„Ich brauche noch ein paar USB Sticks und ein oder zwei weitere Festplatten. Habt ihr einen PC Laden in Palermo?“, fragte Michael, dem nun langsam die Augen brannten. „Aber sicher, Elli fährt mit dir hin. Hat es bis morgen Zeit?“ Don Tonio blickte interessiert auf den Monitor. „Ich verstehe überhaupt nichts von diesem neumodischen Kram. Wie kann ich das wieder gutmachen, Junge?“ „Mario erzählte von deiner Yacht. Ich würde gerne mal ein wenig aufs Meer hinaus fahren.“ Michael sah Tonio bittend an. „Aber ich muss morgen noch ein paar Stunden arbeiten und dann erst mit Elli die Sachen einkaufen. Außerdem ist mir bei deinem Spielhallenbetrieb in Las Vegas etwas aufgefallen, was ich mir nicht erklären kann. Das prüfe ich morgen nach. Wenn alles fertig ist, zeige ich dir die Anwendung. Es ist ganz easy und dank Igor nun auch so sicher wie Fort Knox. Wenn jemand versucht dich auszuspähen, bekommen Igor und ich automatisch Bescheid und können Gegenmaßnahmen ergreifen. Es geht eben nichts über Freunde auf der ganzen Welt.“ Michael gähnte und rieb sich die Augen. Tonio legte ihm dankbar die Hand auf die Schulter. „Eigentlich könntest du doch die gesamten Sommerferien hier bleiben. Dann haben wir Zeit genug und machen eine schöne Schiffsreise mit der Yacht. Wie würde dir das gefallen?“ „Super, das habe ich mir schon immer gewünscht. Ich möchte mit Sechzehn meinen Sportbootführerschein machen. In Hamburg habe ich schon den Jollenschein im Segelclub bestanden. Segeln ist etwas Großartiges“, schwärmte Michael mit glänzenden Augen.
„Ich bin auch so oft es meine Zeit erlaubt, auf dem Boot. Ich werde nachher mit deinen Eltern sprechen. Sie werden sich freuen, wenn sie dich für den Rest der Ferien gut untergebracht wissen.“ Tonio hielt einen Augenblick inne. „Michael, du bist fast noch ein Kind, aber ich muss dich um einen Gefallen bitten, mein Sohn. Alles, was du jetzt gesehen und gelesen hast, darfst du niemand erzählen, auch und gerade deinem Vater nicht. Kannst du mir das versprechen?“ Michael ließ den PC herunterfahren und stand aus dem pompösen Bürosessel des Don auf. Er blickte Tonio in die Augen. „Ich weiß, dass ich erst Vierzehn bin, aber ich liebe Elli und ich würde niemals etwas tun, dass sie unglücklich macht. Das verspreche ich nicht nur, das schwöre ich bei der Heiligen Jungfrau und ich bin dank Mama sehr katholisch erzogen worden, Onkel Tonio. Im Übrigen gefällt mir dein Schreibtisch. Die Aussicht ist fantastisch und auch in deinem Sessel sitzt es sich bequem. Ich will meine Schule fertigmachen und dann Jura studieren. Ich hoffe, Elli bleibt mir treu, wenn ich wieder in Deutschland bin. Sei unbesorgt, Onkel, als Sohn eines Kripobeamten lernt man von selbst, zu schweigen. Mama hat Recht, ich spüre mein sizilianisches Blut, aber Italien ist nicht Hamburg. Dies hier ist eine ganz andere Welt. Eine Welt, in die ich jetzt erst einmal hineinwachsen muss. Willst du mir dabei helfen?“ Tonio hatte vor Rührung Tränen in den Augen. Der Junge sprach nicht nur wie einer von ihnen, er gehörte bereits dazu. Tonio Andretti zog Michael an sich. „Du bist der Sohn, den ich mir immer gewünscht habe und ich will dich genauso lieben. Willkommen zuhause, mein Junge. Und nun lass uns zu deinen Eltern gehen. Sie können stolz auf dich sein.“
Am nächsten Morgen saß Michael erneut in Tonios Chefsessel und musste sich ein paarmal selbst zur Ordnung rufen. Seine Phantasie ging mehrfach mit ihm durch. Er dachte an seinen Namensvetter im Paten und sah sich selbst mit einer Zigarre in der Hand seinen Männern Anweisungen geben und ein riesiges Imperium, zu dem auch Glücksspiel, Zigaretten und Alkoholschmuggel gehörten, aus diesem Sessel steuern. Er würde mehr Geld verdienen, als alle Paten vor ihm. Allerdings nicht um jeden Preis. Er dachte dabei an seinen Traum. In seiner Organisation wären nicht nur alle Familienmitglieder aufeinander eingeschworen, auch die anderen Clans gehörten mit dazu. Jeder sollte auf seine Fasson reich werden. Bandenkriege würde es bei ihm keine mehr geben. Auch Mord gehört nicht mehr zur modernen Mafia dazu. Niemand sollte einem anderen Familienmitglied Gewalt antun. Michael