„Bleib bei ihr“, befahl Jo.
In einem Papierkorb fand er einen alten Kaffeebecher, spülte ihn im Teich gründlich aus und füllte ihn an einer sauberen Stelle im Gewässer. Er lief rasch zurück, das Wasser schwappte aus dem Becher. Noch zur Hälfte gefüllt, tropfte er ihr das Wasser in den Mundwinkel.
„Das nutzt, der Puls ist stärker.“
Im Licht der Laterne sah Jo in ihr Gesicht.
„Sie hat Ähnlichkeit mit Mutter, ja, aber eine Doppelgängerin ist sie nicht, verblendeter Ricky. Wir können nicht einfach abhauen und die Frau liegen lassen.“
„Jo, wir tragen sie zum Eingang des Parks, dann holst du das Auto und wir nehmen sie mit.“
„Mann Ricky! Weißt du, was das bedeutet?“
„Das ist doch keine Entführung oder Freiheitsberaubung, das ist erste Hilfe und es ist unsere einzige Chance, die Sache aufzuklären. Heute Mittag ist sie erholt, wir reden mit ihr, erklären, was vorgefallen ist und hoffen, sie versteht uns und sieht ein: Es ist ein Missverständnis. Und dann fährst du sie zu ihrem Hotel.“
„Ich fahr sie direkt dahin. Wir legen sie vor die Tür.“
„Mann Jo, das sieht so aus, als hätten wir ihr etwas angetan, wollten unser Opfer loswerden und schnell in der Dunkelheit verschwinden. Wenn uns jemand sieht sind wir dran.“
„Meinst du niemand vermisst sie? Freund oder Freundinnen? Morgen Vormittag ist eine kritische Phase. Guck mal, ob sie ein Handy hat.“
Hektisch wühlte Ricky ihre Tasche durch. „Hier.“
„Schmeiß weg, dahinten in dem Gang. Wir wissen nicht, wie das hier endet, ortet die Polizei das Handy, wissen sie, wo wir sind.“
„Mensch Jo, so ein teures Handy können wir doch nicht wegschmeißen.“
„Buddel es da vorne an der Kiefer ein oder wirf Laub drüber. Merk dir die Stelle. Wir holen das morgen, wenn alles erledigt ist, und geben es der Frau zurück.“
„Das sage ich zwar ungern, aber du bist ein kluges Köpfchen. Für Entführungen bist du echt gut zu gebrauchen.“
„Quatsch nicht so einen Blödsinn. Ich fühl’ mich mies.“
Die Zwei hakten die Frau unter, schleppten sie an den Fußweg zur Straße.
„Bleib mit ihr hinter den Büschen, nicht, dass einer vorbeikommt, man weiß ja nie. Bis gleich.“
Jo erreichte gerade das Auto, da verließen Gäste die Kneipe am Park, die Hönenbergs, Edith und Gerd, ehemalige Nachbarn.
Fabio, der Wirt, verlängerte bei gutem Geschäft die Sperrstunde nach Belieben. Dann schloss er die Türe ab und trank mit Stammgästen bis in die Morgenstunden. Kam eine Kontrolle, entwichen die Leute mit ihren Jacken und Getränken in einen Nebenraum der Küche mit der Aufschrift ‚Privat‘.
Die Polizei sah einen noch fleißig putzenden Wirt, der Sauberkeit zur Chefsache erklärte.
Hoffentlich sehen sie mich nicht, ging Jo durch den Kopf, oder sollte er sie ansprechen? Nein, zu kompliziert.
„Wer ist um diese Zeit noch unterwegs? Das ist ja der Jo. Was machst du denn hier?“
„Ich hole das Auto ab, brauch’ ich morgen früh, ich mein’ heute früh, in ein paar Stunden. Dann hab ich keinen Bock hier runter zu laufen, sind fünf Kilometer.“
„Das ist dir früh eingefallen. Lass es besser, du hast genug Bierchen intus, ich kenne euch Burschen. Ich fahre dich nach Hause.“ Gerd Hönenberg mit erhöhtem Alkoholspiegel war generöser denn je.
„Das wirst du nicht tun“, rief seine Frau empört. „Deine Promille reichen für hundert Punkte in Flensburg!“
„Ach, Edith Schatz, hör auf, mach’ kein Drama draus.“
„Wie viele Weinbrände hast du dir rein geschüttet?“
„Edith, Schatz, die zähl’ ich nicht.“
Jo nutzte den Streit, um ins Auto zu steigen, er hörte Frau Hönenberg noch sagen: „Wir nehmen eine Abkürzung durch den Park.“
Mist. Obwohl er mit dem Auto fuhr, musste er schnell handeln. Ricky harrte um die Ecke, hinter dem Gebüsch versteckt, kämen die Hönenbergs dort vorbei, könnten sie die Zwei entdecken.
