„Die Beweise sprechen eindeutig dafür, dass Ihr der Täter wart. Euer Plan war gut, doch wie es scheint, wart Ihr zu besoffen, um ihn fehlerfrei zu Ende zubringen.“
„Was redet Ihr da? Ich würde niemals ...“
Mit einer Handbewegung brachte Halan ihn zum Schweigen. „Euer Plan sah wie folgt aus: Ihr habt Euch die Waffe eines meiner Männer beschafft. Damit wolltet ihr Ammon und Farid gleichzeitig aus dem Weg schaffen, da Ihr so, als Vetter des Königs, der nächste Thronanwärter wäret. Natürlich nur, sofern Ismee keinen Jungen zur Welt bringt. Doch auch dann wäret ihr bis zu dessen Mündigkeit, als Vormund, der Regent des Landes. Und bis dahin hätte dem Jungen viel passieren können ... Euer Problem war, dass Ihr Euch zu viel Mut angesoffen habt. So wart ihr nicht in der Lage festzustellen, dass Farid noch am Leben war, geschweige denn, die Spuren zu verwischen. Anderenfalls wäre der Verdacht auf uns gefallen.“
Arko traute seinen Ohren kaum. Sein ungläubiger Blick suchte den Farids. Was er darin sah war keineswegs beruhigend. Doch noch wollte er nicht aufgeben. „Farid, sag ihnen endlich, dass das alles Unsinn ist. Wer immer das getan hat, ich war es nicht!“
Farid schüttelte nur langsam den Kopf. „Arko, wie konntest du nur? Bei allem, was wir gemeinsam erlebt und geteilt haben?“
„Farid!“ Arko sprang auf und wollte sich ihm nähern, wurde jedoch erneut brutal auf die Knie gezwungen.
„Lass es, Arko! Ich habe dich gesehen. Ich habe gesehen, wie du Ammon getötet hast. Und ich habe gespürt und gesehen, wie du denselben Zweizack in meinen Leib getrieben hast. Also hör auf mit deinen Lügen! Es wird dir nichts nützen. Nur im Gedenken an unsere langjährige Freundschaft bin ich bereit, dir einen offiziellen Prozess zu ermöglichen. Doch eines ist sicher: Am Ende wirst du für deine Taten büßen.“ Farid, den das Reden deutlich angestrengt hatte, schloss seine Augen. „Bringt ihn fort und macht alles für unsere Abreise fertig!“
Arko ließ sich willenlos zu seinem Käfig zurückbringen. Das alles hatte ihn noch mehr verwirrt, als er zuvor schon war. Was in Dreiteufelsnamen ging hier vor sich? Begann er verrückt zu werden? War er schlafgewandelt und hatte dabei die Anschläge auf seine besten Freunde begangen? Aber wie war er an diese Waffe gekommen? Das alles ergab keinen Sinn. Angestrengt dachte er darüber nach, ob ihn vielleicht jemand in König Halans Auftrag unter Rauschmittel gesetzt haben könnte und er sich deshalb an nichts mehr erinnerte. Doch zu einem derartigen Komplott hätte man ihm mit Sicherheit keine so verräterische Waffe untergeschoben. Auch das ergab keinen Sinn, egal wie man es drehte. Oder gehörte das auch zum Plan, um glaubhafter zu machen, dass Arko wiederum Halan die Schuld in die Schuhe schieben wollte? Wer auch immer dahinter steckte, er hatte ganze Arbeit geleistet.
Sich nähernde Schritte rissen ihn aus seinen Gedanken. „Danke Gott dafür, dass der Prinz so gnädig ist! Auf seinen Befehl hin sollst du bis zur Abreise in dein Zelt gebracht werden. In Ketten zwar, aber immerhin ist es dort deutlich bequemer.“ Eher widerwillig half man dem stark geschwächten, fiebernden Arko aus dem Käfig und schubste ihn in Richtung seines Zeltes. Ringsum herrschte reges Treiben. Alle waren damit beschäftigt, einzupacken.
„He, hat einer von euch den Vogelkäfig aufgelassen? Es fehlt ein Botenrabe“, rief jemand.
„Keine Ahnung“, antwortete ein anderer mürrisch. „Vielleicht hat ihn jemand gebraten. Wäre kein Wunder bei dem Fraß hier.“ Die umstehenden lachten beifällig. Alles schien wie immer zu sein, doch in Wirklichkeit war nichts mehr so wie noch vor ein paar Tagen.
Als sie das Zelt betraten, legte man Arko schwere Fußfesseln an und ließ ihn auf sein Lager legen. Zumindest das war eine Wohltat für seinen geplagten Leib.
'Die Ketten hätten sie sich sparen können' , dachte er bitter. 'Ich wäre niemals in der Lage, allein zu fliehen.'
