„Ach, das ist ja blöd. Aber du hast ja Gott sei Dank einen Beruf. Dann wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben, frag doch mal bei deinem ehemaligen Chef. Der weiß ja wie du arbeitest!“ Das sah ich als die beste Lösung an.
Robert schüttelte energisch den Kopf, sagte abweisend: „Nee, ganz sicher nicht. Da frag ich zuletzt! Denn ich kriege ja die Personenbeförderung, aber nur für Mietwagen, nicht für Taxen. Dauert nur ein paar Tage, ich muss erst zum Amtsarzt. Dann fahre ich bei Taxi- Schwerte in der Nachtschicht. Die haben ja auch genug Mietwagen. Hab schon mit dem alten Schwerte gesprochen.“
Ich verstand den Unterschied nicht, Mietwagen oder Taxi war für mich ein und das gleiche, deshalb fragte ich: „Verdienst du bei Mietwagen weniger, oder wo ist der Unterschied?“
Robert lachte mich aus: „Quatsch! Dummkopf! Die Kunden bezahlen doch auch den gleichen Fahrpreis. Warum sollte denn der Fahrer weniger verdienen? Du bist aber auch zu blöd!“
„Woher soll ich das denn wissen, damit hab ich doch noch nie was zu tun gehabt!“ maulte ich beleidigt.
Robert belehrte mich großzügig mit nachsichtigem Ton: „Der Unterschied ist nur, Mietwagen dürfen nur von der Zentrale aus fahren und nicht von den Taxi-Halteplätzen aus.“
„Wie? Wo soll denn da ein Unterschied sein? Ist doch egal.“
Die Differenz konnte ich nicht nachvollziehen.
Ungeduldig sagte mein Mann: „Mensch Rutchen, wen und wohin die Taxen vom Halteplatz aus fahren, kann die Zentrale doch nicht kontrollieren, aber die Mietwagen werden von der Zentrale zu dem Kunden geschickt. Wenn der Kunde anruft und einen Wagen bestellt, fragt die Zentrale wohin die Fahrt gehen soll. Das ist die Kontrolle. Aber ein fremder Kunde der am Taxistand einsteigt sagt das Ziel dem Fahrer, und der kann der Zentrale über Funk erzählen was er will. Hast du es jetzt kapiert?“
„Ja, okay, aber warum soll der Taxifahrer denn über Funk was Falsches sagen? Das macht doch keinen Sinn. Nee, da blick ich nicht durch“, wunderte ich mich über Roberts Erklärung.
„Ach, musst du eigentlich auch nicht verstehen. Nur so viel, als Mietwagenfahrer kann ich nix schmu machen, das ist der beschissene Unterschied“, knurrte mein Mann missmutig.
Obwohl ich das System noch immer nicht verstand, verzichtete ich auf weiteres Nachhaken. Schließlich brauchte ich ja nicht zu wissen, wie die Fahrer schmu machen konnten. Für mich war das ein anderes Wort für klauen, und darüber musste ich nicht aufgeklärt werden, ich war keine Diebin.
Obwohl wir nun Räumlichkeiten genug hatten, klappte unser Zusammenleben mehr schlecht als recht.
Unsere unterschiedlichen Arbeitszeiten, Ramonas Schulstunden und dann der Säugling stellten unsere Geduld schon manches Mal auf eine harte Probe. Mein Spätdienst war kein Problem, aber die Frühschicht.
Da Robert nachts in 12 Stunden-Schicht arbeitete, ich im Frühdienst zur Arbeit musste, wenn mein Mann noch nicht zu Hause war, hatten wir ein Problem mit Ramona. Sie musste gerade dann zur Schule, wenn Robert Feierabend machte. Aber mein Mann kam immer viel zu spät nach Hause. Zwangsläufig verbummelte Ramona dann den Schulbeginn.
„Robert, so geht das nicht. Du musst etwas früher nach Hause kommen, damit du darauf achten kannst, dass Ramona pünktlich zur Schule kommt. Wenn keiner von uns zu Hause ist, bummelt die und kommt zu spät. Also beeil dich mal ein bisschen“, forderte ich nach ein paar Wochen Chaos.
