»Oh«, entgegnet Bea seufzend. Ihr Lächeln verfliegt augenblicklich. »Da ist Lucians Geburtstag.«
»Ich weiß, aber der Termin steht bereits.«
Ihr Blick wird flehend. »Damian, bitte sage mir nicht, dass du deinem Chef schon zugesagt hast.«
Ich hasse es, Bea zu enttäuschen. Genauso hasse ich es, ihr und Lucian nicht mehr so viel meiner Zeit widmen zu können. Vor meinem geistigen Auge sehe ich schon meinen Sohn, wie er vor seiner Geburtstagstorte mit fünf Kerzen darauf steht und sie freudestrahlend auspustet. Und ich werde dieses Mal nicht dabei sein. Als wir noch in Berlin gelebt haben und ich ein einfacher Mitarbeiter in der Produktion gewesen bin, habe ich nur einen Bruchteil meines jetzigen Lohns erhalten. Dafür habe ich geregelte Arbeitszeiten und mehr als genug Zeit für meine Familie gehabt. Aber die Arbeit hat mich nie ausgefüllt, das weiß Bea ganz genau. Als mein neuer Chef, Herr Pust, mir die Möglichkeit geboten hat, als nationaler Vertreter tätig zu werden, habe ich keine Sekunde gezögert. Nun bin ich so gut in meinem Job, dass er mich als internationalen Vertreter in Betracht zieht.
In einem tiefen Atemzug nehme ich Beas Hände und drücke sie gegen meine Brust. »Bea, das ist eine Riesenchance für mich. Herr Pust würde mir eine sehr hohe Prämie zahlen, wenn ich Herrn Yang überzeuge. Ich könnte damit auf einen Schlag fast eine Jahresrate des Kredites für unser Haus tilgen.«
Mit einem bitteren Ausdruck im Gesicht zieht Bea ihre Hände weg. »Aber es ist Lucians Geburtstag!«
»Ich weiß.« Es ist mir selbst mehr als unangenehm, nicht dabei sein zu können. Meine Familie bedeutet mir alles. Genau deswegen möchte ich, dass sie ein gutes Leben hat. Für den Kauf und die Renovierung dieses Hauses haben wir einen Kredit in Höhe eines kleinen Vermögens aufgenommen. Je mehr Geld ich verdiene, desto sicherer wird unsere Zukunft. »Danach werde ich mir ganz viel Zeit für ihn nehmen, versprochen.«
Die Arme vor dem Körper verschränkt, sieht Bea mich durchdringend an. »Kannst du Herrn Yang nicht fragen, ob das Treffen ein paar Tage später stattfinden kann?«
Ächzend schüttle ich den Kopf. »Das geht nicht. Herr Pust hat bereits den Termin festgemacht. Jemand aus unserer Firma wird sich dieses Wochenende mit ihm treffen. Wenn ich es nicht tue, schickt Herr Pust jemand anderen.«
»Dann lass einen Kollegen dort hinfliegen.«
Mir ist von Anfang an klar gewesen, dass Bea alles andere als begeistert sein wird und ich kann sie auch verstehen. Ihre Prinzipien sind ganz andere als meine. Ich wäre von selbst nie darauf gekommen, von einer modernen Dreizimmerwohnung im Herzen von Berlin auf ein riesiges Grundstück mitten auf dem Land in der Oberlausitz zu ziehen. Ich will Karriere machen und hoch hinaus. Bea hingegen wünscht sich ein weiteres Kind und wartet schon lange sehnlichst auf einen Heiratsantrag. Ich habe ihr bislang keinen machen können, lebt es sich doch ohne Trauschein genauso gut.
