Die Bauarbeiter wohnten in ihrem Zelt, wurden von einer Frau bekocht bebacken, soweit ich dafür sorgen konnte, hatte keiner der Holzarbeiter die Möglichkeit mit Luzia anzubändeln und ihr kurzfristig den Kopf zu verdrehen. Kurz vor Weihnachten waren die Häuser bezugsfertig. Für das dritte musste ich etwas aus unserm früheren Schatz dazu holen. Zwei Häuser wurden bald belegt. In das dritte Haus sollte auch bald einer ziehen, mit dem ich momentan überhaupt nicht gerechnet habe, denn was da passierte, hat bei uns einiges verändert.
Als die Bauerei der drei Häuser begann, mussten wir wieder unsern Fleischvorrat auffüllen, was wir drei, Jan, Dienstag und ich vollzogen. Meine innere Stimme sagte mir, dass ich heute auch mein langes Lasso mitnehmen soll; warum und wozu wusste ich noch nicht; mein Lasso dass ich schon lange nicht mehr benutzt habe und hoffte, dass ich es dann, wenn ich es brauchen werde, es auch erfolgreich anwenden kann, wenn ich es wie auch immer im Notfall einsetzen muss, es im Notfall auch erfolgreich einsetzen kann denn das Großwild, das wir heute für unsere Küchen brauchen, werden allesamt vom Pfeil erschossen heimgebracht und nicht mit dem Lasso gefangen und heimgeführt. Darüber hat mir meine innere Stimme nichts gesagt. Diesmal versuchten wir unser Jagdglück in südlicher Richtung, in einer Gegend, in der wir eigentlich noch nie zur Jagd, aber auch sonst noch nicht waren. Es war eigentliches Neuland für uns. Entsprechend war auch der Wildbestand; bis jetzt, zunächst gleich Null. Aber dann! Zunächst schrie da nicht eine junge Frauenstimme immer erbärmlicher werdend, fast noch wie eine Mädchenstimme um Hilfe, fast wie in Todesangst. Es wird doch nicht etwa einem wilden Tier in die Fänge geraten sein? So schnell wir konnten ritten wir lautlos in die Richtung. Da sahen wir wie sechs schwer bewaffnete, schwarzgekleidete Männer, grausam dreinschauend auf ihren schwarzen Pferden, die sich eiligst von dem Punkt entfernten, von dem die überängstlichen Hilferufe herkamen. Je schneller sie sich von dem Hilfeort entfernten, umso schneller ritten wir hinter den davonreitenden zum Hilfepunkt hin. Und da sahen wir ein großes Moor vor uns. Und einige Meter vom Ufer entfernt eine junge Frau, die händeschwenkend und um Hilfe schreiend immer tiefer im Moor versank. So schnell wie heute habe ich, ohne viel zu überlegen, noch nie mein Lasso von den Schultern gerissen und es nach der versinkenden jungen Frau im Moor geworfen. Im allerletzten Moment bekam ich sie mit meinem Lasso zu packen, und wie einen Schlitten über die Eisdecke so zogen wir sie über das Moor ans Land. Die nächsten fünfzehn Minuten lag sie wie tot, total erschöpft am Boden nach Luft ringend und nicht ansprechbar. Jan holte in meinem uralten Kochgeschirr, das ich noch aus besseren Zeiten weit im Osten daheim hatte und jetzt immer, aus alter Gewohnheit bei unsern Jagdausflügen bei mir trug, aus dem kleinen Bächlein, der dieses Moor scheinbar mit dem nötigen Nass versorgte und wusch alles an ihr was frei zum Waschen an ihr war, gab ihr dann auch etwas sauberes Wasser zum Trinken und ich fragte Jan, ob er sie auf seinem Pferd heim zu Didilind bringen möchte, die sie mit Luzia zusammen versorgen können. Und du dann mit unserm alten Wagen, der mit dem kleinen Kran hinten am Ende, wieder hierher kommst, denn wir werden hier bald einen ausgewachsenen Ur treffen, den wir irgendwie auch heim bringen müssen. Dienstag und ich halfen Jan, das immer noch benommene und scheinbar nicht ansprechbare Mädchen in ihren verdreckten Sachen auf sein Pferd und er ritt mit ihr auf dem kürzesten Weg in die Struth und lieferte sie bei Didilind und Luzia zur weiteren Behandlung ab. Dann spannte er zwei neue Pferde an den alten noch intakten Planwagen mit dem kleinen Kran hinten und kam eilig zurück zum Moor und fand mich ganz in der Nähe des Moors mit einem erlegten Ur, den wir bald am Kran bammeln hatten und in die Struth brachten, um ihn hier wieder nackig auszuziehen, von innen und von außen wuschen, zerlegten und ihn beiseite schafften, was so viel heißt, dass wir ihn in der Struth verteilten, einschließlich einer großen Portion für die Holzarbeiterküche. Auch die Wölfe hatten heute wieder ihre ordentliche Ration der Innereien gefuttert; trotzdem blieben noch viele Innereien für die