Im August 1950 reiste Familie Blau per Autofähre von Hamburg nach Schweden, wo man für einige Wochen ein Ferienhäuschen in der Nähe von Eskilstuna gemietet hatte. Doch Karl Hubertus Blau war nicht für den Müßiggang am Badesee geschaffen. Und so setzte er sich bereits am Morgen des dritten Urlaubstages ans Steuer seines Mercedes, um die Gegend zu erkunden. Ganz besonders interessierte es ihn, womit denn die Leute hier ihr Geld verdienten. So kam es, dass er durch Zufall auf eine kleine, von außen unscheinbare, an einer zweispurigen Landstraße am Waldrand gelegene Fabrik stieß. Das weißgetünchte, nahezu fensterlose Gebäude verfügte lediglich über zwei Etagen, davor mehrere Laderampen für den Abtransport der Waren. Die ganze Anlage machte einen gepflegten, schmucken Eindruck. Drinnen wurde Karl Hubertus Blau, der ein recht passables Englisch sprach, von einem zwar überraschten aber dennoch freundlichen Produktionsleiter in Empfang genommen, der ihm erklärte, dass man hier die berühmten schwedischen Holzschuhe herstelle, darüber hinaus produziere man auch noch Lederpantoffeln mit Korksohle, die insbesondere bei Ärzten und Krankenschwestern besonders beliebt seien. Der Produktionsleiter, der sich als Gustaff Kunnsonn vorstellte, bot sich an, Karl Hubertus Blau die Fabrik zu zeigen, der dieses Angebot mit einem breiten Grinsen und vor Glück erhöhtem Puls annahm. Während des Rundgangs, bei dem sich der erste gute Eindruck von der schmucken Schuhproduktion bestätigte, formte sich vor dem Geistigen Auge des Hamburger Vollblutkaufmanns bereits die Vision einer neuen Geschäftsidee: Vorausgesetzt, ihm würde es gelingen, die schwedischen Gesundheitsschuhe zu einem Spottpreis nach Deutschland zu importieren, so könnte er diese dort mit sattem Gewinn an die nun allerorten wieder entstehenden Arztpraxen, Krankenhäuser und Sanatorien verkaufen. Schon eine Woche später traf sich Karl Hubertus Blau im rund 100 Kilometer von Eskilstuna entfernten Stockholm mit den Besitzern der Fabrik, mit denen er sich, nach einem zermürbenden Verhandlungsmarathon und anschließendem wüsten Trinkgelage, handelseinig wurde. Karl Hubertus Blau war jetzt Deutschland-Exklusivimporteur für original schwedische Holzschuhe sowie echt schwedische Gesundheitspantoffel mit Korksohle und perforiertem Lederblatt. Noch im Suff kritzelten die neuen Geschäftspartner einen Handelsnamen für das in Deutschland neu einzuführende Produkt auf einen Bierdeckel: „Kahuflex“ – „Kahu“ für ‚Karl Hubertus´ und „flex“ als Hinweis auf die flexiblen Korksohlen jener Pantoffeln, mit denen man nun die Herzen der deutschen Ärzte und Krankenschwestern erobern wollte. Nach der Rückkehr ins bereits frühherbstliche Hamburg mietete Karl Hubertus Blau eine kleine Lagerhalle mit Kontor im Stadtteil Wandsbek an. Für die Lagerarbeit stellte er einen Gehilfen ein, die Büroarbeit übernahm er selbst. Die Kahuflex-Gesundheitsschuhe wurden schnell zu einem absoluten Renner, kostete doch das entsprechende deutsche Fabrikat im Laden glatt das Doppelte. Karl Hubertus Blau belieferte Arztpraxen, Krankenhäuser, Sanatorien und verkaufte seine Kahuflex-Schwedenclogs an alle großen deutschen Warenhäuser. Bald schon musste er einen weiteren Lagerarbeiter einstellen und eine zusätzliche Halle anmieten. Im Frühjahr 1953 hatte Karl Hubertus Blau bereits seine erste dreiviertel Million verdient, nach Verbindlichkeiten und Steuern.
