Vaaks liebte diese Zeit, er und Fenjin hatten immer viel Freude während der Festlichkeiten. Es gab Wein und süßes Gebäck, Aquila, das bescheidene Oberhaupt der Kirche, las jüngeren Generationen Geschichten vor, Barden spielten – die gefeierten, ebenso wie alle unbekannten Barden, jedem war es erlaubt, Laute zu spielen und zu singen – und es wurde getanzt, sobald das große Feuer auf dem großen Platz der Kaserne entzündet wurde. Überall hingen Girlanden aus Frühlingsblumen, zum ersten Mal ließ der Sonnenuntergang auf sich warten und es blieb bis in die Abendstunden hell.
In diesem Jahr hatte Vaaks zum ersten Mal Wein gekostet, Fenjin hatte eine Flasche von dem Stand seines Vaters gestohlen und sie hatten sie heimlich zu zweit im Gebüsch getrunken. Danach waren sie noch fröhlicher gewesen und hatten auf dem Marktplatz getanzt. Zusammen, mit Mädchen, aber meistens nur zusammen. Kinder und junge Mägde kamen, um sie mit Blumen zu behängen, dann waren sie weiter um das Feuer herum gehüpft.
Es war jedes Jahr wie im Märchen, und Vaaks konnte es kaum erwarten, dass der nächste Winter wieder vorbei war. Er wollte wieder tanzen, trunken vor Glück – und Wein. Ganz gleich wie sehr ihn Xaith deshalb aufzog.
Und ja, die Festung war offensichtlich größer, als es die Bezeichnung vermuten ließ. Denn die eigentliche Festung war nur das erhöhte Herzstück der Anlage. Aus einem mächtigen Berg gehauen erhob sich ein ganzes Lehn mitten im Luzianischen Gebirge, umringt von weißen Nebelschwaden, als würde die graue Steinstadt wie ein Himmelsschloss aus der Landschaft emporragen. Viele Türme und ein majestätischer Burgfried schienen bis in das Reich der Götter zu ragen. Die gut gesicherte Anlage beherbergte eigene Händler, eigene Stadtviertel, eigene Märkte, einen eigenen Stall und auch Bauern innerhalb der Mauern, ebenso Ackerland. Nicht groß, aber genug, um die königliche Familie und ihre Untertanen zu versorgen. Es fehlte ihnen hier oben an nichts.
Nun ja, außer an Fisch und Reis und einige seltene Früchte, aber dafür gab es Händler wie Fenjins Vater, die die Festung täglich mit allem Nötigen und auch mit allerlei Luxusgütern belieferten.
»Ich glaube, heute ist es soweit!« Fenjins Worte holten Vaaks aus seiner Träumerei. Sein Freund sah ihn an und umschlang lächelnd seinen Arm, seine zimtbraunen Augen funkelten warm. »Du bekommst wohl heute dein Pferd.«
Vaaks spürte ein freudiges Kribbeln im Bauch und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Er und seine Geschwister hatten schon vor Jahren das Reiten gelernt, sie waren quasi im Sattel geboren, doch der König hatte sie immer wieder vertröstet. Die richtigen Pferde wären noch nicht geboren, hatte er gesagt. Wie es aussah, waren unter den Jungpferden nun endlich ihre tierischen Gefährten.
»Das wird auch Zeit«, sagte Riath euphorisch und drückte flüchtig Vaaks´ Schulter, als er mit stolz erhobenem Kinn und selbstischerem Gang – eines Königs würdig – an ihnen vorüber ging und den Reitplatz ansteuerte, als gehörte alles ihm. Erhaben bauschte sich sein Umhang auf.
Es waren acht Jungpferde, die sich auf dem sandigen Boden tummelten. Drei Kaltblüter, groß und stämmig, ruhige, besonnene Tiere, und vier fuchsteufelswilde Vollblüter, die sich störrisch gegen ihre Stricke auflehnten und den ausgewählten, jungen Stallburschen den Schweiß auf die Stirn trieben. Und eine kleinere, ruhige Stute, bei jener das Mischlingsblut deutlich vererbt worden war, weil ihr die Größe der Kaltblüter fehlte und sie mehr wie ein Pony aussah.
Es waren so viele Farbschläge vertreten, kein Pferd glich dem anderen, sodass Vaaks sich unmöglich entscheiden konnte, welches er am schönsten fand. Sie waren allesamt majestätisch.
Fenjin drückte seinen Arm. »Welches willst du?« Seine zimtbraunen Augen leuchteten, seine Stimme klang aufgeregter als Vaaks sich fühlte, als ob auch er heute ein Pferd bekäme. Was wohl daran lag, dass Fenjins Vater von seinem Sohn erwartete, dass er für solch eine Anschaffung selbst aufkam. Nicht, dass Fenjins Vater ein Tyrann gewesen wäre, er setzte lediglich viel daran, seinem Sohn zu vermitteln, dass er für seine Wünsche und Träume hart arbeiten musste.
»Ich weiß nicht.« Vaaks zuckte mit den Schultern und betrachtete die Herde noch einmal. »Mal sehen, welches mich mag.«
Ein leises Lachen ließ sie über die Schulter blicken. Ganz gemächlich kam Xaith auf sie zu, die beiden Raben noch auf Arm und Schulter. Er schüttelte bedauernd den Kopf und blieb kurz hinter ihnen stehen, als wollte er sich zwischen sie drängen.
