Und das war auch gut so, Menschen übersahen gerne einfache Ringe an Fingern, wollten sie übersehen, aber diese Male sprachen eine direktere, eine aggressivere Sprache. Da Wexmell eine große Anzahl Verehrer hatte – weibliche wie männliche – war es dem König gut geraten, ihn deutlich zu kennzeichnen. Erst einige Tage zuvor hatte eine Magd durch ihre heimliche Besessenheit von Prinz Wexmell den Verstand verloren.
Es kam gänzlich unvermittelt, in dem einen Moment hatte sie noch mit den anderen Bediensteten das Essen aufgetragen, im nächsten fegte sie des Königs Gedeck von der Tafel und rief aufgebracht, er habe den Prinzen Nohvas gar nicht verdient, er würde ihn nicht wertschätzen, und das wegen ihm Wexmell nicht der Ruhm zuteilwurde, der ihm zustünde – und noch ein paar andere seltsame Dinge, zum Beispiel, dass sie gar nicht zusammenpassten und ein merkwürdiges Verhältnis teilten. Sie war vollkommen hysterisch.
Zum ersten Mal hatte Vaaks den König für einen Moment sprachlos erlebt, er hatte die aufgebrachte Magd lediglich irritiert angeblinzelt, als hätte sie eine fremde Sprache gesprochen. Wexmell war es gewesen, der die Magd von den Wachen abführen ließ. Sie verbrachte einen Tag im Kerker und wurde dann fortgeschickt, ins Inland Nohvas, wo sie wieder bei ihrer Familie lebte. Aber am Tisch hatte daraufhin betretenes Schweigen eingesetzt. Der König hatte auf den Teller gestarrt, dem eine andere Magd ihm stillschweigend und verlegen wieder vor die Nase gestellt hatte, aber nichts gegessen.
Wexmell hatte vorsichtig nachgefragt: »Derius …?«
Doch der König war aufgestanden, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. »Entschuldigt mich.« Und hatte sich für drei Tage für das gemeinschaftliche Abendessen entschuldigen lassen.
Seit dem hatte Vaaks den Eindruck, der Haussegen hinge schief, der König war in sich gekehrt und sah seltener auf, als wäre er mit den Gedanken ganz wo anders und sehr betroffen. Wexmell gab sich betont fröhlich, aber man spürte, dass etwas nicht stimmte.
Umso erleichterter war Vaaks, als er die beiden nun zusammen sah und der König über eine von Wexmells Bemerkungen lächelte. Sie blickten sich sogar wieder in die Augen. Wexmell legte eine Hand auf des Königs Arm, ein Funkeln trat in die grünen Augen des Königs. Alles war wie es sein mein musste, wie Vaaks es kannte und liebte.
»Vaaks?«
Er wandte Fenjin das Gesicht zu.
Sein Freund lächelte nachsichtig. »Du bist so ein Träumer, Vaaks!« Neckisch knuffte er ihm in die Seite.
Vaaks lachte leise und hielt Fenjins Hand fest, um ihn an einem weiteren Knuff zu hindern. »Hör auf! Und natürlich ist es in Ordnung. Außerdem hält dich doch ohnehin nichts davon ab.«
Fenjin grinste breit, beinahe stolz. »Da hast du recht, ich lass mir das nicht entgehen. Wenn ich schon kein eigenes Pferd geschenkt bekomme, will ich wenigstens zusehen, wie du deines bekommst.«
Er war eben ein wahrer Freund.
Lächelnd stieß Vaaks ihm den Ellenbogen in die Seite. »Na komm, sehen wir sie uns näher an.« Er löste seinen Arm aus Fenjins Griff und sie näherten sich gemeinsam dem Zaun.
May war bereits freudestrahlend auf den Zaun geklettert und begrüßte sie mit einem Grinsen, das ihr über das ganze Gesicht reichte. Sie war eine ganz besondere junge Dame, wie das Volk sie immer nannte. Ein echter Wildfang, sagten die Bauern. Das lange maisblonde Haar zu einem praktischen, strengen Zopf geflochten, das Gesicht stets frei von Pudern. Sie war groß und muskulös, genau wie ihr Vater, und statt Kleider trug sie einen eisengeschmiedeten Brustpanzer, dazu Lederkampfhosen und Reitstiefel. Sie war eine echte Kriegerin, mit geschlitzten Pupillen, genau wie Xaith – die Gene des Blutdrachen stachen bei ihnen beiden deutlich durch - und der gleichen Augenfarbe wie der König, ein schönes Jadegrün, mit dem sie viele Herzen verzauberte und wieder brach. Ganz wie der Vater in seiner Jungend, wie Wexmell zu sagen pflegte.