Und so beschloss die Familie, sich mit einer Flugreise nach Teneriffa einen für damalige Verhältnisse unerhörten Luxus zu erlauben. Die Kanaren-Insel war zu dieser Zeit noch kein Ziel des Massentourismus, es gab nur eine Hand voll Hotels, in denen die ausländischen Touristen wie Fremdkörper wirkten. Familie Blau stieg im „Hotel La Gaita“, im auf der Nordseite der Insel gelegenen Puerto de la Cruz ab. Es war das eleganteste Haus am Platze, und Karl Hubertus Blau witterte Geschäfte. Schon seit Monaten hatte er in Hamburg Nacht für Nacht per Kassetten-Fernkurs Spanisch gepaukt, denn er war sicher, dass sich in diesem noch unentdeckten Ferienparadies gutes Geld verdienen ließe. Doch dieses Mal war es seine Frau Hildegard, die ihm die Türen zur verschlossenen insulanischen Gesellschaft öffnete. Eigentlich war es ihr zwischenzeitlich 15-jähriger Sohn Wolfrath, der beim Herumtollen am Pool einen etwa gleichaltrigen Spanier, Victor de Mancharo y Vittoria, kennengelernt hatte und sich mit diesem hervorragend in Zeichensprache verständigte. Dessen Mutter, Eleonora de Mancharo, lud Familie Blau zum Mittagessen im Hotelrestaurant ein. Es stellte sich heraus, dass es sich bei der Familie de Mancharo um die Condes de Mancharo y Vittoria handelte, eine alteingesessene Großgrundbesitzer-Dynastie, denen, unter anderem, auch das „Hotel La Gaita“ gehörte. Insbesondere durch das Band der gleichaltrigen Söhne entstand im Verlauf der Ferientage eine, wenn auch oberflächliche, Freundschaft zwischen den beiden Familien. José Francisco de Mancharo y Vittoria, das Familienoberhaupt, zeigte sich insbesondere von der Zähigkeit beeindruckt, mit der es Karl Hubertus Blau geschafft hatte, in nächtlichen Sitzungen, per Fernkurs, ein recht passables Spanisch zu erlernen. Nach einigen Tagen entschloss er sich, seinem neuen Bekannten aus Deutschland ein Geschäft vorzuschlagen. Auf einem nahe von Puerto de la Cruz gelegenen Hügel besaß er eine für ihn wertlose, seit Jahren brachliegende Finca (Spanisch, hier: Grundstück) , auf der man gut und gerne vier oder fünf Villen mit Meerblick errichten könnte. Für 500.000 Pesetas, so der Conde, würde er sich von dem Grundstück trennen, die Baulizenz sei kein Problem, er habe hervorragende Kontakte ins Rathaus. Karl Hubertus Blaus schlug sofort zu. Im Dezember 1953 reisten die Blaus erneut nach Teneriffa, um das Immobiliengeschäft unter Dach und Fach zu bringen. Dieses Mal fand die Reise per Schiff statt, denn man hatte eine über zwei Meter hohe Nordmanntanne als Gastgeschenk dabei, schließlich war vereinbart worden, das Weihnachtsfest im Hause der Condes de Mancharo zu verbringen. Unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen wurde die Escritura de Compra Venta (Spanisch: Immobilien-Kaufvertrag) für Karl Hubertus Blauens neues Inselgrundstück nebst Baulizenz erstellt. Schon eine Woche später begannen die Bauarbeiten für vier großzügige Villen; drei davon wollte Karl Hubertus Blau anschließend vermieten oder weiterverkaufen, eine aber – „Las Palmeras“ – sollte zum großzügigen Ferienwohnsitz der Blaus werden.
Im Januar 1954 erstand Karl Hubertus Blau im Hamburger Alstertal ein rund 10.000 m2 großes Anwesen mit Teich, wo in den folgenden zwei Jahren der endgültige Hamburger Familiensitz entstehen sollte. Bei der Ausgestaltung der dreigeschossigen Villa ließ Karl Hubertus Blau seiner Frau Hildegard nahezu freie Hand, denn diese hatte ein unfehlbares Gespür für alles Schöne. So wurden etwa für den Verputz der Außenfassade mehrere Schiffsladungen Muschelsand aus Teneriffa herbeigeschafft. Das Leben der Familie Blau schien jetzt perfekt. Indes war Karl Hubertus Blaus Stiefsohn Wolfrath zu einem hochgeschossenen Teenager herangewachsen, der sich wesentlich mehr für den Fußball und fürs Segeln als für die Oberschule interessierte. Bald sollte Wolfrath Lübben auch noch seine überdurchschnittlich entwickelte Vorliebe für das weibliche Geschlecht entdecken. Karl Hubertus und Hildegard Blau zankten sich immer häufiger wegen der schlechten Zensuren ihres schulisch nicht gerade übereifrigen Sohnes, den weder Druck noch gute Worte zu fleißigerem Lernen animieren konnten. Wolfrath Lübbens größter Wunsch war es freilich, zur See zu fahren und so entschloss sich Karl Hubertus Blau, ihm eine Heuer auf einem Handelsschiff zu suchen, in der Hoffnung, dass zwei Jahre hartes Seemannsleben ihre heilsame Wirkung zeigen würden. Doch das Einzige, was Wolfrath nach zwei Jahren auf hoher See hinzugelernt hatte, war, sehr zum Gram seiner Mutter, das Rauchen und das Trinken; seine Abenteuerlust und sein Appetit auf Frauengeschichten waren nur noch gewachsen. Karl Hubertus Blaus stiefväterliche Geduld war jetzt an ihrem Ende angelangt. Wolfrath Lübben sollte eines nicht allzu fernen Tages die Firma übernehmen und musste nun, zur Not auch gegen seinen Willen, endlich erwachsen werden. Darüber hinaus erachtete er es als unerlässlich, dass Wolfrath das Schuhgeschäft von der Pike auf erlernte, am besten weit weg von seiner Mutter, die ihn, wie er glaubte, viel zu sehr verwöhnte. Auf einer Fachmesse hatte Karl Hubertus Blau von der ´Technische Fachschule für Leder und Textil Ludwigshausen´ in der tiefsten süddeutschen Provinz gehört, die einen guten, ja sogar internationalen Ruf genoss. Gegen den ausdrücklichen Willen seiner Frau beschloss er, seinen Adoptivsohn für den dreijährigen Studiengang in dem weit von Hamburg entfernt gelegenen Nest einzuschreiben. Und so kam es, dass Karl Hubertus und Hildegard Blau, ob dieser einseitigen Entscheidung, ihren ersten großen Ehestreit hatten.
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