Armer Riath, er hatte es nicht leicht. Die Mutter striezte ihn, seit er laufen konnte, aber der König erwartete von ihm etwas gänzlich anderes. Charakterliche Größe. Das fehlte Xaiths Bruder allerdings, weil er sich nur darauf konzentrierte, jeden zu übertrumpfen und sich als der Beste in so ziemlich allem zu beweisen. Immerhin hatte ihm sein Ehrgeiz eine Menge Ruhm eingebracht, und natürlich lechzte er nach dieser Art von Aufmerksamkeit und bildete sich etwas darauf ein, dass das Volk ihn liebte, weil er jedes Turnier gewann, seit er Alt genug war, mitzumachen, und zudem auch noch dieses ätzende, strahlende Lächeln besaß, das es unter jedem Rock feucht und in so manchen Hosen hart werden ließ.
Doch auch wenn Xaith Riath verstehen konnte, war er von dessen Arroganz trotzdem mächtig genervt. Riath glaubte, er konnte jeden haben. Jeden. Wirklich absolut jeden. Und er nahm an, für ihn gäbe es keine Grenzen. Keine Regeln. Keine Gesetze.
Außerdem hatte er den größten Teil dazu beigetragen, dass Xaith sich am liebsten das Gesicht abgezogen hätte, weil er es so sehr verabscheute. Riaths liebste Bezeichnung für Xaith war »Beulenpestfresse«, aber er mochte auch die weniger kreative Beleidigungen »Höhlentroll« und »Kratergesicht«.
Xaith hörte schon gar nicht mehr hin. Zumindest redete er es sich ein. Sein Selbstvertrauen konnte er jedoch nicht belügen, Riath tötete es immer wieder, wenn er ihn derart betitelte. Was Xaith ihm natürlich nie zeigen würde, diese Genugtuung würde Riath nie von ihm bekommen.
Als Xaith endlich in den Gewölben ankam, riss er sich förmlich den Mantel vom Leib. Hätte er kein Hemd darunter getragen, hätte das Leder vermutlich an seiner schwitzigen Haut festgeklebt.
Die Becken waren von Säulen umringt, wasserspeiende Nachtschattenkatzen – in Nohva heimische Raubkatzen, die für Xaith wie schneeweiße, hundsgroße Füchse aussahen, mit giftigen Fängen – sorgten für frischen Wasserzufluss. Fackeln und Feuer erhellten den Raum, das klare Wasser warf wellenförmige Lichtspiele auf die kahlen Gesteinswände und die Decke.
Xaith riss das offene Hemd aus dem Hosenbund und wollte sich die Schuhe mit den Füßen abstreifen, als er es platschen hörte. Verwundert hielt er inne und lauschte.
Mehr Plätschern ertönte, ganz sacht und ruhig, als würde jemand mit den Füßen in das Wasser eintauchen. Immer und immer wieder.
Langsam, damit seine Schritte keine Geräusche verursachten, schlich er um eine der dicken Steinsäulen herum und spähte in das Mosaikbecken. Auf der anderen Seite des Gewölbes schwamm jemand im Wasser.
Vaaks.
Xaith erkannte ihn sofort, auch wenn er nur dessen Rückseite erblickte. Das dunkelbraune, lockige Haar, das sich in seinem feuchten, starken Nacken kräuselte. Seine breiten Schultern, deren Muskulatur unter der straffen, samtenen Haut während der Schwimmbewegungen spielte. Die Muskelberge seiner Arme, über die das klare Wasser schwappte. Die riesige Fläche seines V-Förmigen Rückens, die Grübchen in seiner Taille und sein wohlgeformtes, festes Gesäß, als er untertauchte und sich unter Wasser drehte, um die gleiche Strecke zurückzuschwimmen.
Xaith zog sich lautlos hinter die Säule zurück, als Vaaks in seine Richtung kam, und hielt die Luft an. Nicht, dass Vaaks` stumpfes Menschengehör ihn hätte atmen hören können, aber nun, da Xaith wusste, dass er im Raum war, konnte er auch dessen Duft überdeutlich wahrnehmen. So frisch, so kalt, mit einem leichten Hauch von Herbstlaub, wie ein Wald, der vom ersten Schnee erfasst wurde.
Und das brachte sein Innerstes wieder zum Summen.
Er lauschte auf die leisen Wasserbewegungen, die langsam immer näherkamen, und hoffte, dass Vaaks nicht den Schatten bemerkte, den die Fackeln hinter der Säule auf den Boden warfen.
Erst als er vernahm, wie Vaaks sich wieder entfernte, wagte er es, um die Säule herum zu linsen und erneut dessen kräftiger Rückenmuskulatur zuzusehen, wie sie sich unter der makellosen Haut bei jedem Armzug bewegte.