»Du glaubst doch nicht, dass wir darüber eine eigene Entscheidung fällen dürfen, Jin«, sagte er, und Fenjin senkte unbeholfen den Blick, denn nur Xaith gab ihm diesen Spitznamen, wobei nie herauszuhören war ob er ihn wohlwollend oder herablassend meinte.
Xaith blickte Riath hinterher und fuhr fort: »Wir werden nehmen müssen, was noch übrig ist, wenn mein ach so geschätzter Bruder und meine verwöhnte Schwester ihre Entscheidung getroffen haben.«
Vaaks wusste, was er meinte. Riath und May vollzogen stets eine Art Wettbewerb, wobei jeder von ihnen glaubte, der Bessere zu sein, der geeignetere Thronerbe – wobei die Thronfolge noch nicht feststand, immerhin waren alle vier leiblichen Kinder des Königs am selben Tag geboren worden, weshalb es wohl auch diesen Wettstreit unter ihnen gab. Ob beim Kampftraining oder Reiten. Und sie würden sich wieder bekriegen, um das edelste Pferd abzubekommen. Wie zankende, verwöhnte Gören warben sie um die Anerkennung des Königs.
Aber Vaaks lächelte nachsichtig und schüttelte den Kopf. »Unsere Väter sind da«, warf er ein, »sie werden sich benehmen müssen.« Er schmunzelte belustigt. So sehr ihn seine Geschwister auch manchmal nerven konnten, er liebte sie allesamt. Jeden auf seine besondere, verschrobene Art, weil sie alle einzigartig und seine Familie waren.
Xaith wirkte wenig überzeugt. Seine eindringlichen Augen brannten sich noch einmal kurz auf die Stelle, wo Fenjin und Vaaks scheinbar verschmolzen waren – auf die Arme des Kaufmannssohnes, die Vaaks` muskulösen Arm vertraut umschlangen – dann wandte er sich ab und ging an ihnen vorbei.
Vaaks wollte seinem Bruder – oder Nicht-Bruder, wie Xaith es bezeichnete – folgen, doch Fenjin hielt ihn am Arm zurück.
»Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich mitkomme?«, fragte sein Freund zögerlich und blickte dabei hinüber zu dem Gatter auf der anderen Seite des Reitplatzes, wo der König mit dem Prinz Nohvas stand und die Köpfe zusammengesteckt hatten, als würden sie sich sehr ausgiebig über die Qualität der Pferde unterhalten. Das leichte Lächeln auf den schmalen Lippen des Königs verriet seine gute Laune. Er war eine beeindruckende Erscheinung. Groß, muskulös, aber nicht hünenhaft, breite Schultern, malerisch definierte Muskeln, keine Überproportionen. Stark und schwarzhaarig, kürzeres Haar, ein dunkler, gepflegter Bartschatten auf dem scharfkantigen Gesicht, aus dem stechend grüne, eindringliche und überaus kluge Augen herausstarrten. Er war nicht auf die klassische, adelige Art schön, sondern auf eine wilde und rein männliche Art imposant. Sein einfacher schwarzer Wollumhang, unter dem er stets seinen Harnisch aus schwarzem Drachenleder trug, unterstrich seine Natürlichkeit. Er brauchte keine Krone, damit man ihn erkannte, noch einen Samtumhang oder Seide am Leib. Desiderius war sich stets seiner Einfachheit treu geblieben.
Was ihm an Sanftheit und klassischer Schönheit fehlte, besaß der Prinz Nohvas umso mehr. Wexmell fiel nehmen Desiderius besonders auf, da sie das genaue Gegenteil des jeweils anderen waren. Der Prinz war klein und schlank, seine Schultern schmal und sein Gesicht so sanft, dass es beinahe knabenhaft wirkte. Aber man sollte ihn nicht unterschätzen, Vaaks hatte ihn kämpfen gesehen, zumindest in Schauduellen, und er war unglaublich geschickt mit seinem Katana, außerdem besaß er sehr wohl auch Muskeln, sie waren einfach unaufdringlicher, aber ebenso hart. Sein goldenes Haar kringelte sich lockig auf seinem zierlichen Kopf, sein Hals war sehr schlank und lang, sodass er sofort ins Auge stach. Aber vor allem fielen seine großen, mit langen Wimpern umrundete frostblaue Augen auf, in denen stets so viel Güte stand, dass es dem Betrachter sofort warm ums Herz wurde. Volle Lippen und eine freche, leicht nach oben gewachsene Stupsnase vervollkommneten seine durch und durch adelige Erscheinung. Er hätte ebenso gut ein Gott sein können, seine Makellosigkeit machte jedem erhabenen Wesen große Konkurrenz. Er trug gern beigefarbene Seidenhemden mit unaufdringlichen goldenen Applikationen und Stehkragen, unter dem gelegentlich, wenn er den Kopf hin und her drehte, auf beiden Seiten schwarze Male sichtbar wurden. Bisse des Königs, die durch Tinte unter seiner Haut verewigt waren. Gleiche Male trug er an beiden Handgelenken. Und er trug sie mit Stolz. Der König besaß die gleiche Kennzeichnung. Es bedeutete nichts Geringeres, als dass sie beide zusammengehörten, und vor allem, dass ihre Venen nur dem jeweils anderem gehörten.
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