Der Tross setzte sich in Bewegung und bald verfiel auch seine Stute in einen gemächlichen Trab. Vor sich sah er den Rücken eines der Männer, die ihn aus dem Zelt geholt hatten. Der andere ritt hinter ihm. 'Scheinbar meine neue Leibwache' , dachte er resigniert. Irgendwann übermannte ihn die Schwäche und er sank vornüber auf den Hals seines Pferdes. Scheinbar endlose Zeit über verweilte er so, ohne einzuschlafen, denn das ständige Kitzeln der Mähne an seiner Nase hielt ihn davon ab. Doch schließlich musste es ihn doch übermannt haben, denn er entkam nur knapp einem Sturz, als ihn einer seiner Wächter zurief, er solle gefälligst zu sich kommen und aufpassen. Mit schmerzenden verspannten Gliedern richtete er sich auf und sah sich um. Er erkannte die Landschaft wieder und stellte überrascht fest, dass sie schon ein gutes Stück Weg hinter sich gebracht hatten. Im selben Moment wurde zur Rast gerufen und der Tross kam zum Stehen. Alle saßen ab und versorgten zunächst ihre Pferde, bevor sie sich um ihre Belange kümmerten. Auch ihn hatte man vom Pferd geholt und unter Bewachung an einen Baum gefesselt. Die Feuchtigkeit des Bodens drang langsam durch seine Beinkleider und ließ ihn wieder frösteln. Ein starker Hustenanfall machte Arko deutlich, dass er weit davon entfernt war, seinen Zustand als besser zu bezeichnen. Das Stechen zwischen seinen Schulterblättern ließ nichts Gutes vermuten. 'Hol‘s der Teufel!' , dachte er.
Plötzlich trat Kamir an seine Seite und hielt ihm ein Fläschchen vor die Nase. „Hier, trinkt einen Schluck davon! Es ist eine starke Medizin, die Eure Beschwerden etwas lindern sollte.“ Als Arko zögerte, fügte er hinzu: „Vertraut mir, ich will Euch nichts Übles.“
'Hol‘s der Teufel!', dachte Arko erneut und ließ sich die Flasche an die Lippen halten. Das Zeug schmeckte widerlich, aber tatsächlich bemerkte er kurze Zeit später, dass es ihm etwas leichter um die Brust wurde.
Nach etwa einer Stunde ging es weiter. In ein paar Tagen sollten sie in Isfadah eintreffen. Dann würde das passieren, wovor er sich nicht weniger fürchtete als vor einem negativen Urteil: Er musste Ismee gegenübertreten.
Es würde ihm das Herz brechen, wenn auch sie nicht an ihn glaubte und in ihm den Mörder ihres geliebten Mannes sah.
Ismee erholte sich nur langsam von den Strapazen der Geburt. Finea fühlte sich jedes Mal schuldig, wenn sie der Königin den Säugling an die Brust legte, und wagte kaum, ihr dabei in die Augen zu sehen. Doch sie würde schweigen. Zumindest so lange, bis Sina die Chance dazu gehabt hatte, ihr alles zu erklären. Bisher hatte die Großpriesterin stets die richtigen Entscheidungen getroffen und das Wohl aller immer über das eigene gestellt. Darum glaubte Finea fest daran, dass es auch diesmal schwerwiegende Gründe geben musste, wenn sie zu solch ungewöhnlich drastischen Mitteln griff.
Ihr Blick fiel auf das schlafende Kind. Das kleine Mädchen war definitiv unschuldig. Es war bezaubernd, mit seinen rosigen Wangen und den dunkelblonden Haaren. Ismee hatte es sofort in ihr Herz geschlossen. Sie hatte zunächst kurz gestutzt, als man ihr 'ihre Tochter' präsentierte. Finea war sich nicht sicher, ob sie nur enttäuscht darüber war, nicht Ammons Erben geboren zu haben, oder, was wesentlich schlimmer wäre, doch etwas davon mitbekommen hatte, dass sie eigentlich einem Sohn das Leben geschenkt hatte. Aber mittlerweile gab es keinen Zweifel mehr. Ismee akzeptierte das Kind als das ihre und liebte es abgöttisch. In den Augen der jungen Witwe war das Mädchen alles, was ihr von ihrer großen Liebe geblieben war. Schon bald entdeckte die junge Mutter Ähnlichkeiten zum vermeintlichen Kindsvater, die natürlich nur Einbildung oder reiner Zufall waren. Fineas Herz schlug ihr jedes Mal hart gegen die Rippen, wenn sie die Königin in ihren Vergleichen bestärken musste. Sie war eine schlechte Lügnerin und fühlte sich in diesen Momenten furchtbar. In ein paar Tagen schon konnte sie in den Tempel zurückkehren. Dann würde sie endlich erfahren, was hinter all dem steckte. Plötzlich hörte sie Schritte und bald klopfte es leise. Als sie die Tür öffnete, stand ihr ein Diener mit einem Tablett gegenüber, auf dem ein Brief lag.
