Als sie am nächsten Tag Oscars Krankenzimmer betrat, las dieser die Regionalzeitung. Sie selber hat diese im Kiosk gesichtet und kaufte sie aus Neugierde.
Neben dem Bild, das die zerstörten Motorräder zeigte wurde von dem armen Doktor Kiessling berichtet, der um Haaresbreite seinen Sohn verloren hätte. Oscars Freund wurde nur am Rande erwähnt um den Lkw Fahrer durch den Dreck ziehen zu können. Die Hauptperson war eindeutig der leidende Edward.
„Bitte lesen sie es nicht. Es wird alles verdreht dargestellt. Ist ja genug, dass sie die Bilder wahrscheinlich ihr ganzes Leben verfolgen werden. Da brauchen sie es nicht auch noch aus der Zeitung.“, nahm Jana ihm diese aus der Hand.
„Sie haben Recht. Wie geht’s ihnen?“
„Das sollte ich sie fragen.“, meinte Jana lächelnd. „Sie sind der Patient.“
„Mir geht es gut, also besser. Ich habe schon mit meiner Mutter telefoniert und ich habe ein mächtiges Frühstück bekommen, was ich meinem Vater zur verdanken habe, nehme ich an.“, sagte Oscar ironisch.
„Das ist das Mindeste.Wie geht’s ihrer Mum?“
„Besser. Sie will mich so schnell wie möglich verlegen lassen.
„Morgen kommt erst mal ihr Vater.“
„Kaum zu glauben.Wo steckt er eigentlich? “ Jana verzog ihr Gesicht, da sie nicht wusste ob sie Oscar die Wahrheit sagen sollte.
„Na sag schon. Ich darf doch du sagen?“
„Na klar. Ist mir auch lieber.“
„Also, wo ist er? Das Problem ist, dass meine Mutter glaubt er würde sich rührend um mich kümmern. Ich habe ihr nichts vom Gegenteil gesagt, geschweige den davon, dass ich ihn nicht mal gesehen habe. Du etwa?“
„Nein, nein. Ich habe ihn dann gar nicht mehr erwähnt.“
„Wenn sie es raus findet wird sie ihn mehr hassen den je. Ich will nicht noch mehr Unruhe stiften zwischen den Beiden. Vor allem jetzt, wo sie so krank ist. Ich hatte oft das Gefühl, sie wäre sogar bereit sich mit ihm zu versöhnen.“
„Ich denke Edward hätte nichts dagegen. Er sagt... Na ja... Er sagt, er hatte keine Chance gehabt dich näher kennen zu lernen.“ Erneut machte sie Edward in Gedanken Vorwürfe. Die Möglichkeit die sich gerade bot, um für seinen Sohn da zu sein, hat er nicht genutzt. „Ich weiß auch nicht was mit ihm los ist. “, sagte sie. Sie wollte Edwards Verhalten nicht vor Oscar rechtfertigen und trotzdem hatte sie das Gefühl es tun zu müssen.
„Ich kann Edward verstehen. Glaube mir. Mit der Zeit habe ich begriffen, dass meine Mutter alles dafür getan hat, dass er als Vater nur auf dem Papier existieren durfte. Ich nehm´s ihm nicht übel, dass er resigniert hat. Ich hätte ja auch selber Kontakt suchen können, aber für meine Mutter wäre es der größte Verrat. Sie behandelt mich immer noch wie ihren Besitz.“
„Davon kann ich dir genauso ein Lied singen. Meine Mutter tut sich auch so schwer los zu lassen.“
„Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass sie mal nicht da wäre. Egal, wie nervig sie ist.“
„Du sollst es dir gar nicht vorstellen. Sie wird gesund und wird dich immer noch nerven.“, lächelte Jana. „Und morgen kommt Edward aus Zürich zurück. Er ist dort wegen seiner Stiftung und wegen dem neuen Medikament. Deine Mama muss ja nicht erfahren, dass er nicht da war.“
„Genau. Wir lügen nicht, wir sagen nur nicht die Wahrheit.“, sagte Oscar nachdenklich. „Oftmals tut Wahrheit so weh, dass man Lügen muss. Ich könnte ihr nie sagen wie ich darüber denke..... Dass ich Edward verstehen kann.“
„Ich finde es stark, dass du keinen von beiden verurteilst. Du hättest mehr Grund dazu, als die Beiden zusammen.“
„Hallo Jana.“ Martha kam rein. „Heute kommen wir nicht drum herum. Die Polizei will sie verhören Oscar. Ich habe denen gesagt, dass sie sich kurz halten sollen. Mehr kann ich nicht tun.“
„Nun gut. Bringen wir es hinter uns.“, meinte Oscar.
