„Und was hast du für Beweise?“ Wie ein trotziges Kind kaute er an seinen Fingerknöcheln. „Du hast gesehen, wie ich sie ihr angeboten habe. Hast du gesehen, wie sie sie genommen hat?"
Beweise. „Wenn du tatsächlich unschuldig bist, liegt es in deinem eigenen Interesse, herauszufinden, was dahinter steckt."
Dennis zeigte ihr den Vogel. „Jetzt bist du völlig übergeschnappt. Wie stellst du dir das vor?"
„Lass dir etwas einfallen."
Dennis runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe keine Ahnung, woher mein Onkel die Arzneimittel bezieht. Bisher dachte ich, von irgendwelchen Pharmafirmen."
Entweder war er ein guter Schauspieler oder er meinte es ehrlich. „Und wie erklärst du die Fahrerflucht?"
„Die werden auf eigene Kasse gewirtschaftet haben. Klar, dass die nicht erwischt werden wollten. Im Grunde genommen ist mein Onkel der Betrogene."
„Mir kommen gleich die Tränen. Wenn dem so ist, umso besser. Erkundige dich, was es mit der Lieferung auf sich hatte und überprüfe die Lieferanten."
Dennis fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Trotzdem fürchtete sie, dass ihn diese Fälschungen nicht die Bohne interessierten.
„Ich werde es mir überlegen“, murmelte er nach schier endlosem Schweigen. „Im Gegenzug gehst du nicht zur Polizei.“
Na, das hätte sie sich denken können, dass es darauf rauslief. Aber besser als nichts.
6. Kapitel
Wolfgang war nicht zu Hause. Dennis öffnete den Medizinschrank, der eine große Auswahl an Arzneimitteln enthielt. Alles stand thematisch geordnet in Reih und Glied, wie es sich eben für einen Arzneimittelgroßhändler gehörte. Er nahm gleich zwei Schmerztabletten. Für die geschwollene Lippe holte er eine Kühlkompresse aus dem Gefrierschrank, dann legte er sich aufs Bett. Langsam ließ der Schmerz nach. Er dachte an Lena. Die hatte doch ein Rad ab. Bildete sie sich allen Ernstes ein, er würde Wolfgang hinterherspionieren?
Aber wenigstens würde sie vorläufig nicht zur Polizei gehen, das verschaffte ihm etwas Zeit. Im Moment fühlte er sich wie ein Krieger, den die Gegner von allen Seiten gleichzeitig attackierten, der nicht wusste, an welcher Front er sich zuerst wehren sollte. Zweifelsfrei stand fest, dass er etwas unternehmen musste. Nur was? Er drehte die Kühlkompresse um, legte sie auf die Lippe und schloss die Augen. Die Gedanken schwirrten ihm nur so durch den Kopf. Bilder der toten Nicole und von Knolle jagten vorbei, dann sah er wieder Lena vor sich. Ihr dämliches Grinsen, als sie ihn gefunden hatte. Was bildete die sich überhaupt ein?
Warum war sie so versessen darauf, Wolfgang etwas anzuhängen? Auf ihn müsste sie wütend sein, nicht auf Wolfgang. Egal. Sollte sie doch ihren Rachefeldzug alleine führen.
Aber was, wenn sie Recht hatte? Ganz gleich, was er von ihr hielt, entweder hatte jemand ihnen etwas untergemischt oder mit den Kapseln war etwas faul.
Er stand auf. Er musste raus, etwas unternehmen, ganz gleich was.
Das Seitenfenster heruntergekurbelt, fuhr er durch die Stadt. Fahrtwind kühlte sein Gesicht.
Im „Seven-up“ war nicht viel los. Zwei Teenies verrenkten sich auf der Tanzfläche, ein Pärchen knutschte in der Kuschelecke und am Tresen lehnte ein älterer Mann in einer speckigen Lederjacke. In dem Licht sah er aus, als könnte er Bud Spencer doubeln. Bestimmt ein Penner, der sich ein Bierchen erbettelt hatte.
Dennis war froh, dass Frank und die anderen nicht da waren. Jacks Wut war bestimmt noch nicht verraucht. Besser, seine Freunde kriegten davon nichts mit. Er rückte einen Barhocker zurecht und setzte sich, weit entfernt vom einzigen Gast an der Theke. Noch immer taten ihm bei jeder Bewegung Bauch und Rippen weh. Hoffentlich war es schummrig genug, dass keiner seine Verletzungen im Gesicht bemerkte.
Jack kam aus der Küche, mit einer Zigarette zwischen Zeigefinger und Mittelfinger.
„Ein Bier – ne, doch lieber eine Cola“, entschied Dennis.
