„Wenn du wüsstest in welch einer Scheißsituation ich mich be finde und du ungewollt da mittendrin steckst. Ich sollte dich ja gen, dass du Schuh’ und Strümpfe verlierst, mir so einen Mist vorzuhalten!“ führte ich eine Art Zwiegespräch mit ihr.
Meine Tränen tropften unaufhörlich auf den Brief, der vor mir lag, bis er nur noch ein schwammiges unleserliches Etwas war. Ich war innerlich zusammengebrochen und ließ es einfach laufen.
Ein befreundeter Psychologe hatte mir vor einiger Zeit erzählt, dass genau solche Reaktionen auf mich zukommen könnten. Spe ziell bei demjenigen Partner, der die Trennung herbeigeführt hät te, wäre diese Haltung oft zu beobachten.
Er nannte es: Einstellungswandel durch kognitive Inkonsistenten.
Der Aufbau eines Feindbildes durch Schuldzuweisungen, um eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen und damit klarzukommen. Ich kannte dieses Phänomen vom Studium her und hatte selbst Ausarbeitungen über die wirtschaftliche Nutzbarkeit von kogniti
ven Dissonanzen in der Werbung verfasst.
Nun war ich also selbst das personifizierte Objekt von Hass, Wut und Verachtung geworden, auf dem Doris alles ablud. Dage gen konnte ich mich kaum wehren. Sie ließ keinen Kontakt mehr zu. Ich existierte quasi nicht mehr für sie. Und sie ließ mich das spüren, wenn wir uns zufällig sahen.
Ich taugte nur noch zum Feindbild. Wir hatten über 10 Jahre gemeinsam verbracht. Für sie war es der große Irrtum, wie sie sagte.
Diese Aussage verletzte mich zutiefst, denn für mich war es Lie be.
Ob ich wollte oder nicht, die bedrohlichen Geschehnisse beein flussten meinen Tagesablauf komplett. Ich war permanent in Hab AchtStellung und registrierte meine Umgebung genauestens. Je der, der irgendwie ein osteuropäisches Aussehen hatte, konnte ei ner von denen sein, bildete ich mir ein.
So gut es ging, vermied ich es, mich allein irgendwo aufzuhal ten. Meine Eltern besuchte ich nur noch selten, um keine weite ren Zielscheiben zu liefern. Zu meiner Wohnung nahm ich nicht den kürzesten Weg, sondern wählte immer andere Routen, um zu sehen, ob ich verfolgt wurde.
Doch es tat sich nichts. In mir stieg die Hoffnung, dass es bei dieser einmaligen Sache bleiben und wieder Ruhe einkehren wür de. Schließlich hatten die Typen bekommen, was sie wollten.
Es war Ende Juni, als mir eine bekannte deutsche Schauspiele rin, die auch Fernsehsendungen und Veranstaltungen moderierte, ein Demoband übersandte. Zu der Zeit spielte sie gerade eine Rolle in einer ARDKultserie. Wir telefonierten zusammen und sie erzählte mir, sie würde mit ihrem Mann noch ein Reisebüro führen, das auf Sportevents spezialisiert sei.
Derzeit wären sie mitten in den Vorbereitungen für die Fußball WM 1994 in den USA. Dort sei unter anderem eine große
UNESCOGala mit deutschen Schlagerstars und prominenten Fußballern geplant. Ein Team von RTL würde die Veranstaltung aufzeichnen.
Allerdings sei ein Künstler ausgefallen und sie fragte mich, ob ich eine Idee hätte. Ich hatte. Ich bot ihr an, meine Band aus Kanada einfliegen zu lassen, da in Kürze die erste CD in Deutsch land auf den Markt kommen würde und die Gruppe in Amerika bereits eine große Nummer war.
Ich konnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Ich telefo nierte mit der Plattenfirma und holte mir das OK. Dem Manage ment in Toronto gab ich die Daten durch und es passte termin lich.
Beate fragte ich, ob sie mit zur WM wolle. Auch sie konnte es kurzfristig einrichten. Drei Tage später saßen wir im Flieger nach Chicago.
Wir verbrachten vier tolle Tage dort. Ich spürte, wie mir der Abstand gut tat und fühlte mich wie befreit.
Alle Protagonisten der UNESCOGala logierten im gleichen Ho tel. Die Stars, die bei der Gala auftraten, gehörten zwar nicht un bedingt zu dem Musikgenre, mit dem ich normalerweise zu tun hatte. Aber es war wie eine große Familie. Bei meinem Faible für Sport und Musik war der Aufenthalt mit ehemaligen WeltFuß ballern das Sahnehäubchen obendrauf.