Währenddessen holte sich Jana einen Kaffee und beschloss Edward anzurufen. Sie wollte ihm keine Vorwürfe zu machen, doch als sie hörte, dass er seinen Aufenthalt um noch einen Tag verlängern würde, konnte sie nicht anders wie zu sagen: „Hier liegt auch ein Patient, der dich braucht. Nämlich dein Sohn. Deine Forschung läuft dir nicht weg, verdammt noch mal Edward!“
„Wir sind in der Endphase, ich kann hier nicht weg. Wirklich. Außerdem sind hier so viele wichtige Menschen die meine Äthiopien Stiftung unterstützten werden. Wir werden eine Schule bauen. Stell dir vor, die Kinder werden lesen und schreiben lernen können.“
„Das ist schön, aber jetzt gerade braucht dein Kind seinen Vater. Dein Kind!“
„Ich erkundige mich immer nach ihm und es scheint ihm gut zu gehen. Was hat er davon, wenn ich komme? Ich habe getan was ich tun konnte und ich kann ja am Dienstag genauso mit ihm reden wie heute oder morgen.“
„Vielleicht ist er gar nicht mehr da. Seine Mutter will ihn verlegen lassen.“
„Wieso zum Teufel ?! Was passt ihr nicht! Er hat bei uns die beste Versorgung die man sich vorstellen kann.“
„Ja, ja. Darum geht es nicht. Sie ist dir auch dankbar und Oscar auch, aber sie will ihn in ihrer Nähe haben. Ist doch verständlich, oder?“
„Na dann ist ja gut.“
„Ruf ihn wenigstens an. Bitte.Und schau, dass du am Montag da bist.“
„Ja. Mache ich.“, sagte Edward trocken.
Während Jana telefonierte sah sie die Polizisten aus dem Gebäude rausgehen und Alicia die mit denen sprach. Sie stand viel zu weit weg, um zu hören was geredet wurde.
Oscar wagte gerade mit Marthas Hilfe die ersten Gehversuche, als Jana das Zimmer betrat.
„Ich warte dann draußen.“, sagte sie beschämt, als sie sah wie abgekämpft Oscar aussah.
„Nicht nötig.Wir sind fertig.“ meinte Martha. „Das war schon mal eine reife Leistung nach so einer OP.“, wandte sie sich Oscar zu und wischte die Schweißperlen an seiner Stirn ab.
„Ich werde gehen Oscar. Du brauchst Ruhe.“, sagte Jana, nach dem Martha das Zimmer verließ.
„Bleib noch bisschen, wenn du kannst.“
„Aber du siehst so müde aus.“
„Ach was. Ich bin fit wie ein Turnschuh.“, zwinkerte Oscar ihr zu.
„Na klar.“, lachte Jana und setzte sich hin.
„Was liest du heute?“
„Da Vincis Werdegang, für meine Arbeit.“
„Mein Semester ist gelaufen.“, sagte Oscar traurig.
„Hauptsache du wirst wieder gesund.“
Sie unterhielten sich über sein Medizinstudium. Jana merkte, dass Oscar seine Augen kaum offen lassen konnte und als er einschlief, blieb sie trotzdem bei ihm sitzen.
Sie las in ihrem Buch, als sie ein Klopfen hörte. Wieder hoffte sie, dass sich Edward vielleicht des Besseren besinnt hat.
Fast schon schockiert musste sie feststellen, dass es Alicia war die an der Tür stand.
Diese bestaunte den schlafenden Oscar und sagte :„Dürfen sie die Stiefmutter spielen Schätzchen?“ Alicias Ton war wiedermal so verachtend, dass Jana die Fassung verlor. Sie stand auf und ging auf sie zu.
„Sie blöde Kuh.... Sie..“, kam sie Alicia noch näher. „Was suchen sie hier? Haben sie aus medizinischer Sicht was zu berichten? Falls nicht verschwinden sie. Und wenn sie noch einmal eine blöde Bemerkung mir gegenüber äußern, sorge ich dafür, dass Edward nie wieder ein Wort mit ihnen spricht.“
„Das glauben sie wohl selber nicht.“, lachte Alicia schelmisch.
„Das glaube ich schon.“, sagte Oscar zwar leise aber deutlich. Die Ärztin begriff, dass er die Äußerungen zwischen ihr und Jana mitbekommen hat.
„Raus da!“ Jana wurde jetzt lauter. „Er braucht Ruhe! Sie sind weder seine Ärztin, noch gehören sie zur Familie. Also Raus!“
„Ich bin seine Ärztin und sie werden mir nicht verbieten meinen Patienten zu behandeln.“
„Ich will nicht von ihnen behandelt werden.“, sagte Oscar klar und deutlich.
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