liebte Traditionen und er wollte gerade auch das Besondere an der sizilianischen Mafia bewahren. Aber anders, als es Tonio und seine Generation taten. Michael wollte nicht auf Kosten anderer reich werden, niemand etwas wegnehmen, bestehlen oder gar gewaltsam rauben. Die neue Cosa Nostra sollte das Internet nutzen und illegale Geschäfte nach Legalität aussehen lassen. Und an einer Sache würde er sich nie beteiligen, die wollte er mit allen Mitteln bekämpfen: Mit den Drogenbossen auf der ganzen Welt musste kurzer Prozess gemacht werden. Sie gehörten alle hinter Schloss und Riegel. Michaels bester Freund hatte seine Eltern durch Heroin verloren und war selbst süchtig geboren worden. Adoptiveltern nahmen ihn als Baby auf. Michael kannte Jungen, die auf dem Hamburger Drogenstrich anschaffen gingen. Er wusste genau über das Elend Bescheid, welches Drogen anrichteten. Vieles hatte er auch von Werner erfahren, der lange Zeit im Drogendezernat tätig gewesen war. Michael hasste Rauschgift und wollte seine Stellung dazu nutzen, das Übel rigoros auszumerzen. „Hallo, Schatzilein, du träumst! Hier bin ich!“ Elli und Christina standen im Büro von Don Tonio und tippten an Michaels Schultern. Als Elena ihrem Freund einen Kuss geben wollte, schlug der endlich verschlafen die Augen auf. „Oh, je, ich muss eingepennt sein. Wir müssen noch nach Palermo zum Computerladen.“ Michael erwiderte zärtlich Ellis Kuss und räkelte sich. Einen Augenblick später saßen alle drei bei Tommaso im Auto. Tonio hatte im Ort angerufen und der Inhaberin des Geschäfts die Ankunft der Kinder angekündigt. Sie dürfte ihm die Rechnung schicken. Auch fünfzig Euro für Cola und Eiscreme wechselten den Besitzer und lagen nun gut verwahrt in Christinas Portemonnaie. Es sollte den Kids an nichts fehlen. Tonio war Michael unendlich dankbar und ließ sich deshalb nicht lumpen. Elli hatte zudem Carmen und Stefano ins Lieblings Eiscafé bestellt. Sie hoffte, eine Bootstour zum Liebesfelsen organisieren zu können.
Wie erwartet fanden die Jugendlichen im PC Laden von Palermo schnell die benötigten Sticks und Festplatten. Das gut ausgestattete Geschäft erfüllte Michaels Wünsche vollständig. Froh gelaunt machte sich die Gruppe gleich darauf auf den Weg zum Hafen, wo sich das Eiscafé der Mädchen befand. Tommaso hatten sie nach Hause geschickt. Elena erklärte, sie würden entweder später wieder anrufen, oder einen Teil des Weges mit dem Bus zurücklegen. Michael sah sich interessiert um, während sie durch die Altstadt schlenderten. Die Fassaden der Häuser faszinierten den kunstliebenden Jungen. Elli zeigte erneut ihr Talent als Fremdenführerin und erzählte alles, was sie über die Geschichte Palermos wusste. Am Hafen angekommen, ließ Michael seinen Blick über das Wasser schweifen. Er glaubte die Stelle entdeckt zu haben, an der sich seine Eltern einst kennenlernten. „Elli, da drüben, siehst du den Ponton neben dem Kran und die Kneipe auf der Straße gegenüber?“ „Ja, was ist damit?“ Elena verstand nicht gleich. „Dort muss mein Vater damals todesmutig in das eisige, fünfundzwanzig Grad warme Hafenbecken gesprungen sein, als er meine Mutter aus den Fluten rettete. Er hat mir die Stelle immer wieder beschrieben.“ Elli lachte. „Ich hoffe, die Veranlagung Frauen zu retten, liegt in eurer Familie. Ich lasse mich dann auch gerne mal von dir aus dem Wasser ziehen. Allerdings kann ich, wie fast alle Mädchen hier, recht gut schwimmen.“ Christina meldete sich zu Wort. „Onkel Werner und Tante Carlotta werden es sich sicher nicht nehmen lassen, den Hafen zu besuchen. Wir können ihnen ja nachher Bescheid sagen, dass Michael die Stelle schon gefunden hat. Jetzt lasst uns aber ins Eiscafé gehen, ich brauche dringend eine Cola.“ Die Mädchen begrüßten den Inhaber freundlich und suchten sich einen Tisch vor der Eisdiele. Einen Moment danach waren die ersten Bestellungen aufgenommen und zehn Minuten später traf auch Stefano ein. Carmen würde sich etwas verspäten, meinte er. Sie hätte noch etwas mit einer Freundin zu besprechen. Was er von einer Bootstour zum Liebesfelsen hielte, wurde er von Elli gefragt.
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