»Es ist komisch ohne Damian, aber wir werden das Kind schon schaukeln.«
Ihre Mimik verhärtet sich. »Du kennst meine Meinung dazu.«
Und wie ich die kenne. Als ich meiner Schwester am Telefon gesagt habe, Damian würde zu Lucians Geburtstag nicht da sein, ist sie fast vom Glauben abgefallen.
»Wir können es nicht ändern und ich will nicht, dass Lucians Stimmung dadurch kippt. Lass uns ihm einen schönen Tag bereiten.«
»Natürlich werden wir das.« Emma lächelt mich aufmunternd an. Im schnellen Mimikwechsel ist sie seit ihrer Schwangerschaft eine wahre Weltmeisterin. Schwungvoll wendet sie sich ab und läuft in Richtung Wohnzimmer, um den Tisch zu decken.
Ich verschränke die Arme vor meinem dicken roten Wollpullover und sehe abermals in den Garten. Giovanni steht dick eingemummelt im Tor und tut fröhlich gestimmt so, als wären die Bälle meines Sohnes viel zu scharf und zielgerichtet, um sie halten zu können. Bei jedem Tor streckt Lucian die Hände in den Himmel und freut sich seines Lebens.
Giovanni kann wirklich gut mit Kindern umgehen und ich bin heilfroh, dass er sich mit Lucian beschäftigt. Zeitgleich beschleicht mich auch ein wenig der Neid. Vor knapp einem Jahr hat meine Schwester mit gerade einmal dreiundzwanzig eine richtig pompöse Hochzeit gefeiert. Hochzeiten fallen in unserer Gegend generell groß aus. Einhundert Gäste sind absoluter Standard. Emma und Giovanni haben noch einmal fünfzig Gäste draufgelegt und die Feier in einem Schloss abgehalten. Alles ist so romantisch und friedlich gewesen. Als ich am Abend Arm in Arm mit Damian auf der wunderschönen Terrasse gestanden habe und wir beide das Feuerwerk beobachtet haben, habe ich tatsächlich geglaubt, er würde mir einen Antrag machen. Aber darauf warte ich wohl vergebens. Warum auch immer, aber Damian hält nicht viel von der Ehe. Es sei nur ein Stück Papier, was doch eigentlich gar nichts ändern würde. Dabei finde ich den Gedanken so schön, ihn nicht mehr als meinen Freund, sondern als meinen Mann bezeichnen zu können und seinen Nachnamen zu tragen.
Beatrice Winterstein.
Viel zu oft habe ich diesen Namen schon wie ein verliebter Teenager auf einen Zettel gekritzelt und dabei tiefe Seufzer ausgestoßen.
In Gedanken an meine eigene Traumhochzeit versunken, löse ich den Gummi aus meinen langen braunen Haaren. Emma und Giovanni haben ein so geregeltes Leben. Sie haben sich kennengelernt, nach drei Jahren Beziehung geheiratet und jetzt erwarten sie ihr erstes Kind. Giovanni hat in seinem Betrieb sofort gesagt, dass Sonderschichten jetzt tabu sind. Er verwöhnt meine Schwester und trägt sie regelrecht auf Händen.
Damian und ich haben uns kennengelernt und nur wenige Monate später bin ich schon schwanger geworden. Lucian hat unser Leben völlig auf den Kopf gestellt, zeitgleich ist er unser größtes Glück. Damian und ich sind Tag für Tag ein Stück mehr zusammengewachsen. Und jetzt habe ich das Gefühl, wir stecken fest.
»Hey, wo hast du nochmal das gute Besteck?« Emmas Stimme durchbricht meine Gedanken.
»Warte, ich komme sofort.« Es ist sowieso besser, sich in eine Beschäftigung zu stürzen, anstatt Wunschvorstellungen zu verfallen, die sich vielleicht nie erfüllen werden.
***
Ausgelassen rennen die Kinder vom Garten ins Haus. Ruckzuck werden die Hände gewaschen, bis sich die Kinderschar an den Tisch vor dem Sofa setzt und aus großen Augen Lucians Geburtstagstorte betrachtet. Sina, die nicht nur meine beste Freundin, sondern auch Lucians Patentante ist, schenkt den erwachsenen Gästen gerade Kaffee ein. Neben meinen Eltern sind auch meine Großeltern zu Lucian fünftem Geburtstag eingeladen.
»Und Damian wird ganz sicher nicht mehr kommen?«, fragt meine Mutter besorgt. Ihre blauen Augen sehen mich prüfend durch die große Runde Brille an.
