Sarsar rieb die Wange an Xaiths Schulter und der Fluss seiner Magie wurde stärker, kälter, und Xaith konnte sich mit einem Durchatmen ein wenig beruhigen.
Atme, sagte sein Vater immer zu ihm, atme, tief Luft holen. Und genau das sagte Xaith sich auch jedes Mal vor, wenn er die beiden zusammen sah. Was ziemlich häufig geschah, immerhin waren die beiden seit ihrer Kindheit unzertrennlich. Wobei Xaith sich wirklich nicht erklären konnte, was Vaaks an diesem untalentierten, einfachen Menschlein so interessant finden konnte, um tagein und tagaus jede freie Stunde mit ihm zu verbringen. Denn wirklich interessant war Fenjin nun wirklich nicht. Er war nur der einfache, freundliche Kaufmannssohn. Der weder ein Schwertkämpfer noch magiebegabt war, sondern eben einfach nur der Sohn eines Kaufmannes, der den ganzen Tag Fässer und Kisten schleppte. Was konnte an ihm schon interessant genug sein, dass man ihn ständig um sich haben wollte?
Zwar war Vaaks auch nur ein Mensch, aber er war der Sohn einer Legende, genau wie Xaith und seine blutsverwandten Halbgeschwister. Vaaks war der einzige Nachkomme des Drachenreiters, des Flüsterers, der mit dem Blutdrachen wispern konnte.
Was wollte Vaaks nur mit diesem blassen Menschen an seiner Seite? Was verband diese Freunde nur so stark miteinander, dass sich alle anderen in ihrer Nähe von dieser Verbindung ausgeschlossen fühlten?
Xaith konnte es nicht verstehen. Aber er hatte eine Ahnung, was Vaaks an Fenjin mochte.
Er war … schön.
Auf eine unaufdringliche, natürliche Art schön. Blutjung, makellos und beschenkt mit diesem besonderen Rot, das seine seidigen Haare warm leuchten ließ, ganz zu schweigen von seinen großen, freundlichen braunen Augen, die jedem Lebewesen tiefes Vertrauen vermittelten, das auch nur von seinem Blick gestreift wurde.
Fenjin war … perfekt. Wie eine frisch erblühte Rose, geküsst vom Licht der goldenen Morgensonne. Und er besaß diese unglaublich liebliche Ausstrahlung, die ihn trotz heranwachsendem Körper noch immer wie einen unschuldigen Jungen erscheinen ließ. Zart. Das war das Wort, was auf ihn passte. Zart, lieblich, schön und durch und durch freundlich, herzlich. Ein Kerl, den man lieben musste. Der Traum aller Schwiegermütter.
Es war so ungerecht. Nicht nur, dass er einen angenehmen Charakter besaß, der jeden um den Finger zu wickeln schien, weil er dieses entwaffnende, freundliche Lächeln hatte, nein, die Natur musste ihn auch noch mit absoluter Makellosigkeit beschenken. Sein seidiges Haar, das sich nie zu kräuseln schien, nie fettete, immer richtig auf seinem Kopf lag, der durchschnittlich große, schlanke Körper, zwar ohne nennenswerten Muskelbau, aber an den richtigen Stellen flach oder leicht gewölbt, gänzlich unaufdringlich, aber schön anzusehen, wie eine Blumenwiese im Frühling. Und dazu diese perfekte Haut, leicht gebräunt, leicht rosig auf den hohen Wangenknochen, makellos glatt, ohne die geringste Kerbe. Wie eine frisch gehauene Marmorstatue.
Natürlich mochte Vaaks ihn, wie könnte es anders sein? Fenjin bestach durch Schönheit und nach außen getragener Freundlichkeit. Wie ein Welpe. Und wer verfiel beim Anblick eines Welpen nicht sofort in ein ungebildetes, verblödetes »Owwwwww« .
Und genau dieses »Owwwwww« stand jedes Mal in Vaaks rotbraunen Augen, wenn Fenjin auch nur ein Wort zu ihm sagte oder ihm auch nur einen Blick zuwarf.
Unwillkürlich senkte Xaith den Kopf und zupfte ganz unscheinbar ein paar schwarze Haarsträhnen in seine Stirn und Wangen. Er hasste sein Gesicht, vor allem im Vergleich zu anderen. Und ja, natürlich war er neidisch auf Fenjins makellose Haut, die so wunderschön weich aussah, wie die Haut eines jungen Pfirsichs. Ebenso wie er auf seine Brüder Riath und auf Sarsar neidisch war, weil zwar dasselbe Blut durch ihre Adern floss, dieselben Gene, und sie dennoch nicht mit dieser vernarbten, leuchtend roten Scheißfresse rumlaufen mussten.