Ich kann diese Chance nicht einfach verstreichen lassen. Noch einmal wird mir mein Chef bestimmt nicht ein solches Angebot machen. »Bea, verstehst du denn nicht, was das für meine Karriere bedeuten kann? Stell dir doch nur einmal vor, ich schaffe es, Herrn Yang zu überzeugen. Das würde nicht nur einen Bonus, sondern auch noch eine Beförderung einbringen.«
Der Kummer in Beas Augen zerreißt mir das Herz. »Ist Geld denn das Einzige, woran du noch denken kannst?«
Ihre Frage fühlt sich wie eine Ohrfeige an. Kennt meine eigene Freundin mich etwa so schlecht? »Natürlich nicht. Ich tue das doch alles für uns.«
Schnaufend stößt sie den Atem aus und deutet mit den Händen auf unsere Umgebung. »Als wir dieses Grundstück gekauft haben, habe ich es absolut verstanden, dass du mehr gearbeitet hast, um das alles zu finanzieren. Der Anfang war schwierig, aber mittlerweile kann ich etwas zur Haushaltskasse beisteuern. Der Shop läuft wirklich gut. «
Es stimmt wohl, dass ich Beas Onlineshop nicht mehr finanzieren muss. Aber übrig bleibt davon dennoch nichts. »Das Geld, was du verdienst, geht doch gleich wieder für Futter, Tierarztkosten und neues Material drauf.«
»Da magst du recht haben, aber du verdienst inzwischen genug Geld, um alles andere zu finanzieren. Sicherlich auch noch, wenn du ein wenig kürzertreten würdest. Du brauchst die Beförderung nicht, die dir wahrscheinlich noch mehr Arbeit einbringen würde. Du hast so schon kaum noch Zeit für uns.«
Nur für Bea bin ich hierhergezogen. Sie hat von einem ein Leben auf dem Land mit Pferden um sich herum geträumt. Sie hat einen eigenen Onlineshop gewollt, in dem sie Merchandise zu ihren Pferden verkauft. Ich habe ihr all das ermöglicht. Ist es da wirklich zu viel verlangt, dass sie nun mich unterstützt? Je mehr Geld ich verdiene, desto eher können wir unseren Kredit abbezahlen. »Ich kann diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.«
Bea wendet ihren Blick ab und sieht nachdenklich durch die große Fensterscheibe. Nur ganz kurz sieht sie mir noch einmal in die Augen, ehe sie sich umdreht und weiter an dem Gemüse auf dem Tresen herumschnippelt. »Und ich kann dich nicht zwingen zu bleiben.«
Gedankenverloren streiche ich die gelbe Creme für Lucians Geburtstagstorte glatt. Ich kann es einfach nicht fassen, dass Damian tatsächlich zu dem treffen mit den Japanern gereist ist und seinen Beruf über unser privates Glück stellt. Ja, sein Geld ermöglicht uns vieles, aber dass er dafür die Geburtstagsfeier unseres Sohnes sausen lässt, macht mich nicht nur traurig. Es enttäuscht mich maßlos.
Seufzend hebe ich den Blick und sehe durch das breite Fenster in den Garten. Es ist Anfang Dezember, aber von einem Winteranfang ist heute keine Spur. Die Sonne meint es gut, es herrschen angenehme Temperaturen und es weht kaum ein Wind. Das perfekte Wetter für eine Partie Fußball. Meine jüngere Schwester Emma und ihr Mann Giovanni sind schon vor einer Stunde eingetroffen und beschäftigen Lucian, damit ich in Ruhe den Feinschliff an seiner Torte vornehmen kann. Mein Sohn ist sehr neugierig. Allein wäre es schwierig gewesen, ihn davon abzubringen, zu mir in die Küche zu kommen und somit die Torte zu sehen, bevor sie serviert wird.
Ich streiche über das letzte Bisschen Creme und verstaue die Torte im obersten Fach des Kühlschranks. Da, wo Lucian nicht rankommt. Kurz darauf vernehme ich Schritte hinter mir.
»Kann ich dir irgendwie helfen?« Meine Schwester steht gegen den Türrahmen gelehnt und hält sich beide Hände vor ihren Babybauch. Vor ihrer Schwangerschaft ist sie gertenschlank gewesen, wodurch selbst die kleinste Wölbung ihres Bauches schnell zu erkennen gewesen ist. Jetzt ist sie bereits im sechsten Monat schwanger und trägt schon eine richtige Kugel vor sich her.
In den letzten Wochen hat Emma eine wahre Typveränderung an den Tag gelegt. Ihr Bauch ist von Tag zu Tag gewachsen, ihre Skinny Jeans sind bequemen Umstandshosen gewichen und ihre langen braunen Haare sind ihr so lästig geworden, dass sie sie zu einem kurzen schrägen Bob hat schneiden lassen.
Ich öffne die Schleife meiner Schürze und hänge sie an den Haken neben dem Kühlschrank. »Soweit ist alles fertig. Wir müssen nur noch den Tisch decken.«
Emma drückt sich vom Türrahmen weg und sieht mich nachdenklich an. »Geht es dir gut?«
In einem langen Atemzug hebe ich die Schultern. Es hat keinen Sinn diese Frage einfach mit ja zu beantworten. Dafür kennt mich Emma viel zu gut. Wir beide haben uns schon immer alles anvertrauen können. Sie ist nicht nur meine Schwester, sondern auch eine meiner engsten Freundinnen. Seit unserer Kindheit sind wir immer auf einer Wellenlänge gewesen, was sicher auch an dem geringen Altersunterschied von gerade einmal einem Jahr liegt.
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