1 ...8 9 10 12 13 14 ...23 »Auch Zauberer können Angst empfinden, Vorsteher. Ein Mann, der keine Angst empfindet, ist ein dummer Mann.«
»Und bald ein recht toter Mann«, stimmte Baldouin zu. »Die Angst kann Krieger zu Taten beflügeln, die sie ohne sie nicht vollbracht hätten.«
Sein Gegenüber namens Merywyn nickte. »Danach nennt man sie Helden … und selbst sie hoffen, nie wieder in eine ähnliche Situation zu geraten, wie jene, die sie zu Helden gemacht hat. Weißt du noch, Baldouin? Damals in der Höhle … es waren nicht weniger als drei Wollbären, die uns …«
»Wir wollen unsere Gäste nicht mit alten Taten langweilen, Merywyn. Ihr beide seid Helden!«, betonte Fellobain und setzte ein ernstes Gesicht auf. »Aber nun scheint es mir an der Zeit zu sein, zu erfahren, was einen Zauberer hier in den hohen Norden gelockt hat.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir hatten hier noch nie Besuch von einem Eurer Art, Ceanag. Zumindest weiß ich von keinem. Und ich bin schon mein ganzes Leben hier. Außerdem fürchte ich, werden wir nach Eurer Abreise auch nicht mehr so schnell wieder einen zu sehen bekommen. Unser Land ist zwar voller Bodenschätze, aber magisch ist wohl nur das Nordlicht.«
Hierin täuschte er sich gewaltig. Und nicht nur er.
Ceanag huschte ein freundliches Schmunzeln über das Gesicht, das aber wieder verflog, als er sich aus seiner etwas eingesunkenen Haltung aufrichtete und nun kerzengerade auf seinem Stuhl saß.
»Das dürfte exakt der Grund sein, warum einer meiner Ur-Ahnen einst hierher kam«, erklärte Ceanag leise. »Die Pole sind neben dem Reich Quorr die einzigen Orte auf dieser Welt, die ihre Lage nicht verändern. Der Goldene Vater hatte in seiner Weisheit lediglich zwei Orte Vor Dem Fall verschont, den südlichen und den nördlichen Pol. Quorrs Frevel besteht schon allein darin, dass es nicht driftet … und seit mehr als 300 Jahren Insel um Insel an sich bindet. Auch ohne die Zustimmung ihrer Bewohner.«
Dann verfinsterte sich Ceanags Gesicht und alle wurden daran erinnert, dass hier kein munterer Wanderer saß, sondern ein Zauberer, ein mächtiges Wesen aus einer anderen Epoche der Welt. Vor Dem Fall soll es Tausende manche Quellen sprachen sogar von Millionen Zauberer gegeben haben, berichteten die Legenden. Und jeder im Raum erinnerte sich nun daran.
»König Rhazor von Quorr«, fuhr Ceanag fort, »scheint nicht mehr gewillt zu sein, dem Lauf der Strömungen die Vermehrung seines Reiches zu überlassen. Er baut seine Kriegsflotte aus, er rafft alles Metall an sich, was er kriegen kann … und er sucht nach einer Waffe … der Waffe!«
Fellobains Antwort war wohl nicht anders zu erwarten gewesen. »Es kam seit langem kein Schiff aus Quorr mehr zu uns. Das letzte …«
»… kam vergangenen Sommer«, ergänzte Meister Francassa. »Also vor etwa einem Dreivierteljahr. Der Kapitän war ein Schleimbolzen ohne Beispiel. Man könnte ihn zerquetschen und anstatt Schneckenschleims an eine Bordwand schmieren. Es wäre kein Verlust. Er verhandelte so unverschämt arrogant und zäh, dass ich schließlich einem schlechten Preis zustimmte, nur um ihn loszuwerden.« Dann grinste Francassa hämisch. »Wir haben ihnen allerdings ein Viertel des Laderaums mit Schlacke und minderwertigem Erz gefüllt.«
Ceanag zuckte für einen Moment der Gedanke durch den Kopf, dass die Quorr sich so einen Betrug nicht gefallen lassen würden. Daher wandte er sich zuerst an Meister Francassa, dann an Minen-Vorsteher Fellobain. »Meine Herren, Ihr glaubt doch wohl nicht, dass Quorr es darauf beruhen lassen wird? Allein aus diesem Grund dürftet Ihr mit … Ärger zu rechnen haben. Mit dem nächsten Schiff aus Quorr oder gleich einer ganzen Flotte, die sich nimmt, wonach es ihr gelüstet.« Ceanag mahlte mit den Kiefern, doch er musste es aussprechen: »Meine Hoffnung für Euch ist, dass König Rhazor zu der Einsicht gelangen könnte, dass er Euch als Sklaven für die Minen braucht und daher am Leben lässt. Die Quorr sind Eroberer, Seefahrer … Mörder. Aber keine Bergleute. Die Freiheit werdet Ihr aber verlieren … wenn Ihr Euch nicht dagegen wappnet und alles tut, um diesem Möchtegern-Kaiser Einhalt zu gebieten.«
Francassa und Fellobain war längst die Freude über die Gäste und das Mahl aus den Gesichtern entwichen.
