1 ...8 9 10 12 13 14 ...27 Ich beschloss die Sache ad acta zu legen und zu vergessen. Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Ein gewal tiger Trugschluss, wie sich bald herausstellte.
Im Büro erwartete mich eine Menge Arbeit, so dass ich über diesen Vorfall nicht mehr weiter nachdachte.
Ich hatte Rückrufe zu erledigen. Wieder mal waren Abbuchun gen mangels Deckung zurückgekommen und Kundenschecks ge platzt.
Nach langer Zeit meldete sich auch Doris wieder. Sie wollte die Scheidung. Es gäbe kein Zurück mehr für sie. Diese Mitteilung überschattete alles, was an diesem Tag passiert war.
„Wenn’s kommt, dann kommt es knüppeldick!“, so ähnlich müssen meine Gedanken wohl gewesen sein.
Noch wusste ich nicht, dass es nur das Vorspiel von dem war, was mich noch erwarten sollte.
Seit Tagen saß ich an der Konzeption für eine Wettbewerbsprä sentation eines Großkunden aus Niedersachsen. Ich stand unter Druck, denn der Termin für die Vorstellung des Werbekonzepts stand bereits für die kommende Woche fest.
Freitags ab Mittag ließ das Tagesgeschäft merklich nach. Viele Betriebe gingen früh ins Wochenende. Auch bei PRO MEDIA war daher um 14 Uhr Dienstschluss.
Ich nutzte in der Regel die Zeiten, in denen es etwas ruhiger wurde, um Arbeiten zu erledigen, für die ich Konzentration brauch te oder um Vorgänge aufzuarbeiten, die durch das Tagesgeschäft liegen blieben. Und das passierte öfter. Zuhause wartete sowieso niemand auf mich.
An diesem Freitag drei Tage nach dem Vorfall in Frankenberg saß ich inmitten der Konzeption, als gegen 18 Uhr die Tür auf ging und zwei Männer das Büro betraten.
Einen davon erkannte ich sofort wieder: Bullige Erscheinung, Stiernacken, etwas untersetzt, tätowiert bis zum Hals, Baseball Cap und Lederjacke. Es war der gleiche Typ, der mir im VIS A VIS das Messer an den Hals gesetzt hatte. Der Andere war etwas größer, schlanker, gut gekleidet und trug einen Dreitagebart.
„Was du machen für Geschäfte hier?“, fing der Größere von bei den das Gespräch an. Sein osteuropäischer Dialekt war deutlich zu hören, aber gut zu verstehen. Sein Begleiter schwieg und schaute nur grimmig.
„Das hier ist eine Werbeagentur.“ gab ich zur Antwort. „Was kann ich denn für Sie tun?“
Der Mann schritt das Vorzimmer ab und schaute sich um, wäh rend der andere sich vor die Eingangstür postierte.
„Du müssen wissen, ey, wir Freunde schon bei viele von Ge schäfte in Stadt dieser. Bringen gute Leistung gegen Gesindel, ey. Kosten nicht so viel. Zeiten nicht so gut im Moment. Viele Ver brecher, ey.“
„Was soll das werden hier? Ich kenne Sie nicht und Schutz brau che ich auch nicht! Bitte verlassen Sie mein Büro und zwar sofort!“
Nun meldete sich der bullige Kleinere: „Nix gut für dich, wenn nix arbeiten zusammen mit uns. Kann viel passieren!“
Mit einem Satz war ich an der Bürotür und riss den Bulligen an seiner Lederjacke ein Stück nach vorn. Er bekam meinen rechten Arm zu fassen und drehte ihn mir mit einem Griff auf den Rü cken.
Ich hörte nur noch das Krachen in meinem Schultergelenk. Sofort setzte ein höllischer Schmerz ein. Der Bursche hatte mir den Arm ausgekugelt.
„Stopp!“ rief ich. „Was wollt ihr von mir?“ Ich war bewegungs unfähig und ausgeliefert.
„Du geben jetzt 5000 Mark, ey!“ Ganz abgeklärt stellte der Grö ßere seine Forderung.
„Ich habe keine 5000 Mark hier!“ Die Schmerzen waren so groß, dass ich nur in gebeugter Haltung verharren konnte.
„Du besorgen Geld! Nächste Woche kommen wieder. Garantie, ey! Keine Tricks und nix Polizei! Wir nix allein. Wir viele Leute. Verstehen? Is nix Spaß!“
Der Bullige drohte noch in meine Richtung und beide verlie ßen das Büro. Durch das Fenster konnte ich sehen, dass sie erst auf die gegenüberliegende Seite der Fußgängerzone zu steuerten und dann in Richtung Innenstadt gingen.