In hundert Meter Entfernung begann der Weg durch den Park und hielte er dort an der Straße an, ehe sie die Frau ins Auto brachten, wären die Zwei gefährlich nah dran, sie sähen wie sie einen leblosen Körper in das Auto laden würden. Bei diesem Gedanken zuckte Jo.
Er wartete kurz, um zu sehen, welche Richtung die Ex-Nachbarn einschlugen. Natürlich in Richtung Ricky. Die Ex-Nachbarn wunderten sich, warum Jo nicht losfuhr.
Jo startete vom Parkplatz, fuhr langsam an ihnen vorbei, sie winkten und gingen rechts die Straße entlang, während Jo nach links fuhr. Die entgegengesetzte Richtung. Er würde eine Runde um das Areal drehen und hoffen, die Eheleute stritten immer noch und die unbekannte Frau sei noch benommen.
Ricky bleib mit ihr hinter dem Gebüsch, betete er.
Nach ein paar Minuten bog er von der anderen Seite kommend in die Straße ein und sah Edith und Gerd.
Das Gute: Sie hatten nicht den Parkweg genommen. Das Schlechte: Als ihnen Jo mit dem Auto entgegenkam, schauten sie verblüfft. Er musste ihnen zuvorkommen. Er hielt an, kurbelte das Fenster runter.
„Ich hab den Hausschlüssel auf dem Parkplatz verloren, der liegt bestimmt dort.“
„Armer, Jo“, bedauerte Frau Hönenberg.
„Na dann viel Spaß beim Suchen“, fügte ihr Mann hinzu.
„Danke.“
„Wo hast du Ricky gelassen?“
„Der wollte nicht mit mir kommen, ist weiter gegangen, liegt schon im Bett.“
„Der Glückliche.“
„Tschüss.“
Endlich war er sie los, Ricky würde bestimmt fragen, wo er bliebe. Er hielt an der Stelle zum Parkweg, in der Gegenspur.
„Verdammt, wo bleibst du?“
„Die Hönenbergs kamen mir in die Quere. Wie geht es der Frau?“
„Die schläft. Hab sie an den Baum gesetzt.“
Doppeltes Glück, dachte Jo, der Baum stand knapp am Wegesrand, die Frau saß da wie auf einem Präsentierteller.
Was soll’s. Die Jungs hakten die Frau unter, trugen sie zum Auto. Jo schaute auf die Häuser der anderen Straßenseite, die Rollos der Fenster in Parterre waren heruntergezogen, nirgendwo Licht, die Menschen lagen im Tiefschlaf. Sie platzierten die Frau auf dem Rücksitz, wobei die halb benommene Frau langsam die Augen öffnete.
Daneben Ricky. Er hielt sie fest, streichelte sie und redete beruhigend auf sie ein, es sei alles in Ordnung, gleich könne sie schlafen gehen. Ihre Augenlider fielen wieder zu.
Vor der Waldschänke bemühten sich die Jungs leise zu sein, da Tom schlief. Sie führten die Unbekannte die knarrende Holztreppe zu Jos Zimmer hinunter, legten sie auf das Bett.
„Wir schließen das Zimmer ab und ich schlafe diese Nacht bei dir“, schlug Jo vor.
Wieder öffnete die Frau ihre Lider.
„Wir geben ihr besser zwei Beruhigungstabletten, dann schläft sie bis Mittag.“
Jo schlich hoch in die Küche, holte aus dem Apothekerschrank zwei Tabletten, löste diese in Wasser auf und kam lautlos die Treppe runter. Er träufelte das Gemisch der Frau ein.
Ricky, romantisch veranlagt, holte aus dem Schankraum einen farbenprächtigen Blumenstrauß und stellte diesen auf das Beistelltischchen neben dem Bett.
„Das beruhigt“, meinte Ricky.
„Ich schreibe ihr eine Nachricht.“
Jo steckte das Papier unter die Vase.
„Bin gespannt, ob die Frau eine Zicke ist, die jedes Wort von uns bezweifelt.“
„Wie sollen wir das Tom beibringen?“, grübelte Ricky.
„Keine Gedanken mehr, ich bin platt.“
„Ich auch.“
Drei Uhr in der Früh. Tom würde in einer Stunde aufstehen und zur Arbeit fahren.
Bei leiser Musik genossen Petra und Hubert Jenin das reichhaltige Frühstück. Ein wolkenloser Sommertag lag vor ihnen, das Licht strahlte hell in den Gästeraum.
„Sie wird noch schlafen“, sagte Vater Hubert. Die Uhr zeigte halb zehn.
„Müde bin ich, ein verrückter Abend gestern: Wir die Karten, sie den Schlüssel vergessen“, blickte Mutter Petra zurück.
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