»Quorr! Quorr!«
Ein einzelnes Brandgeschoss vom Bug des Halldir-Frachters landete genau in der enger werdenden Lücke der beiden Quorr-Schiffe und schaffte es nicht einmal, die Bordwände in Brand zu setzen. Die Besatzung des Frachters verzichtete auf weitere Schüsse, da sie sonst nur ihre eigenen Leute gefährdet hätte, die längst im heftigen Nahkampf mit den Knochenkriegern standen. Wieder bemannten die Frachtschiffer die beiden Beiboote und ruderten wie besessen, um in den Kampf an Bord der beschädigten Quorr-Schiffe eingreifen zu können.
Und dieser Beistand wäre auch bitter nötig gewesen, denn die Knochenkrieger hackten so vehement auf die Händler und deren Krieger ein von denen es ohnehin nur wenige ausgebildete gab , als gelte es, sie in handliche Stücke zu zerhauen. Die Rücksichtslosigkeit der Krieger aus Quorr versetzte den Halldir-Männern einen Schock. Sie sahen, wie ein Freund nach dem anderen fiel, enthauptet oder seiner Arme oder Beine beraubt wurde. Aus mindestens einer, meist jedoch mehreren Wunden blutend, sanken die Halldir-Kämpfer auf das Deck … und den noch Stehenden schwand der Mut. Das Leben floss in roten Strömen aus ihren Körpern und machte die Planken glitschig. Längst war ihr Glaube an Sieg aus ihren Gesichtern verschwunden. Jetzt zeigten sie nur noch Schmerz und Verzweiflung. Einige sprangen über Bord oder legten ihre Waffen nieder. Doch der Ansturm oder vielleicht auch lediglich die Grausamkeit der Knochenkrieger, bescherte ihnen kein Pardon. Wie Halme unter der Sichel eines Bauern fielen die Halldir … bis nur noch knapp ein Dutzend einen Ring um ihren Patriarchen bildete.
Als die Männer in den Beibooten das sahen, stellten sie das Rudern ein, zogen schwimmende Kameraden aus dem Wasser und ließen ihre Schultern sinken.
»Lasst eure Waffen fallen, Halldir!«, dröhnte Sadors Stimme in die plötzlich entstandene Ruhe. Doch die Truppe um den Clan-Chef und seinen verletzten Sohn behielt Schilde und Waffen kampfbereit erhoben. »Habt ihr mich nicht verstanden? Ihr sterbt augenblicklich, wenn ihr nicht gehorcht.«
»Wir sterben ohnehin, Knochenmann«, kam es klar und stark von Halldirian zurück.
»Was hast du denn zu sagen, Bürschchen?« Dann sah Sador die Ähnlichkeit und zog den richtigen Schluss. »Ah, wohl der Sohn dieses alten Mannes, was?«
»Dieser alte Mann hat allein ein halbes Dutzend von euch erschlagen …«
»Und doch kann er wohl nicht für sich selbst sprechen, Bürschchen.« Dann lachte Sador, richtete blitzschnell seine Armbrust auf den Patriarchen und schoss ihm einen Bolzen mitten in den Schädel.
»Vater!«, schrie Halldirian entsetzt und versuchte, den zusammensackenden Körper aufzufangen. Doch die eigene Wunde ließ ihn scheitern und mit dem Toten auf das Deck niedersinken. Den Rest des Halldir-Clans verließ der Mut und so streckten sie ihre Waffen.
»Noch jemand?«, fragte Marsa, der an der Seite seines Anführers stand und wohl hoffte, noch ein paar Männer erschlagen zu dürfen. Doch ein Befehl ihres Königs hinderte ihn genauso daran, wie Sador: Gibt sich ein Feind geschlagen, sind alle Überlebenden nach Quorr zu bringen! Trotzdem wussten beide, dass ihre Gefangenen auf Der Festen Insel nicht lange leben würden.
Es war etwa zum Ende der vierten Nachtstunde, also zum Übergang von der Großen zur Späten Nacht , als zwei Hafenglocken mit verhaltenen Schlägen die Ankunft von Schiffen verkündeten. Die erste – mit dunklerem Ton – trug ihre Botschaft mit einem einzigen Schlag an die Hafenmole und in die nahe Stadt. Die zweite Glocke zählte mit helleren Schlägen die Anzahl der Schiffe auf.
Drei helle Töne … drei Schiffe , dachte Surrio und war sofort hellwach. Als Iruti hatte er ohnehin nur geringen Bedarf an Ruhe, dazu einen sehr leichten Schlaf. Und die Ankunft von Schiffen war stets ein Umstand, der ihn interessierte. Er ahnte zwar schon, um welche Schiffe es sich handeln könnte, wollte sich aber persönlich davon überzeugen, dass seine Vermutung zutraf.