Erstaunlich wie Vaaks in den letzten sechs Monaten gewachsen war. Nicht nur in die Höhe, auch in die Breite. Das harte Kampftraining, das sie allesamt mit dem Orden des Königs absolvierten – den drei Elitesoldaten der Krone – zeigte bei Vaaks die deutlichsten Spuren. Seine Muskeln waren … beachtlich.
Hin und wieder fragte Xaith sich, ob dessen Vater, der legendäre Drachenreiter, ebenfalls solch eine Statur besessen hatte. So voller … Kraft! Diese eisenharte Muskelberge an Armen und Brust, die leichtschwingenden Hüften bei jeder Bewegung, diese gigantischen Ausmaße, ohne dabei unproportioniert auszusehen. So stark waren nur die Südländer Nohvas, so … begehrenswert.
Aber Xaith hatte schon eine krankhafte Obsession gegenüber Vaaks empfunden, als dieser noch ein schlaksiger Junge gewesen war. Er konnte sich nicht erinnern, sich jemals nicht nach Vaaks verzehrt zu haben.
Das machte das Sehnen nicht besser. Je mehr Zeit verging, je schlimmer wurde die Sehnsucht.
Doch er hatte sich trotz aller heimlicher Gefühle nie getraut, auf Vaaks zuzugehen. Es erschien ihm falsch, sie wuchsen wie Brüder auf. Vaaks sah ihn als Bruder. Davon abgesehen würde Vaaks ihn ohnehin nicht wollen. Sicherlich wäre er höflich, wenn er ihn abwies, Vaaks war ein guter Kerl, er würde niemals lachen. Trotzdem, auch eine nette Zurückweisung war eine Zurückweisung.
Xaith litt lieber im Stillen und Geheimen, damit niemand von seiner sinnlosen Besessenheit ahnte. Wüsste Vaaks, was er empfand, würde er sich vermutlich aus Scham die Klippen hinter der Festung runterstürzen.
Nein, es wäre ihm unheimlich peinlich, würde Vaaks wissen, dass er immerzu an ihn dachte, zärtlich an ihn dachte, wie er sonst an nichts dachte. Es war einfacher, sich hinter einer dicken Mauer aus Eis zu verstecken. Oder Stein. Stein war die bessere Metapher, Stein konnte nicht schmelzen.
Aber niemand konnte Xaith verbieten – vor allem er sich nicht selbst – vom Rande aus zuzusehen, immerzu Vaaks hinterher zu blicken, zu verfolgen, aus der Ferne zu begehren. So wie in diesem Moment, als er ihn »ganz für sich allein« hatte und seinen feuchten, kraftvollen Körper in sich aufsaugen konnte.
Dass er damit das Summen in seinem Inneren verstärkte war ihm einerlei. Lieber litt er Schmerzen als sich von dem Anblick des schwimmenden Vaaks abzuwenden. Wie seine dicken Locken sein Gesicht einrahmten, schwer von der Feuchtigkeit des Wassers. Zu gerne hätte er eine davon auf einen Finger gewickelt und sie ihm hinter das Ohr gestrichen.
Ein Wunsch, der immer ein Traum sein würde. Ein schöner, gewagter Traum, der all sein Leiden nur verschlimmerte, je öfter er ihn träumte.
Und er träumte ihn oft, wann immer eine dieser dunklen Locken in Vaaks` Gesicht fiel.
»Wie lange willst du dich noch in den Schatten verstecken?« Vaaks dunkle aber immerwährend ruhige, monotone Stimme ließ Xaiths Tagtraum zerplatzen.
Instinktiv zog Xaith sich wieder hinter die Säule zurück und versteckte sich. Sein Herz pochte aufgeregt in seiner schmalen Brust.
Vaaks` leises, amüsiertes Lachen hallte leise von den Wänden wider und schien Xaiths Innerstes zum Brummen zu bringen. »Hör auf, dich zu verstecken, zieh dich aus und komm ins Wasser.«
Xaiths Herz machte einige lange Aussetzer, ehe es vor Freude doppelt so schnell schlug. Alles, was er gehört hatte, war »zieh dich aus« und »komm ins Wasser«. Ein Teil von ihm – jener, zu dem auch das Summen gehörte – wollte sich die Kleider vom Leib reißen und zu Vaaks ins Wasser springen. Der andere Teil von ihm, der Vernünftige, traute sich nicht einmal hinter der Säule hervor, geschweige denn mit diesem Gesicht zu Vaaks in das Wasser zu steigen. Das Wasser würde das helle Puder abwaschen, das er immer auftrug, um wenigstens etwas von seiner katastrophalen Haut zu kaschieren. So wollte er sich niemandem zeigen.
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