Mein Arm schmerzte höllisch. Die Schulter war komplett aus dem Gelenk. Ich musste handeln bevor die Muskulatur sich total versteifte. Ich kannte das schon. Bereits sechs Mal rechts und sechs Mal links hatte ich mir die Schulter beim Sport, speziell beim Fußball, ausgerenkt. Das letzte Mal lag aber bereits zwei Jahre zurück.
Jetzt musste schnell etwas passieren. Ansonsten ginge ohne Nar kose gar nichts mehr und vorher würde man mir den Magen aus pumpen. Das hatte ich alles schon dadurch.
Mit der linken Hand löste ich den Gürtel von meiner Hose. Ich baute eine Schlaufe und legte sie um das heraus gesprungene Ge lenk. Das andere Ende befestigte ich am Griff der Bürotür und
drückte kniend meinen Oberkörper mit aller Kraft nach unten. Mit dem anderen Arm gab ich noch zusätzlich Zug und drehte die rechte Hand in die richtige Position. Es krachte und der Arm war wieder drin.
Dafür flog nun der linke Arm aus dem Gelenk. Wahrscheinlich durch die verdrehte Haltung und wegen der einseitigen Kraftan strengung. Doch diesmal reichte ein kurzes Ziehen nach unten und der Arm war wieder in der richtigen Position.
Ich war schweißgebadet und vollkommen fertig. In was für eine Sache war ich da rein geraten und warum? Ich kannte so etwas nur aus dem Fernsehen und nun war ich „live“ dabei. Und das ausge rechnet in dem kleinen Städtchen Korbach. Was war hier los?
Wie benebelt fuhr ich nach Hause. Das ganze Wochenende über legte ich: Was ist zu tun und vor allem, was ist das Richtige? Die Typen sprachen von noch mehr Geschäften auf ihrer Liste.
Bei meinem Nachbarn gegenüber, einem Sportgeschäft und auch Kunde von PRO MEDIA, war in kurzen Abständen die Schau fensterscheibe vier Mal komplett eingeschlagen worden. Gerüch ten zufolge, würden chinesische und italienische Restaurants seit Längerem Zahlungen leisten. Von einigen Einzelhändlern war bekannt, dass sie sich private Sicherheitsdienste besorgt hatten.
„War ich nun dran? Hatten diese Verbrecher die großen Städte abgegrast und gingen nun aufs Land? Was passiert, wenn ich da mit zur Kripo gehe? Würden die mir überhaupt Glauben schenken? Ich hatte keinerlei Zeugen. Wie viel Typen sind da noch im Hintergrund? Wo Zwei sind, können noch Zehn andere sein.“
Fragen über Fragen überkamen mich, ohne dass ich eine Ant wort hatte. „Was tun? Was ist das Richtige?“ Ich war noch nie in so einer Situation.
Die Verunsicherung und die Bedrohlichkeit, die die Ganoven erzeugt hatten, wirkte. Ich beschloss, das Geld zu besorgen in der Hoffnung, dass es eine einmalige Sache war und ich danach wieder Ruhe hätte. Ein folgenschwerer Fehler.
Zu Beginn der neuen Woche stand ich immer noch unter dem Eindruck der vergangenen Ereignisse.
Zwischenzeitlich hatte ich meine Meinung wieder geändert.
Ich wollte den Gestalten nicht so einfach zu Willen sein. Auf der anderen Seite war da die Angst und die Unsicherheit, nicht zu wissen was passiert, wenn ich es nicht tue.
Der Montag im Büro war schrecklich. Die beiden „Herren“ hat ten nicht gesagt, wann sie wieder kommen wollten. Ich musste also jeder Zeit damit rechnen, dass sie auf einmal im Raum stehen könnten. Und wenn nicht hier, dann warteten sie vielleicht wo anders auf mich. Das Büro zu zuschließen war auch nicht mach bar. Ich konnte meinen Mitarbeitern schlecht sagen: „Geht mal nach Hause. Ich erwarte gleich zwei Erpresser.“
Am nächsten Tag besorgte ich das Geld.
Meine Konzeption bekam ich mehr schlecht als recht fertig. Ir gendwie war ich froh, an diesem Mittwoch nicht im Büro sein zu müssen. Die Vorstellung des Werbekonzepts lief wider Erwarten positiv. Ich fuhr mit einem guten Gefühl zurück und beschloss, im Büro noch die Post durchzusehen. Es war mittlerweile 19 Uhr 30.
Ich kam nur wenige Minuten dazu, mich mit den Unterlagen zu beschäftigen, da standen plötzlich die beiden Typen im Büro. Ich wunderte mich, wie sie ins Haus gekommen waren. Die Ein gangstür wurde immer um 19 Uhr zugeschlossen. Ich selbst hatte sie noch verschlossen, als ich ins Büro ging. Anscheinend war ein Mieter, aus einer der anderen Wohnungen, noch einmal raus und
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