„Spinnst du?“ fragte Robert ärgerlich. „Wie soll ich das machen? Ich muss so lange auf der Karre bleiben, bis meine Ablösung da ist! Was soll ich machen wenn der Kerl immer Verspätung hat?“
Sauer widersprach ich: „Dann musst du mit dem Schwerte sprechen, dass es nicht geht, wenn du bis sieben Uhr Dienst hast, dass deine Ablösung ständig zu spät kommt. Du hast ein Kind um das du dich kümmern musst. Dann musst du das Auto einfach an der Zentrale stehen lassen, damit du pünktlich Feierabend hast!“
Genervt schimpfe mein Mann: „Der Alte zeigt mir an den Kopf! Wer soll denn die Stunde bis zur Ablösung fahren? Und außerdem, wie soll ich hier hin kommen, zu Fuß? Nee, das kannste Mal vergessen. Frag meine Mutter, die kann sich auch um Ramona kümmern. Die geht doch eh morgens hier rauf und sieht nach dem Kleinen. Ist doch ein aufwaschen. Ich kann doch nicht den altbewährten Arbeits-Rhythmus in der Firma Schwerte verändern, nee!“
„Immer ich wenn es dir unangenehm ist? Nee! Ich bin nicht alleine für unsere Kinder verantwortlich. Solange ich noch mitarbeiten muss, ist es deine Aufgabe genauso. Also frag sie selbst!“ lehnte ich energisch ab.
Tatsächlich hatte meine Schwiegermutter sich sofort bereit erklärt, die Aufsicht zu übernehmen, dass Ramona rechtzeitig zur Schule kam.
Obwohl mir ihre schnelle Zustimmung ein wenig suspekt war, fragte ich nicht nach dem Grund. Ich war einfach froh das Problem behoben zu wissen.
Gerade hatte ich geglaubt aufatmen zu können, als es offiziell erklärt wurde: die Obus-Linien würden auf Einmann-Betrieb umgestellt werden. Die Umstellung sollte bis zum Ende des Jahres durchgeführt sein.
Das hieß also arbeitslos? Nein, das musste nicht sein, denn der Arbeitgeber wollte den überwiegend weiblichen Schaffnern Alternativen bieten. Man war dabei Arbeits-Angebote zu schaffen.
In der Verwaltung, der Kantine oder in der Halle.
„Oh nein, nicht mit mir, das kenne ich!“ posaunte ich ablehnend in die Welt hinaus. „Noch einmal Autobusse putzen muss ich nicht haben, mir hat diese Scheiß-Arbeit während der Schwangerschaft gereicht! Lieber kündige ich!“
Wohlwollende Kollegen rieten mir abzuwarten, meinten, einen so sicheren Arbeitsplatz freiwillig aufzugeben, sei leichtsinnig. Andere wiederum waren der Meinung, dass die Kurzdienstler und die Neulinge unter uns Schaffnern keine Chance auf einen Ersatz-Arbeitsplatz hätten. Die Gerüchteküche vermischte sich mit Vermutungen. Die ehemals schöne Arbeitsatmosphäre war endgültig kaputt.
Auch im häuslichen Bereich gab es nur Ärger und Aufregung. Meine Schwiegermutter kämpfte um Onkel Karls Ersparnisse, die sie seiner Witwe nicht überlassen wollte und versuchte die alte Hexe aus dem Haus zu ekeln. Der Verblichene hatte auf Drängen meiner Schwiegermutter, ihr zwar das Haus schon vor seiner erneuten Eheschließung, überschrieben, weil das im Gemeinschafts-Testament mit seiner ersten Frau so geregelt war. Aber er hatte seiner Zukünftigen ebenfalls vorher schnell noch lebenslanges Wohnrecht vermacht. Vermutlich um seiner rabiaten Nichte ein Schnippchen zu schlagen, die ihm zusätzlich noch Zehntausend Mark abgeknöpft hatte. Dafür hatte sie ihm allerdings unterschrieben, dass sie keine weiteren Ansprüche mehr erheben werde. Doch damit wollte sich die Schlaue nach seinem Tod nicht abfinden. Sie hatte einen gewitzten Anwalt gefunden, der die Meinung vertrat, die Erbin habe nur auf die Hinterlassenschaft ihrer Tante verzichtet, aber nicht auf das Erbe ihres Onkels, weil über dessen Ersparnisse nicht gesprochen wurde. Also zog man vor Gericht.
Außerdem verlangte meine Schwiegermutter die Räumung der großen Erdgeschoß-Wohnung.
Denn das Wohnrecht der Witwe war zwar nicht anfechtbar, aber weder die Anzahl der Räume war festgelegt worden, noch hatte der gute Onkel an die Mietfreiheit gedacht. Deshalb war meine Schwiegermutter großzügig bereit, der Witwe eine kleine Wohnung im ersten Stock gegen dementsprechende Miete zur Verfügung zu stellen.
Es war ein harter Krieg der Hinterbliebenen, der auch negativ auf die allgemeine familiäre Stimmung schlug.
Ob es der Ärger, beziehungsweise der Nervenstress um das Erbe des Onkels war, warum und woher auch immer, meine Schwiegermutter wurde krank. Und somit fiel ihre Hilfe erst einmal aus.
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