Vor ihm saß Hatschepsut, die Lieblingstochter seines toten Herrn, in einem schlichten Leinenkleid, das schwarze Haar fiel ihr glatt über die Schultern, und nur der Uräus, der sich über ihrer Stirn erhob, ließ erkennen, wer sie war. Sie war feingliedrig und voller jugendlicher Ungeduld, wie sie auf dem zierlichen Ebenholzstuhl herumrutschte und den Becher mit Wein nicht anrührte, den sein Diener Anen ihr gebracht hatte. Die aus der Familie des Horus lernten bereits früh, ohne Vorkoster keine Speise anzurühren, die ihnen gebracht wurde. Hatschepsuts Bauch begann sich zu runden – sie hatte es vollbracht, ihrem Brudergemahl ein Kind abzutrotzen, obwohl die Höflinge Wetten darauf abgeschlossen hatte, dass Thutmosis seine Schwester nicht anrühren würde. Ipu, ihre hübsche aber etwas überhebliche Dienerin, stand hinter ihr und sah sich verstohlen in seinem Haus um. Es war kein ansprechendes Haus für das Auge einer verwöhnten Palastfrau, denn es enthielt zu wenig Tand und Zierrat, um den Augen einer Frau zu schmeicheln. Aber Senenmut liebte es, denn es war sein Heim – seine Flucht vor der Welt des Palastes. Doch heute war der Palast ohne Vorankündigung in sein sicheres Nest eingedrungen. Senenmut wusste nicht, ob er zornig war oder einfach überrumpelt. Hatschepsut war eine Gottestochter, und diese machten sich wenig Gedanken darum, ob sie erwünscht waren oder nicht. Sie redeten viel und hörten wenig auf die Worte von anderen.
„Senenmut, kann ich dir vertrauen, und bist du mein Freund?“, fragte Hatschepsut mit ihrer weichen Mädchenstimme bereits das zweite Mal und zwang ihn, in die Wirklichkeit zurückzukehren. Senenmut tat sich schwer mit einer Antwort, denn er wusste, sie musste von Ehrlichkeit zeugen und würde ihn einmal mehr dem Göttlichen verpflichten. Wollte er der Freund dieser jungen königlichen Gemahlin sein und ihr dienen? Senenmut wusste, dass er ihrem Bruder auf keinen Fall dienen wollte, aber in Hatschepsut schien etwas von ihrem göttlichen Vater aufzuflackern. Wie sie ihn mit ihren schräg stehenden Augen ansah und ihn aufforderte, endlich zu antworten erkannte er den großen Willen, der auch ihrem zu Osiris gegangenen Vater zu eigen gewesen war. Ihrem Vater hatte er einst ein Versprechen gegeben, von dem Senenmut inbrünstig gehofft hatte, dass es nicht nötig wäre, es einzulösen. Aber die Götter achteten nicht auf die Wünsche der Sterblichen. Es war ein schöner Traum gewesen – eine eigene Familie, Söhne, die dereinst Opfer für ihn bringen würden, eine freundliche Gemahlin an seiner Seite ... Dies ist nicht, was Amun von mir erwartet!
„Du bist die große königliche Gemahlin, und dein Vater hat die Wahrheit gesprochen, als er sagte, dass du dich vertrauensvoll an mich wenden kannst. Ich werde dich ins Goldland begleiten und die Truppen führen.“ Ich wünschte jedoch, dass es nicht nötig wäre, denn ich kenne die Menschen des Goldlandes. Mit ihrem Vater hatte er einst den Herrscher von Kerma niedergezwungen und die Mauern seiner Stadt geschliffen, aber die Menschen würden immer wieder aufbegehren, so oft Kemet auch Truppen entsandte. Doch wie konnte er diese ahnungslose junge Königin allein gehen lassen, wo er ihrem Vater einen Schwur geleistet hatte? Senenmut sah in ihr dreieckiges Gesicht, das weder lieblich noch hart war, aber auf eine seltsame Art und Weise anziehend. Wusste dieses Mädchen denn überhaupt, was es da tat oder basierte der Entschluss ihres Handelns auf unüberlegten Gedankengängen, wie es bei ihrem Bruder der Fall war? „Du weißt, dass sich viel verändern kann, wenn du lange aus Theben fort bist. Die, die gegen dich sind, werden die Zeit nutzen. Bist du dir sicher, dass du nur wegen ein paar Soldaten diese Reise auf dich nehmen möchtest? Du trägst ein Kind – dies scheint mir die klügste Art für eine Königin, ihr Leben und ihren Rang zu sichern.“