»Ihr erwähntet auch eine Waffe … eine besondere Waffe?«
»Sie muss es wohl gewesen sein … besonders, meine ich. Eine, gegen die es keine Abwehr gab.«
»Ihr wisst es nicht?« Fellobains Ausruf spiegelte wider, was alle dachten. »Was für eine Waffe war das? Und was unterscheidet sie von allen anderen?«
»Mit ihr konnten … konnte man Draken töten.« Ceanags Worte blieben wie zähflüssige Schleier in der Luft hängen und schienen in den Ohren und Köpfen der Männer nachzuschwingen.
»Es gibt keine Draken mehr«, warf Merywyn ein. »Und die kleinen Drachen, die Wyvern, welche die Nachrichten befördern, kann jedes Kind mit einem Stein erschlagen oder mit Pfeil und Bogen vom Himmel holen.«
»Warum will Rhazor eine Waffe gegen einen Feind, den es nicht mehr gibt?« Baldouins Blick fiel auf sein Schwert, das mit allen anderen Waffen in einem Gestell nahe des Eingangs steckte.
»Er will diese Waffe gegen alle freien Völker Driftworlds führen, sie in einer Reihe von Seeschlachten einsetzen und all jene unter seine Knute zwingen, die sich ihm bislang entziehen konnten oder zu weit weg von Quorr waren. Hat er aber diese Waffe, wird er keinerlei Skrupel mehr haben.«
»Mein lieber Freund Ceanag«, sprach nun Kapitän Yosander zum ersten Mal und alle Blicke richteten sich auf ihn. »Ihr deutetet vorhin an, dass einer Eurer Ur-Ahnen diese Waffe hier versteckt hätte. Wo?«
Nun sah der Zauberer plötzlich wie ein Häuflein Elend aus. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob die betreffende Stelle in den Legenden dieses Eis meinte.«
»Wie lautet die Textstelle?«, fragte Yosander.
»Es ist leider nur ein Fragment«, antwortete Ceanag. »Hätten wir den kompletten Text, wäre ich deutlich zuversichtlicher, sie bald zu finden.« Er schüttelte bedauernd den Kopf, dann richtete er sich in seinem Stuhl ein wenig auf. »Der Text lautet so:
Ø
So schrecklich das Feuer,
geschleudert vom Himmel,
erweckt es die Flammen
aus den Schlünden der Hölle,
verbrennt es die Scheuer,
das Menschengewimmel,
so rasch wie der Wind,
hinterlässt nur noch Stille.
Ø
Die Ersten jedoch,
erfüllt von der Macht,
ergreifen die Waffe,
die gegen Draken gemacht,
vernichten die Bestien,
im ganzen Weltenrond,
versenken sie tief
bei …«
Ø
Ceanag verstummte und für lange Minuten blieb es still im Raum. Nur das Feuer im Kamin knisterte leise. Doch niemand fühlte dessen Wärme. Die Kälte des Sturmes schien nun doch durch die Ritzen des Gemäuers zu dringen und die Körper der Männer zu erfassen.
Kapitän Yosander war der Erste, der wieder sprach. »Das ist alles? Der Text bricht mitten im Satz ab. Ein seltsames Wort: Weltenrond. Muss es nicht Weltenrund heißen?«
»Versenken sie tief …« Baldouin kratzte sich am Kinn. »Wenn damit eine Stelle im Alun gemeint ist, ist das viel zu ungenau«, urteilte er nüchtern. »Eher im Eis. Aber das muss nicht hier im Norden sein. Somit könnte auch der Südpol als Ort in Frage kommen«, schloss er und blickte sich nach Zustimmung suchend um.
»Das ist das Problem, meine Herren«, gab Ceanag zu. »Nicht nur, dass der Text unvollständig ist, es ist auch eine Übersetzung der Alten Sprache des Ersten Volkes. Und jede Übersetzung mag ihre Mängel haben.«
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