Jack legte die Kippe im Aschenbecher ab, beugte sich zu Dennis vor und schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Eins sage ich dir. Noch mal machst du keine solche Sauerei.“
„Schon gut.“ Dennis zückte seinen Geldbeutel, legte einen Fünfzig-Euroschein auf die Theke und zwinkerte. „Fürs Putzen.“
Jack beugte sich weiter nach vorn und packte ihn an den Schultern. „Ich meinte die Sauerei mit den Pillen. Das Zeug taucht in diesem Laden nicht noch einmal auf. Verstanden?"
Dennis nickte, auch wenn er sich noch immer keiner Schuld bewusst war. Jack ließ ihn los und steckte den Geldschein in die Hosentasche. „Du lässt dich in den nächsten Wochen besser nicht mehr hier sehen. Kapiert?“
Dennis strich sich das Haar nach hinten. Als ob er der einzige wäre, der hier irgendwelches Zeug vertickte. Aber im Moment hatte er keine Lust auf eine Diskussion. Der Laden kotzte ihn sowieso an. „Hast du Knolle gesehen?“
Jack zapfte eine Cola und stellte das Glas auf den Tressen. „Vergiss es. Von dem stammte das Zeug nicht. Der war gestern nicht hier." Er nahm seine Zigarette, drehte sich um und ging wieder nach hinten.
„Was hast du mit Knolle zu tun?" Das Bud-Spencer-Double setzte sich auf den Hocker neben ihn. Er war etwas älter als Wolfgang. Vielleicht lag es aber auch am Vollbart und dem bläulichen Strahler, der auf ihn gerichtet war.
„Nur ein kleiner Rat.“ Er hob sein Glas, als wollte er mit Dennis anstoßen. „Halt dich fern von ihm und seinem Kumpel. Das, was die machen, ist eine Nummer zu groß für ein Würstchen wie dich." Dann schlürfte er den Schaum ab.
Auch wenn er sich im Moment wie eine durchgedrehte Mettwurst fühlte, gab das noch niemandem das Recht, ihn Würstchen zu nennen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er den Alten an. „Was wissen Sie über die beiden?"
„Du bist Finkels Neffe.“
Der Typ überrascht ihn immer mehr. Woher kannte der ihn? Ausgerechnet heute tauchte er auf, sprach ihn auf Knolle an.
„Laufen die Geschäfte deines Onkels gut?“
„Was geht Sie das an?“
„Schau dir deine Partner gut an, bevor du dich auf sie einlässt. Dein Onkel ist da nicht so wählerisch.“ Der Alte grinste. Es war jedoch kein überhebliches Grinsen. „Nicht jeder ist für diese Geschäfte geeignet. Und mancher holt sich mehr als bloß ein paar Schrammen."
Dennis musterte den Unbekannten genauer. Für einen Penner waren seine Schuhe und der Bart zu gepflegt. Auch die Lederjacke sah nicht wie Secondhand-Ware aus, obwohl sie schon etwas aus der Mode war. Polizei?
„Warst du gestern dabei, als die Kleine umgekippt ist? Das Zeug verbreitet sich wie eine Seuche in der Stadt. Lass die Finger davon!" Der Mann trank sein Glas leer und stand auf. „Sie ist zwar die erste, die daran gestorben ist, aber den anderen ist es auch nicht besonders gut bekommen.“
Ein Bulle, überlegte Dennis, würde ihn verhören, nicht warnen. „Sie sind nicht zufällig hier, oder?“
Der Mann sah ihn seltsam an. Er lächelte. „Ich wollte dich kennenlernen - und dich warnen.“
„Warum?“
„Das spielt keine Rolle.“ Ohne weitere Worte verließ er den Club.
Dennis sah ihm hinterher, war unfähig etwas zu sagen oder ihn aufzuhalten. Er bekam eine Gänsehaut. Die Warnungen waren zwar überflüssig, er wollte mit Knolle sowieso nichts mehr zu tun haben, aber jetzt wurde er das Gefühl nicht los, dass das schwieriger war, als er befürchtet hatte. Sollte er mit Wolfgang darüber reden? Immerhin war er seit vielen Jahren wie ein Vater für ihn und hatte ihm schon aus so mancher Patsche herausgeholfen. Aber dann müsste er zugeben, dass er ihn bestohlen hatte. Und so wie der heute Morgen drauf war, nahm er das nicht einfach so hin.
Dennis drückte auf den Garagenöffner, das Tor fuhr hoch. Wolfgang hatte seinen Mercedes so weit in der Mitte geparkt, dass er korrigieren musste, um in die Lücke zu passen. Zum Aussteigen musste er sich regelrecht aus der Tür quetschen.
Читать дальше