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Theben, im zweiten Jahr der Herrschaft Thutmosis Aakheperenres
Hatschepsuts Bauch war rund, noch nicht kugelig, aber sichtlich rund, und Ipu verwöhnte sie, schob ihr ständig Leckereien zu und sang fröhliche Lieder. Es hatte lange gedauert bis ihre Mondblutungen ausblieben, und Hatschepsut hatte bereits befürchtet, dass der Samen ihres kraftlosen Bruders zu schwach für ihren starken Leib sei. Sie hatte Amun angefleht, in Karnak im Allerheiligsten vor seinem Standbild gelegen, und als das nichts half, hatte Ipu sogar einen Wabu kommen lassen, damit er herausfände, was an Hatschepsuts Leib nicht stimmte und warum sie nicht schwanger wurde. Der Wabu hatte Hatschepsut genau betrachtet, sich gewichtig gegeben und über die seltsame Farbe ihrer Augen gesprochen. „Es scheinen mir zu viele Sprenkel die Klarheit der Pupille zu trüben. Das könnte ein Zeichen dafür sein, dass die Durchgänge der Großen Königlichen Gemahlin verstopft sind.“ Sodann hatte der Wabu die Zehe eines Knoblauchs in Hatschepsuts Unterleib geschoben, und sie angewiesen, diese eine ganze Nacht lang dort zu belassen. Am nächsten Tag war er gekommen und hatte ihren Atem gerochen, wonach er entschuldigend den Kopf geschüttelt hatte. „Die Durchgänge der Gottesgemahlin sind tatsächlich verstopft, denn es dringt kein Knoblauchgeruch aus ihrem Mund. Sie wird kein Kind des Einzig Einen empfangen können, solange das so ist. Bete nur weiter zu Amun und bringe Thoeris Opfer, damit sie deinen Wunsch nach einem Sohn erhört.“
Hatschepsut war untröstlich gewesen in Anbetracht der niederschmetternden Worte. Daraufhin hatte Ipu den Wabu fortgejagt und ihn einen dummen Schwätzer genannt. Verärgert und mit hoch erhobenem Haupt war der Priesterarzt verschwunden, nicht ohne noch einmal auf seine Stellung und Befähigung hinzuweisen. „Ich, Unesch, behandele seit vielen Nilschwemmen die königliche Familie. Der Einzig Eine vertraut mir – nur die Große Königliche Gemahlin zweifelt an meinen Fähigkeiten!“
Doch Ipu bestand trotzdem darauf, dass er ein Stümper war, daran änderte auch der Umstand nichts, dass Thutmosis ihm vertraute.
Schließlich hatte Hatschepsut in ihrer Ratlosigkeit nach dem obersten Priesterarzt in Karnak schicken lassen. Dieser hatte ihr durch seinen Schüler ein Amulett der Göttin Thoeris überbringen lassen, das Hatschepsut tragen und nicht mehr ablegen sollte – und bald darauf hatte ihr Bauch sich endlich gerundet. Zum Dank für seine Hilfe hatte der Arzt einen Schmuckdolch mit Edelsteinen von ihr erhalten, und den Titel „Leibarzt der Großen Königlichen Gemahlin“. Seit Hatschepsut ein Kind trug, hatte Thutmosis sie nicht mehr rufen lassen, und Hatschepsut hatte ihn ebenfalls nicht darum gebeten, ihr Lager zu teilen. Sie wussten beide, dass sie einander nicht begehrten – sie wollten nur das Kind, das sie zusammen gezeugt hatten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
„Noch vier Monde, Haatsch, dann hast du einen eigenen Sohn, und das Balg der Nebenfrau wird vergessen werden.“
Hatschepsut hätte es gerne vergessen, das Kind der Isis, doch sie konnte nicht leugnen, dass es ein kräftiger Knabe war, der bald sein erstes Jahr vollendet hätte, der gesund war und wuchs, und dem sein Vater den Namen Thutmosis gegeben hatte, als wäre er der Falke im Nest. Ein jeder wartete nun angespannt, was die Gottesgemahlin zustande brachte und ob auch sie einen kräftigen Knaben gebären konnte. Das Kind, das sich erst vor Kurzem in ihr zu regen begonnen hatte, schien ihr nicht kräftig, vielmehr waren seine Tritte zögerlich und sanft, wie das Treteln eines neugeborenen Kätzchens. Ipu half Hatschepsut auf und zog sie so aus ihren ängstlichen Gedanken. Natürlich würde sie einen Sohn haben, der das Kind der Isis übertraf! Sie war Hatschepsut. Wie hätte ihr Kind schlechter geraten können, als das von Isis.
„Sie warten bereits alle im Empfangssaal – du willst dieser Schlammfliege, die am Min deines Bruders hängt, doch nicht deinen Platz überlassen, oder? Also beeil dich, so rund bist du noch nicht, dass du trödeln darfst.“
Ipu war unverschämt, aber sie war ihre Vertraute. Sie war ehrlich und einer der wenigen Menschen, die nicht zahllose Litaneien zu Hatschepsuts Begrüßung herunterleierten, bevor sie mit ihr sprachen. Begleitet von einer Schar Priester und Hofdamen eilten sie durch die Gänge, bis zur Empfangstür des großen Thronsaals, in dem Thutmosis seine Gesandten empfing oder sich mit seinen Beratern besprach ... mit Mutnofrets und Isis Beratern , verbesserte sie sich selbst.
