"Ah, na endlich, Eadfjeddr. Du kommst reichlich spät.", sagte er zu Julian. Dieser wusste zunächst gar nicht, was er eigentlich erwidern sollte. Immerhin war er gerade mit einem seltsamen Namen angesprochen worden. Der alte Mann nahm ihm die Arbeit ab und fuhr fort:"Was soll denn das Junge, verhält man sich so in Gegenwart eines alten Mannes? Steck gefälligst das Schwert weg und steh gerade. Also wirklich, die Jugend von heute. Durch und durch verdorben. Warum genau hat das so lange gedauert? Ich habe schon gestern mit dir gerechnet. Die Sterne lügen nicht, doch manchmal scheint es, als ob sie nicht ganz korrekt bei ihren Angaben sind."
"Verzeihung...", begann Julian schließlich, "...aber was redet Ihr da eigentlich?"
"Hm? Was ich rede? Oh, natürlich. Entschuldige, ich vergesse immer, dass nur ich weiß, was passieren wird und die anderen dann immer verdutzt dreinschauen, bis ich es ihnen erkläre. Also, ich bin der Druide der Gestirne. Mein Name ist Alfokohel und bisher wartete ich auf deine Ankunft, Eadfjeddr."
"Ich heiße Julian!", rief Julian dem Alten dazwischen. Dennoch staunte er innerlich. "Ein Druide".
"Natürlich ist das dein Name, aber ich glaube, du verstehst nicht ganz. Eadfjeddr ist keinesfalls ein Name, es bedeutet "Vorherbestimmter" in der alten Sprache. So es der Zufall will, wobei das hier wohl eher Schicksal ist, bist du mir vorherbestimmt, Julian. Es ist vorherbestimmt, dass wir beide uns treffen."
"Wie kann das vorherbestimmt sein?", fragte Julian erstaunt und verwirrt.
"Ich fühle, du hast viele Fragen, doch will ich dir zunächst bei jener helfen, die mir am dringendsten scheint. Deine beiden Freunde, Otto und Lisa. Ich weiß, wie es um sie bestellt ist."
"Tatsächlich? Geht es ihnen gut? Wo sind sie?", fragte Julian sofort erfreut. Vielleicht konnte der Druide ihm ja wirklich helfen.
"Ganz ruhig. Unser Treffen ist vorherbestimmt, somit werde ich dir helfen, aber auch du musst mir helfen. Das verstehst du sicherlich. Bist du bereit für deine Aufgabe?"
"Was? Nein, Moment. Bitte sagt mir sofort, was mit meinen Freunden geschehen ist. Das hat Vorrang vor allem anderen. Danach helfe ich Euch gerne, aber bitte sagt mir zunächst alles, was Ihr über meine Freunde wisst."
"Tut mir Leid, Julian, aber das kann ich nicht tun. Wenn du meine Aufgabe erfüllst, dann werde ich dir alles erzählen. Also, bist du bereit für die Aufgabe?"
"Soll das ein schlechter Witz sein?", erwiderte Julian zornig. Er zog sein Schwert und blickte den Druiden finster an.
"Ich will jetzt Antworten. Dafür bin ich doch extra auf diesen beschissenen Berg hinaufgeklettert. Ihr sagt mir jetzt alles, was Ihr wisst oder Ihr nehmt es mit ins Grab!"
"Kein Grund, ausfallend zu werden, mein ungestümer Freund. Ich glaube, du solltest dich erst einmal ausruhen."
Dann hob der Druide der Gestirne seine Hände und Julian schwebte plötzlich in der Luft, während er immer müder wurde. Sein Katana fiel ihm aus der Hand und zu Boden. Anschließend verlor er das Bewusstsein.
