Lässt sich deine Frau nicht darauf ein, dann sind zielführende Gespräche hilfreich: Sondierungen, Abklopfen des Mach- und Erreichbaren, Vereinbarungen. Es entsteht eine auf die Wohnung reduzierte Hausordnung mit Uhrzeiten und Tabelle: Wer macht wann welche angeblich unvermeidbaren Geräusche? Welche kann man mindern, welche auf deine Wachzeit verschieben?
Die Erfahrung zeigt, dass sich im Zusammenleben der Menschen der Schlaf- und Wachrhythmus, die häuslichen Ruhe- und Aktivitätsphasen im Laufe der Zeit von selbst einander immer verträglicher gestalten.
Nach ein paar Monaten kannst du den Zettel mit den Regelungen von der Kühlschranktür nehmen. Es hat sich jeder in Haus oder Wohnung immer weniger daran gehalten, und keiner hat es bemerkt. Schwer ist halt meistens nur der Anfang.
Ruheständler entdecken rasch, dass es für sie im Privatbereich viel zu tun gibt. Vielerlei ist über die Jahre der Unlust und Überstunden liegengeblieben, allerlei muss endlich einmal entmistet und aufgeräumt werden. So viele wichtige Arbeiten sind zu erledigen. Die Crux ist freilich: Nichts davon ist dringend, nichts und niemand drängt - nicht einmal die Zeit.
So bleiben die Altakten über weitere Monate hinweg in ihrem verstaubten Schrank. Die messimäßig missbrauchte Garage muss weiter aufs Ausmisten warten. Zum Autowaschen ist das Wetter zu schlecht, oder zu gut. Die immer wieder aufgeschobenen Kleinreparaturen in Wohnung und Haus werden weiterhin aufgeschoben.
Vielleicht kommt der damit beauftragte Fachhandwerker ja doch noch irgendwann. Die ungelesenen Bücher werden auf- und wieder zugeklappt, heftig. So sehen sie wenigstens wieder frisch aus an ihrem alten Platz.
Auch wenn deine Kinder dich dazu ermuntern: Es ist keine gute Idee, die Gattin nun beim täglichen Einkauf begleiten zu wollen; störe ihre Kreise nicht. Niemand hat auf dich gewartet, jeder um dich herum kann schon alles selber – vom Schuhezubinden bis zum Milch in den Kühlschrank stellen. (In 15 oder 20 Jahren darfst du deine Dienste dann sicher mit Erfolg anbieten.)
Erkläre deinem Gegenüber nicht, wie sie den Einkauf der Lebensmittel effizienter zu gestalten hat, wie die Abstellkammer optimal zu nutzen ist. Führe nicht vor, wie man den Staubsauger wirkungsvoller durchs Zimmer führt. Lasse die Bilder an den Wänden hängen dort, wo sie schon immer hingen. Sie hängen übrigens nicht plötzlich schief.
Versuche also nicht, dich anderen bei der Bewältigung des Häuslichen nützlich zu machen. Man wird es für vorwitzige Einmischung halten, für eine störende Dummheit oder gar eine Frechheit, die an den Grundfesten der Beziehung rüttelt. Das könnte böse enden.
Du lernst als frischer Ruheständler, gerade deine alte Arbeit loslassen zu müssen. Die Erfahrung, dass du auch anderweitig nicht gebraucht wirst, mag dir weh tun. Du entscheidest, ob der Entzug dich schmerzt oder die Menschen trifft, die dir nahestehen.
Wirst du freilich ausdrücklich für Besorgungen vor die Tür gebeten, mit Einkaufszettel und festem Auftrag, dann zögere nicht. Wer dich da von montags bis freitags immer mal wieder aus der Wohnung komplimentiert, dir also den Eindruck von Nützlichkeit vermittelt, der meint es gut mit dir. Und gut mit sich.
„Wenn man plötzlich alles darf,
hat man den Spaß der Selektion.
Doch ist an Vielem kein Bedarf.
Denn das meiste hast du schon.“
Und mit dem Rest der Welt. Denn deine Frau entlastet den Samstag, an dem sich in den Einkaufsstätten notgedrungen die Berufstätigen drängen. Die Mitarbeiter und Kunden dort sind jedem Rentner dankbar, der sich nicht vordrängelt und erst gar nicht in die City geht, wenn „alle“ dort einkaufen.
Du hast Verständnis für diejenigen, die von Montag bis Freitag nicht frei haben, weil sie berufstätig sind und sich darüber mokieren, wenn es auch samstags in der City rentelt. Schließlich hast du dich bis vor kurzem noch selbst über die schlurfenden Alten geärgert, die hilflos vor den Regalen stehen und an der Kasse unbedingt mit ganz viel Kleingeld bezahlen wollen.