„Die große königliche Gemahlin, Gottesgemahlin, geliebt von Amun, geliebt vom Herrn beider Länder, Hatschepsut“, leierte der Zeremonienmeister ihre Titulatur herunter, als sie den von Menschen überfüllten Saal betrat. Die Höflinge wichen vor ihr zurück, kreuzten die Arme vor der Brust und taten ihre Verbeugungen - doch Hatschepsut wusste, dass sie es nicht um ihretwillen taten, sondern weil sie die große königliche Gemahlin des Pharao war und einen runden Bauch hatte, in dem vielleicht ein neuer Falke heranwuchs. Wie unsicher ihre Stellung war, nachdem Isis einen Sohn geboren hatte, sah man an der Zurückhaltung der Höflinge, die ihr nicht mehr Aufmerksamkeit schenken mochten als der dreisten Nebenfrau.
An ihr vorüber zogen zwei Wachen einen Mann, der zerlumpt aussah. Er war mager und müde und hing schlaff in den Armen der Wachen. Doch als sie an ihm vorüberging, hob er kurz seinen Kopf, und starrte Hatschepsut durchdringend aus einem einzigen bernsteinfarbenen Auge an. Goldlöwe! Hatschepsut zuckte zusammen, als die Erinnerung sie überkam wie ein längst vergessener Traum aus vergangenen Tagen. Dieses Bündel aus Knochen und Haut hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem schönen Mann, dem die Mädchen in Theben nachgestarrt hatten. Warum war er hier? Warum führten sie ihn aus dem Thronsaal wie einen Verbrecher? Sie überlegte ihn anzusprechen, doch ein ungutes Gefühl ließ sie schweigen. Sie musste wissen, was geschehen war und wessen Sary sich schuldig gemacht hatte, bevor sie den Unwillen aller auf sich zog. Obwohl es ihr schwerfiel, beachtete sie den Bruder ihres einstigen Geliebten nicht weiter, und ließ es zu, dass die Wachen ihn aus dem Thronsaal schleiften. Auf dem Thronpodest wichen im gleichen Augenblick, als Hatschepsut die Stufen hinaufkam, Mutnofret und Isis vom Ohr ihres Brudergemahls und krochen wie Schlangen zurück in die Schatten hinter dem Thron, aus denen sie ihr Gift in Thutmosis Ohren träufelten – langsam und stetig. Sie mussten ihr weichen, noch mussten sie es, denn sie wussten nicht, ob es ein Sohn war, der in Hatschepsut heranwuchs. Wäre es eine Tochter, würden sie bald nicht mehr vor ihr zurückweichen. Hatschepsut ließ sich neben Thutmosis auf dem Thronstuhl der Königin nieder, darauf bedacht, ihren runden Leib nicht zu verbergen.
„Schwester“, murmelte Thutmosis gequält und beinahe taub auf den vergifteten Ohren, ohne sie anzusehen. „Da ist einer aus dem Goldland zurückgekehrt und fordert, dass ich Truppen entsende, um die Aufstände einzudämmen. Denk dir nur – er fordert es – von mir, dem lebenden Gott! Weiterhin behauptet er, die Fürsten der Söhne von Kerma hätten sich gegen den Horusthron verschworen. Aber Mutnofret und Isis glauben, dass er einfach feige geflohen ist und seine Kameraden allein gelassen hat. Isis rät mir, keine Zeit mit ihm zu verschwenden und ihn unverzüglich hinzurichten.“ Seine Augen glänzten wie im Fieber, ein Zeichen dafür, wie verunsichert Thutmosis war. „Was soll ich tun? Er hat mich beschimpft und mich einen Heuchler und Menschenschlächter genannt. Das bin ich doch nicht, Haatsch! Ich habe die Leibwache unseres Vaters ausgesandt, um die Aufstände in Nubien einzudämmen, aber er behauptet, ich hätte sie mit voller Gewissheit in den Tod geschickt. Warum geschieht das gerade mir? Tue ich Recht daran, wenn ich ihn hinrichten lasse oder nicht? Laufen lassen kann ich ihn nicht, denn er wird in Theben gegen mich hetzen.“ Er jammerte beinahe wie ein Kind, und Hatschepsut sah sich genötigt, seine Hand zu nehmen, obwohl sie ihn lieber an den Schultern gerüttelt hätte. Thutmosis war wie ein junger Hund und forderte ihre Hilfe ein, ohne ihr die Seine zu gewähren. „Haatsch, was soll ich denn nur tun ... er will, dass ich Truppen nach Nubien entsende, aber gestehe ich nicht Schwäche ein, wenn ich mich von ihm beleidigen lasse?“
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