsehändler. In dieser Sekunde jagt eine Flamme durch den Körper: Dich müsste es geben, mit deinem rührseligen roten Lippenstift, damit ich in dein Haus gehen kann, wie ein halber Mond, knapp an der Erfüllung vorbei. Es bliebe danach eine erneute Freude und immer ein Davor . Doch da liefen einem die Nerven davon. Ja, ich habe gespürt und hatte gehabt . Hatte das romantische Palaver und die offene Frage, die Schwerelosigkeit und den klaren Verstand, der sich im Nachdenken bildet. Deshalb geht dieser Morgen so dahin, mit seiner waghalsigen Wucht. Nennt es Erfüllung, was es auch war. Trotzdem bleibt ein bettelndes Tier in den Eingeweiden und ein bohrender Drang, der fordert und schraubt und auf Einfälle pocht, etwa, den Kopf durch Wände zu schieben und die Makler zu verdreschen. (Gleich einen ganzen Haufen, ihr versteht.) Jemand hatte die Vorstellung, und es gefiel mir sehr, eine Weile auf Bäumen zu leben. Da wären dann andere Einsichten, die braucht man doch, eine andere Art, ein anderes Sitzen, Fassen und Gehen, andere Erkenntnisse wie verborgen gehaltene Flügel. Jedoch: Oft bleiben ein Aufschrei, eine Pappel und ein Fänger im Tor, mit seinen verschwitzten Schuhen. Irgendwann kommt der Zwang, sich zu verteidigen. Was hast du gemacht? Mitunter lässt sich sagen: Leuchter zerbrochen und Schatten gesehen. Doch immer ist da eine aggressive Hektik und manchmal das Irre hinter Vorhängen und eine Glocke ohne Seil. Dich quält er auch, der manische Moment, stürzen zu wollen und herauszubrechen. Wenn die Kraft aus den Poren fließt, kommen die Möglichkeiten, kleine widerspenstige Reize sind es, mit viel Größe und Geschrei. Ach, es bleiben Reste einer unvollendeten Idee, wie silberne Zöpfe liegen sie auf Dachböden.
Und immer weiter Und immer weiter An diesem weißen Morgen – eine kleine Übertretung sei erlaubt, es ist Abend, und der ist, von einem flüchtigen Stern abgesehen, dunkel. Was geht einen die Wirklichkeit von mondsüchtigen Poeten an? Inmitten der Poesie ist es fatal, sich nach dem Befinden des Schreibenden zu erkundigen. Der schüttelt oft Nester aus und spricht von Inspiration. Heute wurde irgendwo das Leben von unerschrockenen Männern auf Papier gedruckt. Die habe ich von ferne gesehen. Ihr lebenslanger Mut blieb niemandem verborgen, denn ihre Flugzeuge flogen höher als andere, und ihre Augen sahen mehr als üblich. Bei so was möchte man sich die Fingernägel benagen und an dunkle Kinosäle denken. Dort läuft ein unerschütterlicher Held durch Wände, ist in Shanghai oder Bombay. Und lässt sich von Seilen herab auf den Planeten fallen. Ein Beifall für ihn, denn er kann auch Rebhühner verschlingen. Ein weit glänzendes Abenteuer wird es heute geben, denn der Morgen ist immer noch weiß, und die Fische beißen gut. (Das will man so.) Wenn man still sitzt, von mir aus auf Dünen oder in Couchgarnituren, fallen einem manchmal die eigenen Beine auf, die Muskelpartie, die weiche Haut an den Waden, und es denkt sich, wie es sich so denkt, die Prinzessin zu befreien, ihre fabelhaften weißen Füße zu küssen. Ach ja, seufzt es, immer wieder das: das passive Weib. Ich gebe zu, und auch du, kleiner Bruder neben mir, mit der geliebten Sonne überm Kopf, bist nicht frei davon, etwas retten zu wollen, feministisch korrekt diesmal und mit kleinen Hunden auf den Armen. Da stehe ich, nackt, manchmal, mit einer tödlichen Waffe in der Hand, und halte Ausschau nach dem Gegner: Eine ordentliche Klopperei könnte mir die Sinne wieder richten. Das bleibt so eine Hypothese. Eine herabgesunkene Welt ist es jedes Mal, von Totenschädeln und Fledermäusen, wenn man sich aufrichtet aus den vermummten Aggressionen, um Gymnastik zu treiben und Zeitungen zu lesen. Gewiss, ich will meine Maschine putzen und das ölige Ding anschmeißen wie ein freundlicher Auerhahn. Früh ist es noch und ganz weiß. Und eine Hundeschnauze leckt an meinen Füßen.
Selbstermutigung Selbstermutigung Nennt alles, wie ihr es wollt, und fügt den Dingen Namen hinzu. Eine Beschreibung muss wenigstens sein für die Entdeckungen und die vielen Erfindungen in den Laboren und Büros. Aber ich werde ab heute vergessen, fürchte ich, durch Häuser gehen wie durch erstarrte Gebiete und verunglückte Schiffe sehen. Denn das Eigentliche verweigerte sich, das sich beschrieb, als ein tägliches Gehen und Lachen. Es waren Tage, fast ein Leben, inmitten von Menschen, vorbei an windigen Kaffeeautomaten und Radiostationen; Geburtstagsfeiern auf hoher See gab es noch, eigentlich viel, was sich bewegte und auf angenehmen Sohlen ging, gerade so: ein unaufhörliches Bauen von Häusern. Irgendwann, fragt mich nicht nach Zeiten, flossen Rufe und Namen durchs Hirn, und das Vertrauen wurde ein Papier zum Schiffchenbauen. Verklagt mich nicht, weil ich keine Versprechen mehr kenne und an Orte gehe, die bleiern sind und zu vergrämt, beständig fragend: Wie lange noch? Die Ewigkeit kam . Als böser Stoß. Als ein: Nie mehr! Nie mehr! Und ging in die Knochen und setzte sich dort nieder, im Schlamm grabend, als anhaltendes Sterben ohne Wiedersehen. Jetzt überschaust du die Häuser, plötzlich, hältst deine Asche in den Händen und denkst an die Zärtlichkeit der toten Mädchen und führst dir vor Augen die fürchterlichen, bissigen Wahrheiten, auch dass dein Kätzchen nun schläft, in einem Pappkarton unter der Erde, seinen Schlaf, den man den ewigen nennt; und erinnerst dich an die, die in den Meeren treiben, von Schiffen gefallen. In diesem Gewimmel der Sehnsüchte und des Vermissens gibt es keinen unwahrscheinlichen Moment mehr. Wenn dem so ist – und ich befürchte, die Dinge liegen so –, wäre dies: ein Zuruf im richtigen Moment und ein lyrisches Gefühl mal eben.
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