Hatschepsuts Brauen hoben und senkten sich wieder, als überlege sie ob Senenmut sie hatte beleidigen wollen. „Senenmut, hältst du mich für dumm oder willst du herausfinden, ob ich klüger bin, als du es mir zutraust? Wenn ich nach Nubien gehe und das Goldland befriede, das Leben der Soldaten dort rette, wem werden sie es danken? Mir oder meinem Bruder?“
Er zwang sich, das aufkommende Lächeln zu unterdrücken und ernst zu bleiben. „Und wenn es dir nicht gelingt, wem werden sie es anlasten?“
Das Mädchen vor ihm ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, auch wenn er spürte, dass es ihr schwerfiel. Sie hatte Angst, dachte jedoch nicht daran, dies vor ihm einzugestehen. Aber Senenmut musste genau wissen, mit wem er es zu tun hatte, bevor er sich entschloss, seinen Frieden aufzugeben und sich wieder in die Schlangengrube des Palastgeschehens zu begeben. „Willst du deinen Bruder stürzen, meine Königin?“
Er hatte damit gerechnet, dass diese Frage sie endgültig aus der Fassung brachte. Sie hätte aufspringen und ihn beschimpfen sollen, mit hoch erhobenem Kopf sein Haus verlassen, doch Hatschepsut tat nichts dergleichen. „Ich will nur Schutz für mich und mein Kind. Ich will leben, ohne mich ständig umsehen zu müssen, ob ein gedungener Mörder mit dem Dolch auf mich wartet oder Gift in mein Mahl gibt. Wenn Kemets Truppen mir wohlgesonnen sind, kann ich das tun ... und ich will das Beste für mein Land und das bewahren, was mein Vater so trefflich für Kemet errungen hat.“ Hatschepsut ließ ihn nicht aus den Augen. „Also, Senenmut, den der Einzig Eine seinen Freund nannte. Willst du auch der Freund der großen königlichen Gemahlin Hatschepsut sein?“
Endlich gestattete er sich eines seiner schief geratenen Lächeln, nickte und deutete eine Verbeugung im Sitzen an. Hatschepsut sprang von ihrem Stuhl auf und gab ihrer Dienerin einen Wink ihr zu folgen. Anscheinend hatten seine Worte ihr doch zugesetzt, denn sie wandte sich zum Gehen. Dann überlegte sie es sich anders und sah ihn noch einmal an. „Nun denn, Senenmut, einzig wahrer Freund der großen königlichen Gemahlin. Du hast eine für Kemet heilsame und durchaus ehrbare Wahl getroffen, wenn auch eine gefährliche. Viele Freunde besitze ich wahrlich nicht.“ Ihre Augen schienen zu funkeln und gleichzeitig zu lächeln, als sie weitersprach. Senenmut wunderte sich wie gut sie ihre Gefühle beherrschte, obwohl sie noch so jung war.
„Und meine Freunde nennen mich Haatsch, wenn sie mit mir allein sind. Hapuseneb wird es dir bestätigen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schwebte Hatschepsut aus seinem Haus und hinterließ einen Hauch von Weihrauch, mit dem die Priester sie an jedem Morgen reinigten.
Senenmut sah ihr nach und bewunderte ihren Gang, der trotz der Schwangerschaft leichtfüßig und gerade war. Ihre Dienerin spannte einen Sonnenschatten aus Stoff über ihr auf sobald sie sein Haus verließen, doch Hatschepsut schob ihn beiseite, als fühle sie sich gestört. Senenmut erhob sich von seinem Stuhl und rief nach seinem Diener, dem alten Anen, der seit mehr als zwanzig Nilschwemmen in seinen Diensten stand. Sein Rücken war krumm, sein Kopf fast kahl, und flink war er auch nicht mehr ... aber seine Ohren waren wie die eines Knaben. Sie hörten, was sie hören wollten, und waren taub für alles, was sie nicht interessierte. Als der Alte vor ihm stand, das Gewand des obersten Dieners des Hauses schlotterte an seinem eingefallenen Leib, sprach Senenmut ihn ohne Umschweife an. „Hast du gelauscht, Anen?“
Der Alte verbeugte sich, obwohl es ihm schwerfiel. „Wie immer, Herr.“
Senenmut nickte – das Alter Anens und der lange Dienst in seinem Haus gewährten ihm große Freiheit im Umgang mit seinem Herrn. „Und was hältst du von ihr?“
Die Stimme des Alten klang brüchig, aber seine Worte waren scharf wie Dolche. „Sie ist fast noch ein Kind, dem man ein Land in die Wiege gelegt hat. Sie weiß kaum, wie gefährlich das Spiel ist, das sie sich ausgedacht hat.“
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