Schon das Ändern seiner Liegeposition brachte ihn an seine Leistungsgrenzen. Der Husten, der sich eingestellt hatte, wurde auch nicht besser.
'Wenn ich Glück habe, verrecke ich, bevor sie mir vor den Augen ganz Isfadahs den Kopf abhacken' , dachte er resigniert.
Wenn ihm nicht sogar eine brutalere Hinrichtung drohen würde ...
Finea hatte das Gefühl gehabt, es wäre eine Ewigkeit vergangen, bis sich endlich die Tür öffnete und Sina eintrat. „Endlich! Den Göttern sei Dank“, stieß sie erleichtert aus.
Eilig legte die Großpriesterin ihren Umhang ab und trat an das Bett der Gebärenden. Die Königin sah besorgniserregend blass aus und dicke Schweißperlen standen auf ihrer Stirn. Sie war nicht ansprechbar. Besorgt überprüfte Sina Ismees Puls und tastete ihren Leib ab.
„Es liegt verkehrt herum“, bestätigte sie Finea, was diese schon geahnt hatte. Eilig begab sich die Großpriesterin zur Tür und gab den Dienern Anweisung, dass sie bis auf Weiteres keine Störung wünschten, es sei denn, sie würden nach Hilfe verlangen. Dann kehrte sie rasch an die Bettstatt zurück. Mit geübten Griffen versuchte sie, das Kind zu drehen. Zunächst von außen, doch als das nichts nützte, machte sie sich daran, das Laken zurückzuschlagen.
„Halt sie fest! Ich werde diesem Kind lebend auf die Welt helfen, koste es was es wolle“, sagte Sina entschlossen, bevor sie zur Tat schritt. Ein langer gellender Schrei entfuhr der eben noch besinnungslosen Königin, als die Großpriesterin ihr die Hand weit in den Leib schob. Inzwischen rann auch ihr der Schweiß in dicken Rinnsalen die Stirn hinunter. Unter voller Konzentration und unter Aufwendung all ihrer Kräfte gelang es Sina schließlich, das Kind in die richtige Position zu schieben. Nun war es an der Königin, den nicht unerheblichen Rest zu erledigen. Doch die schien sich wieder in ihre Bewusstlosigkeit gerettet zu haben.
„Hol mir bitte das Riechsalz! Schnell!“ Finea gab ihr das Gewünschte und so gelang es ihnen, Ismee wieder aufzuwecken.
„Majestät, Ihr müsst jetzt mitarbeiten, sonst hat Euer Kind keine Chance zu überleben. Und Ihr seid ebenfalls in Gefahr!“
Ismee nickte fast unmerklich und mobilisierte ihre buchstäblich letzten Kräfte. Die Presswehen waren heftig und halfen ihr dabei, das Kind in diese Welt zu befördern. Mit einem letzten markerschütternden Schrei bäumte sich Ismee auf und das Neugeborene glitt aus ihrem Leib. Sie selbst bekam davon allerdings nichts mehr mit, denn eine neue Welle der Bewusstlosigkeit riss sie mit sich fort. Mit geübten Handgriffen nabelte Sina das Kleine ab und wickelte es in großer Eile in weiche Tücher.
„Kümmere dich um die Nachgeburt!“, wies sie die verwunderte Finea jetzt an.
Diese tat, wie ihr geheißen. „Was ist es denn? Und ist es gesund?“
Doch Sina gab ihr keine Antwort, sondern nahm sich eine Kerze vom Tisch und schwenkte sie vor einem der Fenster. Dann sah sie Finea eindringlich an. „Hör zu, du musst mir jetzt vertrauen! Ich erkläre dir später alles.“ Mit einem kontrollierenden Blick auf die geschwächte Mutter trat sie, das Kind auf dem Arm, dicht an Finea heran und flüsterte ihr zu: „Alles was jetzt geschieht, darf niemand außer uns beiden erfahren. Es geht um das Leben des Thronfolgers und die Zukunft dieses Landes.“
Sie legte das Kind, einen rosigen Knaben, am Fußende des Bettes ab und machte sich nun daran, der Königin die Kette abzunehmen, die ihr Ammon einst zur Hochzeit geschenkt hatte. Der Anhänger hatte die Form zweier sich überschneidender Kreise. Ein Zeichen für ihre untrennbare Verbindung.
„Wo ist das Betäubungsmittel?“, fragte Sina jetzt kurz angebunden.
Finea reichte ihr das Gewünschte.
Im Gegenzug gab Sina ihr den Anhänger. „Lege ihn ins Feuer!“, befahl sie. Dann betäubte sie das Neugeborene mit ein paar Tropfen des Mittels auf einem Tuch, das sie ihm über Nase und Mund legte. „Schnell! Gib mir den Anhänger! Die Betäubung wird nicht ewig vorhalten.“
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