Riath stand neben ihr und betrachtete eingehend jedes einzelne Pferd. »Der große Braune ist der Wildeste. Der gehört mir!«
May schnaubte. »Von wegen, das ist mein Schätzchen!«
»Reiten ist nichts für junge Prinzessinnen, Schwesterherz. Zieh dir lieber ein Kleid an und such dir schon mal einen Damensattel. Die da gehört dir.« Er deutete mit einem Kopfnicken zu der weißen, ruhigen Stute. »Du kannst ihr Blumen ins Haar flechten und mit ihr zum Altar reiten.«
May presste ärgerlich die schönen, vollen Lippen aufeinander. »Leck mich.«
Riath lachte arrogant. Das war typisch für ihn. Wenn es nach ihm ginge, würde May nur in Seidenkleidern herumlaufen, Blumen auf dem Markt kaufen und einfach hübsch anzusehen sein, ohne Stimme, ohne Meinung, und vor allem ohne Schwert. Für ihn waren kriegerische Frauen ein Verstoß gegen alle gesellschaftlichen Regeln. Und überhaupt hatte eine Prinzessin nur den Sinn, nach einem geeigneten Gatten zu suchen, der für die Krone ein lohnendes Bündnis bedeutete.
Unterdessen gesellte sich Xaith in die Nähe ihrer Väter, schickte seine Raben fort, und setzte sich zu dem abseits wartenden, allseits schweigsamen Sarsar, dessen kurzes, schneeweißes Haar in der Sonne matt schimmerte. Vaaks` dritter Bruder war von allen Kindern des Königs der … Interessanteste. Oder besser gesagt, der Seltsamste. Er war recht klein, hatte die knabenhafte Statur seiner Hexenmutter geerbt, war hager und haarlos, mehr Kind als heranwachsender Mann. Sein zartes Gesicht glich mehr den Zügen eines Mädchens, und seine großen Augen besaßen etwas äußerst Gruseliges, denn sie waren weiß wie Milch. Die einzige Farbe in seinen Augen war ein rauchgrauer Ring um die Iriden herum. Er trug stets ein blassblaues Gewand, beinahe wie ein langärmliges Kleid, und tat den ganzen Tag nichts anderes als in der Bibliothek im Festungskeller zu lesen. Er redete nicht viel, hatte aber stets einen sehr wachsamen Blick. Beinahe wie ein Adler, der nach Beute ausschauhielt. Aber seine schweigsame Art hatte Vaaks als Kind oftmals viel Trost gespendet, indem er sich einfach zu ihm setzte und sich an ihn lehnte und bei ihm blieb. Sei es nach einem Tadel ihrer Väter oder nach einem Streit mit Xaith. Sarsar war einfach … er war einfach Sarsar. Man musste ihn wegen seiner verschrobenen Art einfach lieben. Auch jetzt sprach er kein Wort, als Xaith sich zu ihm auf den Zaun setzte und er die Arme um dessen Mitte schlang und den Kopf auf dessen Schulter legte. Nur Sarsar durfte Xaith so nahekommen, was viel über die Beziehung der beiden Brüder aussagte.
Vaaks und Fenjin nahmen etwas Abstand von May und Riath, die weiterhin um das wildeste Pferd zankten, und lehnte die Arme über den Zaun.
»Hübsche Tiere«, meinte Fenjin beeindruckt. »Mir gefallen die Stämmigen.«
»Kaltblüter«, erklärte Vaaks.
Fenjin sah ihn interessiert von der Seite an. »Sind sie das? Oh, das wusste ich nicht.« Wieder sah er zu den großen, kraftvollen Tieren mit den breiten Rücken, kurzen aber muskulösen Hälsen, den gewaltigen Köpfen und Hufen. »Pferde wie aus der Heimat deines Vaters…«
Vaaks schluckte angestrengt. »Ja.« Er sprach nicht gern über seinen leiblichen Vater. Und sein Freund wusste das.
Entschuldigend stieß Fenjin ihn mit der Schulter an. »So ein Pferd würde zu dir passen.«
Vaaks erwiderte missbilligend: »Nur weil ich ursprünglich von einem Südländer aus den Bergen abstamme, muss ich ihm noch lange nicht nacheifern …«
Fenjins Gesicht flog überrascht zu ihm herum und für einen Moment öffnete und schloss sich in schneller Abfolge dessen Mund, wie bei einem stummen Fisch.
Schließlich fand Fenjin seine Sprache wieder, genau in dem Moment als Vaaks ein schlechtes Gewissen bekam, weil er ihn so vor den Kopf gestoßen hatte.
»Das meinte ich doch gar nicht«, warf Fenjin entschuldigend ein, »aber … du bist so groß geworden und wächst immer weiter. Welcher Pferderücken soll dich sonst tragen, du Kaltblüter !«
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