„Für Ihre Majestät“, sagte er knapp und wandte sich wieder ab.
Finea brachte Ismee das Schreiben.
„Bitte lies ihn mir vor!“, bat diese leise.
Rasch überflog sie die Zeilen und fasste das Gelesene mit ihren eigenen Worten zusammen. „Das ist unglaublich! Hier steht, dass der König ermordet wurde und dass man den Täter bereits dingfest gemacht habe. Prinz Farid soll auch schwer verletzt worden sein, sich aber schon wieder auf dem Weg der Besserung befinden. Sie werden bald hier eintreffen und dem Mörder den Prozess machen.“
Ismee sah Finea aus großen Augen an, in denen blankes Entsetzen stand. „Wer sollte so etwas tun? Ammon hatte keine Feinde! Jeder liebte ihn! Farid ebenso.“
Die Wächterin wich ihrem Blick aus und sah angestrengt auf das Papier hinab, in der verzweifelten Hoffnung, dass sie dort irgendwann eine andere Antwort finden könnte. „Lord Arko“, sagte sie schließlich leise und wartete angespannt auf die Reaktion der Königin. Zunächst geschah nichts. Dann begann Ismee ungläubig, mit Tränen in den Augen, den Kopf zu schütteln - ganz so, als könne sie damit alles ungeschehen machen, was in den letzten Tagen auf sie eingestürzt war. „Das kann ich nicht glauben! Arko, Farid und Ammon waren Weggefährten seit ihrer Kindheit. Sie haben einander immer vertraut. Welchen Grund sollte Arko haben, plötzlich so etwas Furchtbares zu tun? Das ergibt nicht den geringsten Sinn.“
Finea legte den Brief zur Seite und setzte sich an Ismees Bett. Einfühlsam ergriff sie die Hand der verzweifelten Frau und hielt sie sanft fest. „Beruhigt Euch, Majestät! Wir müssen Geduld haben und abwarten, bis sie zurück sind. Dann werden wir endlich Antworten bekommen.“
Sie griff nach einem Fläschchen mit einem Beruhigungstrank, das auf dem Nachttisch stand und gab eine kleine Menge davon in das Glas der Königin. Anschließend füllte sie es mit Wasser auf und reichte es der Unglücklichen. „Trinkt das! Es wird Euch helfen, etwas zu schlafen!“, sagte sie bestimmt.
Ismee sah auf das Getränk und zögerte kurz, um schließlich überraschend auszuholen und Finea das Glas aus der Hand zu schlagen. Klirrend zerbarst es auf den Ornamentfliesen des Fußbodens.
„Ich will nicht schlafen! Davon kommt mein Mann auch nicht wieder zurück!“, schrie sie die überraschte Wächterin an. Dann brach Ismee zusammen und schluchzte herzerweichend in die Kissen.
Finea ließ sie gewähren. Die Tränen würden den Schmerz in ihrer Brust etwas lindern. Es war gut, wenn sich die Trauer ihren Weg nach außen bahnte. Nur so konnte sie nach und nach vergehen. Doch das war noch ein weiter Weg.
Durch den plötzlichen Lärm unsanft geweckt, machte sich das Baby lautstark bemerkbar und zog bald die Aufmerksamkeit der Frauen auf sich. Mit dem Säugling an der Brust beruhigte Ismee sich bald wieder. Ein paar Minuten später schliefen Mutter und Kind friedlich nebeneinander und Finea konnte endlich aufatmen.
Am nächsten Abend kam Unruhe im Schloss auf. Die Turmwache hatte gemeldet, dass man den Tross der heimkehrenden Truppe am Horizont gesichtet habe. Es wurde in den nächsten Stunden mit deren Ankunft gerechnet. Eilig bereitete man alles Notwendige vor, um die Männer mit einem ordentlichen Mahl zu versorgen. Die Familiengruft war bereits für die Bestattung Ammons hergerichtet. Ein prunkvoller Sarg, in dem der Tote seine letzte Ruhe finden sollte, war den Heimkehrenden entgegengeschickt worden. Da Ammons Leichnam nun schon seit einigen Tagen ungeschützt der heißen Tagessonne ausgesetzt war, nahm man von einer öffentlichen Aufbahrung Abstand. Die Trauernden aus Volk und Adel würden wohl oder übel am geschlossenen Sarg Abschied nehmen müssen. Dies jedoch erst, nachdem eine Gruppe von Medici und Mitgliedern des Hofstaats den Toten eindeutig identifiziert hatte. Das sollte bereits vor dessen Umbettung geschehen. Darum begaben auch sie sich auf den Weg.
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