Kapitel III: An einem seltsamen Ort
Als Julian erwachte, blickte er verwirrt um sich. Für einen Moment hatte er keine Ahnung, was geschehen war und wo er sich befand. Dann aber fiel ihm alles binnen eines Augenblicks wieder ein und er erkannte den gemütlich eingerichteten Raum wieder, den er zuvor im Turm des Druiden durchquert hatte. Tatsächlich lag Julian gerade in dem Bett, welches gegenüber dem Durchgang zur äußeren Treppe des Turms lag. Es fühlte sich wirklich weich und kuschelig an. Von dem Druiden fehlte jede Spur. Ein seltsamer Geruch begann, sich langsam auszubreiten. Julian roch seltsame Gewürze und fragte sich, was da wohl so duftete. Schließlich wollte er aufstehen und es herausfinden. Doch als er sich vom Bett erheben wollte, konnte er nicht. Irgendwie blieb er einfach liegen und eine unsichtbare Mauer über ihm hinderte ihn daran, sich aufzurichten. Was hatte dieser Druide nur mit ihm vor? Das letzte, woran Julian sich erinnern konnte, war, dass er den alten Mann angeschrieen und bedroht hatte. Vielleicht war das nicht gerade klug gewesen, jetzt aber war es zu spät, um es rückgängig zu machen. Zwar hatte Julian einst ein Amulett besessen, welches es ihm erlaubt hatte, die Zeit zu manipulieren, doch dieses Schmuckstück trug nun Lao Ming um den Hals, eine der fünf Wächter von Singapur. Was sie wohl gerade tat? Das fragte sich Julian, als der alte Druide plötzlich vom oberen Stockwerk über die äußere Treppe in den Raum trat und eine Tasse Tee bei sich trug. Aus einer wunderschön mit Blumen verzierten Porzellantasse stieg der Dampf des heißen Tees auf. Der Druide der Gestirne stellte die heiße Tasse auf das Bett, neben Julians Körper. Dann nahm er sich einen alten, hölzernen Stuhl und setzte sich vor das Bett. Er blickte den jungen Mann an, wie er so dalag und gerade einmal den Kopf drehen konnte. In seinen Augen spiegelte sich eine verwunderte Frage:"Warum?"
"Nun, das war nicht gerade ein fulminanter Start. Nicht wahr, Eadfjeddr?", sagte der Druide schließlich.
"Was habt ihr mit mir vor?", fragte Julian sofort.
"Was ich...? Junge, keine Angst, dir passiert nichts. Du hast mich bedroht und deshalb musste ich dich einschlafen lassen. So jemand wie du kann sogar den Druiden gefährlich werden. Deshalb wollte ich nichts riskieren. Mir ist schon klar, dass du das nicht in böser Absicht getan hast. Das Wohl deiner Freunde liegt dir sehr am Herzen und deshalb reagierst du natürlich gereizt, wenn man dir wichtige Informationen verweigert. Ich kann das verstehen."
"Dann seid so gut und helft mir.", sagte Julian, der nun verstand, dass der Druide durchaus vernünftig war.
"Tut mir Leid, aber so einfach ist das nicht. Du musst nämlich auch etwas verstehen, Eadfjeddr. Wenn wir nie etwas riskieren und Dinge tun, die wir vielleicht gar nicht tun wollen, dann wachsen wir nie über uns hinaus. Verstehst du das?"
"Nicht ganz. Wollt Ihr mich zu etwas zwingen?"
"Nein, ich möchte, dass du dich selbst dazu zwingst. Es ist ganz einfach. Angenommen, ein Bäcker bäckt jeden Tag seines Lebens ein Brot aus den exakt selben Zutaten. Das macht er so lange, bis er stirbt. Wenn er dann tot ist, werden die Leute sagen:"Schade, er hat immer ein so gutes Brot gebacken." Aber nach ein paar Wochen haben sie ihn vergessen und jemanden gefunden, der besseres Brot bäckt. Hätte der Bäcker aber einmal riskiert, ein Brot mit anderen Zutaten oder vielleicht etwas völlig anderes wie eine Torte oder einen Kuchen zu backen, dann wäre er über sich selbst hinausgewachsen und hätte etwas Großes erreichen können. Doch weil er immer dasselbe tat, blieb er sein Leben lang auf demselben, mittelmäßigen Niveau. Ich hoffe, dieses Beispiel veranschaulicht, was ich von dir erwarte, Eadfjeddr."
Julian dachte nach. Dann sah er dem Druiden in seine schwach grün leuchtenden Augen und antwortete:"Ihr wollt also, dass ich über mich hinauswachse? Wie soll ich das tun?"
"Endlich hast du verstanden. Wie du es tust, ist unwesentlich. Im Grunde bleibt es dir überlassen, doch spüre ich, dass du einen kleinen Schubs in die richtige Richtung benötigst. Den will ich dir geben. Deshalb bekommst du von mir eine Aufgabe. Und du wirst sie zufriedenstellend ausführen. Bist du bereit?"
"Von dieser Aufgabe habt Ihr schon einmal gesprochen. Die muss ich erfüllen, um von Euch alles über Otto und Lisa zu erfahren, was Ihr wisst, richtig?"
"Ich sehe, dein Gedächtnis lässt dich nicht im Stich. Völlig richtig. Erledige diese eine, simple Aufgabe für mich und ich verrate dir alles, was mir an Informationen über deine Freunde übermittelt wurde."
"Na schön, Ihr gebt ja sonst doch keinen Frieden. Was soll ich tun?"
"Bring mir fünf Nebelseitlinge. Mehr ist es nicht."
"Was für Dinger?", fragte Julian ratlos.
"Nebelseitlinge. Das sind spezielle, sehr seltene Pilze. Wenn du mir fünf davon bringst, sollst du noch weit mehr als deine gewünschten Informationen erhalten."
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