Die Knochenkrieger stießen aber mit vier in See: zwei Fracht- und zwei Kriegsschiffen! Er grinste schadenfroh. Die Halldir haben sich also zu wehren gewusst.
Der Gaukler verzichtete auf seine bunte Dienstkleidung , und zog sich stattdessen rasch dunkle Hosen, Hemd und Umhang über. Anstatt der Schuhe mit den Zimbeln schlüpfte er in weiche Ledersandalen, die ihn lautlos über fast jeden Untergrund würden schreiten lassen können. Surrio hatte mit Absicht und auf eigene Kosten ein Quartier bezogen, das näher am Hafen lag, als am Schloss König Rhazors. Er hatte diesbezüglich den Geiz des Potentaten ausgenutzt, der es gerne sah, wenn er sich ein paar Goldmünzen sparen konnte. Den Nachteil, der nicht unmittelbaren Verfügbarkeit seines neuen Unterhalters, nahm er dafür gerne in Kauf.
Surrio hatte es also nicht weit und kam gerade an, als das erste der Schiffe an seinem Liegeplatz anlegte. Schon als der Iruti um die letzte Hausecke gebogen war, wurde ihm klar, dass es sich ausschließlich um Frachtschiffe handelte. Verwundert besah er sich die Flaggen, die im schwachen Mondlicht ihre Herkunft verrieten.
Rote Dreieckssegel mit weißen Knochen … zwei Quorr-Schiffe … Frachter. Wo haben sie ihre Kriegsschiffe gelassen? Dann schlich er um eine Kaimauer herum und lugte zwischen zwei Pollern hindurch auf das dritte der Schiffe, das sich nun langsam am ersten vorbei bewegte und ebenfalls seinen Platz fand. Ein silberner Hammer auf blauem Grund: ein Halldir-Schiff.
»Also haben sie die Flüchtenden gefunden und eingeholt«, flüsterte er leise und zog sich ein wenig tiefer in die Deckung zurück, als Knochenkrieger die eilig angebrachten Stege herabmarschierten. »Wo haben sie ihre Kriegsschiffe?«, wiederholte er noch leiser und blickte durch eine Lücke auf die nicht ferne Hafeneinfahrt. Doch dort kündigten sich keine weiteren Schiffe an. Auch die Glocken blieben stumm.
Es muss einen Kampf gegeben haben. Denn Handelsschiffer hin oder her: Die Halldir würden sich niemals freiwillig in die Hände Quorrs begeben. Dann stahl sich ein zufriedenes Grinsen in das Gesicht des Zwerges. Offensichtlich mussten die Knochenkrieger mit zwei Schiffen … und entsprechendem Blutzoll die Hatz bezahlen.
Wie zur Antwort fiel das Mondlicht auf das Gesicht eines der Knochenkrieger, der es zum Himmel erhoben hatte. Surrio glaubte, darin jemanden wiederzuerkennen, der nach dem Befehl des Königs am Tag zuvor eilends die Thronhalle verlassen hatte. Dem Ausdruck im Antlitz des Mannes nach zu urteilen, war er nicht besonders erpicht darauf, seinem Souverän bald gegenübertreten zu müssen. Ob er seine Götter anrief, konnte der Gaukler nur vermuten. Im Grunde war es ihm egal und er wandte seine Aufmerksamkeit wieder auf die hinter dem Quorr-Anführer auftauchenden Gestalten. Nach einem Trupp Knochenkriegern folgte eine Reihe von Männern in Fesseln. Eine erschreckend kurze Reihe. Surrio zählte gerade einmal 23 Mann, dann kamen wieder Männer in Knochenrüstung.
Ihr Götter! Soll das alles sein, was vom Halldir-Clan übrig geblieben ist? Vielleicht sind ihnen doch welche entkommen.
Als die Gefangenen in der Mitte ihrer Häscher den breiten Weg zum Schloss antraten, fiel dem Zwerg auf, dass keiner der Gefesselten nennenswerte Wunden erlitten zu haben schien.
Ein Kampf ohne Verletzungen? Haben sie sich ergeben? Dann schüttelte der Iruti seinen Kopf. Nie im Leben! Wahrscheinlich haben sie alle tödlich Verletzten und Toten einfach über Bord geworfen. Er verfolgte die traurige Szene und überlegte. Sie werden die Gefangenen dem König nicht mitten in der Nacht vorführen, dachte Surrio. Ich habe also genug Zeit für eine kleine Exkursion. Wenn ich allerdings von einer Wache oder einem anderen Quorr erwischt werde, wird Rhazor mich hinrichten lassen. Die Quorr schätzen es nicht, wenn man sie ausspionieren will.
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