Wölfe für morgen. Kopf, Nieren, Herz und Leber blieb für unsere Küche, denn wir hatten ja noch immer die Tagelöhner, die beim Dreschen mithalfen. Eine ganze Hinterkeule blieb für uns, eine Vorderkeule ging an die Bauarbeiterküche; den Rest verteilte Dienstag, einschließlich der zersägten Beinscheiben an die übrigen Struther, die noch nicht selbst auf die Jagd gehen und sich immer noch mit dem Fleisch von uns versorgen ließen. Dafür wollten wir morgen wieder auf die Jagd in die gleiche Richtung ziehen, wie auch heute, denn sie scheint noch nicht so leer gejagt zu sein. Als alles wieder sauber war und nichts auf das hinwies was eben hier passiert ist, ging ich erstmals ins Haus und wollte nach der jungen Frau schauen, warum, wieso sie da, wie Abfall in das Moor geworfen wurde, was das wieder für neue und raue Sitten sind, junge Menschen im Moor zu versenken, die mir damals völlig unbekannt sind. Oder sollte sie irgendwie auf diese Art den jungen Göttern geopfert werden um sie aus welchen Anlässen auch immer wieder zu besänftigen. Von solchen Opferriten habe ich schon daheim gehört, aber so etwas noch nie selbst miterlebt. Doch die junge Frau reagierte auf nichts, was ich auch zu ihr sagte, egal ob ich sie lieb, ernst oder traurig anschaute; sie tat so, als würde sie mich nicht verstehen, obwohl sie doch vorhin, im Moor Hilfe in unserer Sprache schrie, als sie immer tiefer sank und das Moor ihr immer näher an dem Hals hoch stieg oder sie darin immer tiefer versank. Was will sie uns verheimlichen, wovor hat sie solche Angst, dass sie vor uns die ängstliche und unverstandene spielt? Kennt sie etwa ihre vermeintlichen Mörder? Und warum will sie sie schützen und uns nicht verraten? Vor wem sollen wir sie dann beschützen, wenn wir sie nicht kennen, ihre Peiniger in den schwarzen Klamotten?
Obwohl sie sich mit Didilinds Hilfe wieder frisch gewaschen hat und von Luzias Sachen sich komplett neu einkleidete, hat sie weder zu Didilind noch zu Luzia ein Wort gesprochen, auch nicht ein Wort des Dankes, ein kurzes Kopfnicken sollte vorerst das Dankeschön ersetzten. Didilind sagte mir draußen in der Diele, dass das Mädchen, dem kleinen Bäuchlein nach zu urteilen auch bald Mutter werden wird! „Was sind das für brutale Menschen, die eine junge Frau in so einem Zustand und dazu bestimmt nicht die Hässlichste ist, umbringen wollen, statt sich auf das neue Leben zu freuen, dass da unterm Herzen heranwächst?“, fragte Didilind. Ich glaubte immer, dass ich viel weiß und kenne, aber das, was da heute am Moor passiert ist, konnte ich mir nicht erklären. Auch Jan mühte sich sehr um sie, und ich hatte bald das Gefühl, dass die junge Frau ihm mehr bedeutet, als nur eine vom Tod errettete! Auch ihm beantwortete sie keine seiner Fragen über das Warum und das Wieso! Wie ich später von ihr erfahren habe, hatte sie heute Mitleid mit uns oder einfach Angst um uns, denn ihr Vater war weit über seine Grenzen hinaus ob seiner Brutalität und Grausamkeit ein bekannter Mann, um den die Menschen lieber einen großen Bogen machten. Nur wir haben ihn heute noch nicht kennengelernt. Warum und was für ein Geheimnis verschweigt sie uns jetzt und heute? Doch am nächsten Tag ist sie schon mit Jan in den Kuhstall gegangen und half die Kühe füttern. Es war eine Arbeit, wie es sich bald zeigte, die für sie recht ungewohnt war. Auch bei der Küchenarbeit versuchte sie sich, ohne mit jemand auch nur ein Wort zu wechseln und schaute immer wieder durch das kleine Küchenfenster nach draußen oder zur Haustür. Wenn ihr etwas gesagt wurde, nickte sie nur kurz den Kopf. War aber sehr schnell am Weinen, wenn einer von uns versuchte sie zu bedrängen, dass sie etwas über sich selbst sagen möchte, ob sie vielleicht von irgend einer Bande entführt wurde, und es mit der Lösegeldübergabe nicht geklappt hat oder ob sie vielleicht Heimweh hat und wir sie heimbringen sollen. Und immer wieder sagten wir ihr, dass sie hier bei uns absolut sicher sei, dass ihr hier keiner etwas antun kann und wenn, dann muss er uns erst beseitigen, was so viel heißt: „Nur über unsere Leichen kommen sie an dich ran.“ Am nächsten Sonnabend sollte ich doch mehr wissen, denn da sollte sich das Blatt beginnen zu wenden, was letzten Endes sehr blutig wieder enden sollte.
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