»Zieh dir einen Sack über!«, haben die Kinder früher zu Xaith gesagt, wenn Riath oder der König nicht in der Nähe waren, um sie für diese Frechheit zu schelten. Wobei Riath auch nicht besser als die anderen Kinder war, doch als Bruder sah er es wohl als sein Vorrecht, Xaiths Selbstwertgefühl mit den Füßen zu treten.
Wie dem auch sei, Xaith konnte nichts dagegen unternehmen, so mächtig er auch war – und so begabt seine Mutter auch gewesen sein mochte – nichts hatte gegen die unreine Haut geholfen, es war immer schlimmer geworden. Und heute traute er sich kaum bei Tageslicht heraus. Die Nacht verbarg sein Antlitz, das war ihm lieber.
Die Kinder hatten recht, er hätte sich wirklich am Liebsten unter einem Sack versteckt. So abgebrüht er auch immer tat, damit niemand bemerkte, was wirklich in ihm vor ging, er hasste sich. Er hasste den Blick in den Spiegel, weshalb er alles Spiegelnde aus seinem Zimmer entfernt hatte, selbst die Fenster hatte er von innen angemalt oder mit Decken abgehängt, bis der König es bemerkte. Er hatte in Xaiths Zimmer geblickt, die Stirn nur flüchtig gerunzelt und Xaith angesehen, der geflissentlich seinen klugen Augen ausgewichen war. Ohne ein Wort war er wieder gegangen.
Als Xaith am nächsten Tag nach den Lehrstunden in seine Gemächer getreten war, waren alle Fenster durch Buntglasscheiben ausgetauscht und alle beschmierten Spiegel abgehangen und durch die Gemälde ersetzt worden, die Xaith selbst gemalt aber versteckt hatte. Gemälde von seinen Raben, von dem Blutmond einige Wochen zuvor, den er von seinem Balkon aus hatte sehen können, Gemälde von seiner geliebten Galia, der Stute, auf der er das Reiten gelernt hatte.
Das Zimmer wirkte dadurch dunkler, aber es war seitdem der einzige Ort, an dem Xaith sich wirklich sicher fühlte. Der einzige Ort, wo er auch mal den Stehkragen seines Mantels runterschlug, mit dem er die untere Hälfte seines Profils verdeckte.
»Jetzt fängt es an …«, sagte Sarsar leise und hob seinen schneeweißen Kopf von Xaiths Schulter. Die dürren Arme blieben jedoch um ihn geschlungen.
Xaith blickte auf und nahm den Reitplatz in Augenschein. Wie nicht anders zu erwarten, war Riath bereits über den Zaun geklettert und löste bereits seinen schweren Samtumhang. Sie alle besaßen einen, aber nur Riath trug ihn. Er stand ihm leider auch hervorragend, weil er zu seinem königlichen Gehabe passte.
Wie ein Gockel, der durch den Hühnerstall stolzierte, ging er auf die Pferde zu und drückte dem Stallburschen, der den wilden Braunen zu bändigen versuchte, den Mantel in den Arm, während er ihm den Strick abnahm.
»Ich werde diesen hier reiten«, bestimmte Riath. Vorsichtig näherte er sich dem wildgewordenen Tier, sprach beruhigend auf es ein, und konnte es ohne Mühe mit seinen muskulösen Armen halten. Tatsächlich schien seine natürliche Souveränität das Tier zu besänftigen. Noch schnaubte der Hengst, aber er senkte zögerlich nach und nach den Kopf und ließ sich an den Nüstern berühren.
»So ist es gut, mein Junge«, lobte Riath das Vollblut, »ganz ruhig. Wir werden großartige Gefährten sein.«
Der König trat einen Schritt hinter seinen Sohn, mit verschränkten Armen vor der muskulösen Brust, und sein schwerer Wollumhang wurde vom Wind aufgebauscht, was ihn noch imposanter erscheinen ließ. »Bist du dir sicher?«, fragte er mit kritischer Miene seinen Sohn.
Riath nickte und warf ihm ein breites Lächeln zu. »Ja.«
Der König hob die Augenbrauen und zuckte mit den Schultern. »Wie du meinst. Es ist allein eure Entscheidung.« Damit wandte er sich ab, nickte Wexmell zu sich, und Ahgi öffnete ihnen wieder das Tor. Alle drei traten Beiseite, während die anderen Pferde nach draußen geführt, am Reitplatz angebunden wurden und ein Stallbursche einen Sattel zu Riath trug.
Der König schloss das Gatter selbst und lehnte sich dann darauf, während er mit unergründlicher Miene zusah.
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