Wir erlebten alle zusammen eine gigantische Eröffnungsfeier der FußballWeltmeisterschaft im Stadion von Chicago und feierten den Sieg des damaligen Titelverteidigers Deutschland im ersten Spiel gegen Bolivien. Die Gala und der Auftritt meiner Jungs war ein voller Erfolg. Kurz danach flimmerten die ersten Bilder über die Schirme.
Ich war froh, wieder in der Spur zu sein. Es war zwar ein kurzer Trip, aber ein guter. Für mich kam er genau richtig.
Voller Tatendrang stürzte ich mich nun in die Arbeit. Es gab viel zu organisieren. Im Herbst sollte die Band aus Kanada zu einer ausgedehnten Promotiontour nach Deutschland kommen und die CD veröffentlicht werden.
Verärgert teilte mir meine Sekretärin mit, dass manchmal den ganzen Tag Anrufe kämen, ohne dass sich jemand melden würde. Bei mir zuhause lief das gleiche Spiel. Sobald ich die Wohnung betrat, klingelte das Telefon. Doch am anderen Ende war Toten stille. Bis zu 30 Mal am Abend ging das so. Als mir Beate ebenfalls von verstärktem Telefonterror unter ihrem Anschluss berichtete, kehrte die Angst zurück.
Es war an einem Samstag, als ich gegen Mittag ins Büro fuhr, um üblicher Weise den Briefkasten zu leeren und die Tagespost durchzusehen. Zuvor hatte ich noch einen Kunden aus der Gas tronomie aufgesucht, der seine Rechnungen für Werbung auf Ein kaufswagen immer bar bezahlte. Gerade in dieser Branche klappte es mit den Kontoabbuchungen fast nie. So war ich verstärkt auch in den Abendstunden unterwegs und ließ mir die fälligen Beträge in bar geben.
Die beiden Personen, die kurz nachdem ich im Büro war, den Raum betraten, kannte ich nur zu gut.
Wieder das gleiche Ritual: Der Schlanke sprach, der Bullige pos tierte sich an die Tür.
„Zeit ist wieder da. Gibst du Geld, ey. Denkst du an Kinder und an Freundin deine. Sind schlechte Zeiten. Kann viel passie ren.“
Mein Aktenkoffer stand noch geöffnet auf meinem Schreibtisch. Die Geldtasche mit den Bareinnahmen lag daneben, die ich gera de im Begriff war, in der Kasse zu verschließen.
„Ich habe euch doch gegeben, was ihr wolltet. Mehr geht nicht! Ich habe kein Geld hier!“
Ganz in Ruhe schritt der Schlanke alle drei Räume inklusive der Toilette ab und schaute sich um.
„Weissu, wir nix dumm, ey. Wissen genau, was läuft bei dir!“
„Was soll bei mir laufen? Ich habe gesagt, ich habe kein Geld und damit basta! Schieb dir deine schlechten Zeiten sonst wo hin!“
Ich versuchte die Geldtasche hinter mir im Koffer verschwinden zu lassen.
„Was ist in Tasche?“ meldete sich der Bullige zu Wort.
Mit einem Griff nahm der Schlanke die Tasche an sich und hol te die Geldscheine raus.
„Glaube, brauchst du Lektion!“
Auf einen Fingerzeig hin, setzte der Bullige seine Massen in Be wegung und stellte sich hinter mich. Mit einem Arm drückte er meinen Kopf nach vorn, mit dem anderen drehte er mir die Hand auf den Rücken. In gebückter Haltung wurde ich in die Toilette geschoben. Er drückte meinen Kopf in die geöffnete Kloschüssel und betätigte die Spülung. Ich bekam kaum noch Luft. Das wie derholte er vier bis fünf Mal.
„Du denken, immer noch Spaß? Bist du großer Mann, aber nix groß genug. Besser du arbeiten zusammen. Besser für dich, für Freundin, für Kinder, für ExFrau, für Mama und Papa. Verste hen?“
Der Bullige ließ mich los. Mein Arm war Gott sei Dank nicht raus gesprungen. Ich war klatschnass bis zur Hose.
„Kommen wieder! Garantie! Und nix Polizei! Sonst Leute deine nix mehr viel gesund.“
Schnell verließen sie das Büro.
Völlig traumatisiert, muss ich Minuten vor dem Spiegel in der Toilette gestanden haben, bis ich mich endlich abtrocknete.
Über 2000 DM hatten sie mir genommen. Was mich aber noch viel mehr beängstigte, war, dass sie immer noch über jeden Schritt von mir und meinem Umfeld Bescheid wussten.
Читать дальше