Betrübt stelle ich ein paar belegte Brote auf den Tisch für uns Erwachsene und betrachte die Torte, die mich stundenlange Arbeit gekostet hat. Lucian ist ein wahrer Minion Fan, deswegen sieht seine Geburtstagstorte wie einer aus. »Er wird erst in zwei bis drei Tagen zurückkommen. Je nachdem, wie lange die Verhandlungen mit den Japanern dauern.« Ich habe mir nichts sehnlicher gewünscht, als das Damian seinem Chef absagt und nicht nach Japan fliegt. Aber meine Hoffnung ist vergebens gewesen.
»Na ja irgendwie muss das Geld ja reinkommen«, verteidigt ihn mein Großvater und streicht sich über sein glatt rasiertes Kinn. »Seht euch nur dieses wunderschöne Haus und das riesige Grundstück an. Wenn Damian nicht so gut verdienen würde, könntet ihr euch das alles gar nicht leisten.«
Meine Oma schüttelt den Kopf. Wie zu jeder anderen Feier auch, hat sie sich wieder fein rausgeputzt. Sie trägt eine ihrer schönsten Blusen und ihren liebsten Perlenschmuck. »Du wieder, mit deinen altmodischen Vorstellungen. Der Mann bringt das Geld nach Hause und die Frau darf sich um Haushalt und Kind kümmern, nicht wahr?«
Mein Opa hebt die Schultern. Irgendwie sind die beiden schon putzig zusammen. In den zweiundfünfzig Jahren ihrer Ehe hat es wohl keinen Tag gegeben, an dem sie nicht miteinander diskutiert haben. Sie sind gut darin, Wortgefechte auszuüben und gleichzeitig werden sie dabei aneinander nie böse.
Schwer atmend blicke ich zu der Kinderschar. Fünf Freunde hat sich Lucian einladen dürfen, die alle fröhlich gestimmt am Tisch sitzen und ungeduldig darauf warten, dass sie endlich essen dürfen. Durch die große Fensterfront hinter dem Sofa haben wir einen direkten Ausblick auf den Fluss hinter dem Haus. Dort befindet sich eine große Koppel, auf der meine Haflingerstute Sunshine grast. Die andere Stute, Daisy, ebenfalls ein total niedlicher Haflinger, steht bereits gestriegelt in ihrem Stall und wartet darauf, dass sie die Kinder abwechselnd in großen Runden auf ihrem Rücken tragen darf. Ich danke Damian aus tiefstem Herzen, dass er mir dabei geholfen hat, meinen Traum von einem Leben auf einem eigenen Hof zu ermöglichen. Ich gehe reiten, seitdem ich ein kleines Mädchen gewesen bin und jetzt jeden Tag mit meinen eigenen Pferden arbeiten zu können, bedeutet mir sehr viel. Wenn er doch nur mehr Zeit für uns hätte.
»Lucian, es ist Zeit, die Kerzen auszupusten!«, rufe ich.
Die wilde Horde hungriger vier- bis sechsjähriger Kinder springt vom Sofa und sieht meinen Sohn erwartungsvoll an, als er sich vor den großen Tisch stellt. Lucian schaut auf die große gelbe Torte und pustet die fünf Kerzen darauf in einem Atemzug aus.
»Großartig mein Schatz«, sage ich stolz. »Hast du dir auch etwas gewünscht?«
Mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht nickt er mir zu und bekommt als erster ein großes Stück seiner Torte. Ich habe für die Kinder den Tisch vor der Couch eingedeckt, damit sie unter sich sein können und nichts von dem Erwachsenenkram mitbekommen, den wir am großen Tisch bereden. Regelrecht ausgehungert stopfen Lucian und die anderen Kinder sich die süße Leckerei in den Mund. Von dem Minion ist bald nicht mehr viel zu erkennen.
Nach dem Essen räumen meine Schwester und Sina die Tische ab, während ich die Kinder nach draußen bitte. Die Jungs machen alle riesige Augen, als sie erfahren, dass jeder auf einem Pferd reiten darf. Ich habe damit wohl Lucian für die nächsten paar Tage zum Helden seines Kindergartens gemacht.
Nachdem alle Kinder ein paar Runden geritten sind, wird es bereits langsam dunkel. Die überschwänglich gut gelaunte Kinderschar folgt mir zurück ins Wohnzimmer.
»Lucian, möchtest du jetzt deine Geschenke auspacken?«, schlage ich meinem Sohn vor, als ich allen Kindern eine Tasse Kakao gereicht habe.
Seine blaugrauen Augen weiten sich vor Begeisterung. »O ja!« Dann weicht jedoch die Begeisterung ganz schnell wieder aus seinem Gesicht. »Oder sollten wir lieber auf Papa warten?«
Lucians Frage lässt mich schwer schlucken. Ich hasse es, mein Kind zu enttäuschen. »Schätzchen, er wird heute nicht mehr kommen. Papa muss noch arbeiten.«
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