Du solltest Verständnis aufbringen für die Freude deiner Lieben darüber, dass sie für gewisse Zeiten alleine in den eigenen vier Wänden sind. So wie früher, als die Stunden deines Fernseins von zuhause noch verlässlich berechenbar waren. Du wirst dich erinnern: Vielleicht warst schon du früher gelegentlich gerne alleine, in Büro oder Werkstatt.
Womit kannst du dich nun beschäftigen? Du könntest dir digitale Accounts anlegen, etwa auf Facebook, Instagram und Twitter. Deine Enkel werden dir zeigen können, wie das geht und wie du damit umgehst. Du kannst es aber auch lassen.
Du könntest dich im Internet als Blogger einrichten; ein Thema für deine Posts wird sich wohl finden lassen. Ob du die Dönerbuden der Stadt testest oder die feinen Restaurants, das ist womöglich eine Kostenfrage. Du könntest im Netz über die kommenden Jahre hinweg Handwerker und Autowerkstätten bewerten, Ärzte und Apotheker, Geschäfte und Marktstände. Du könntest dich als Hobbykoch positionieren, als Hundeversteher oder Katzenfreund, Wanderführer oder Schnäppchenjäger.
Du kannst das aber auch alles sein lassen, weil es derlei Albernheiten im Netz schon überreichlich gibt.
Akzeptanz, Relevanz und neue Wertschätzung, nach denen dein Rentner-Ego sucht, wirst du mit derlei Aktivitäten kaum erreichen. Lasse die anderen machen!
Es genügt völlig, wenn du nach deinem Berufsleben alleine dir und den Menschen deines engsten Kreises nützlich und sympathisch bist. Darüber hinaus bist du nicht mehr wichtig. Basta. Freue dich darüber, das entspannt.
Gönne dich dir selbst, tue dir Gutes. Zum Beispiel durch neue globale Anregungen und Erweiterung des eigenen Horizonts. Jetzt hast du die Zeit, durch die Reisebüros deines Vertrauens zu vagabundieren, dort Informationsgespräche zu führen und Prospekte fürs häusliche Durchblättern einzustecken. Parallel dazu durchkämmst du die Reise-Portale im Internet.
Damit bekommen deine Visionen von der schönen fernen Welt konkretere Strukturen, diffuse Wünsche werden kanalisiert oder konterkariert. Die Überlegungen zum „wann wohin“ erlangen einen höheren Reifegrad.
Ob am Ende eine Weltreise steht oder die Einsicht, am besten ist es daheim, ist zweitrangig: Du beschäftigst dich sinnvoll, weil neugierig, und gewinnst neue Themen für Selbstgespräche und deine Unterhaltung im Familien- und Bekanntenkreis.
Wer Prospekte lesen kann, der darf sich an Zeitungen wagen. Und an deren Rubriken und Seiten, die bei der früher möglicherweise beruflich bedingten Lektüre zu kurz kommen mussten. Die Sportseiten wirst du schon im Job nicht überblättert haben, eher die Beiträge im Feuilleton, über Kulturelles, Berichte aus der Wissenschaft und über gesellschaftliche Probleme, Kommentare und Leserbriefe.
Gab es für dich bislang keinen Grund, die am Ort verfügbare, seriöse Regionalzeitung zu abonnieren, so handle nun. Du hast jetzt Zeit und garantiert Gelegenheit, willst deine Synapsen in Funktion halten. Bestelle dir das Blatt deines Vertrauens werktäglich ins Haus. Dann kannst du künftig zumindest über Dinge aus dem Nahbereich deines Wirkungskreises mitdenken und mitreden. Es ist faszinierend zu erfahren, wie bekloppt es zuweilen in der Lokalpolitik zugeht.
„Everybodys life is local“, jedermann lebt „vor Ort“ und in seiner Zeit. Lass diese Wirklichkeiten, die dich umgeben und mitbestimmen, nicht an dir vorüberziehen. Informiere dich und nimm Anteil. Schon der örtlichen Todesanzeigen wegen. Wo und wie möchtest du platziert werden, wenn?
Du gehörst bitte nicht denen, deren Wissensdurst so dürftig ist, dass er sich mittels kostenlos verteilter Werbepostillen und redaktionell armseliger Anzeigenblätter wird stillen lassen.
Getoppt wird dein Gehirntraining durch den täglichen Erwerb wenigstens einer überregionalen Zeitung. Da sind es weniger die aktuell gemeinten Artikel, die von Interesse sind, denn Radio, Fernsehen und Internet sind per „Breaking News“ den klassischen Printmedien systembedingt um Stunden voraus.
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