„Du meinst, mit dem – Preis, den wir bekommen haben…? Entspann dich mal, Anneke. Das ist alles gut so, niemand ist da übervorteilt worden. Das ist so sicher, wie ich hier sitze. Und jetzt können wir die Sache doch mal langsam in Angriff nehmen. Warum noch länger Zeit verlieren – jetzt ist Sommer, und wir werden beide nicht jünger…“
„Das ist es ja eben! Ich mag da gar nicht dran denken, was in zwanzig Jahren ist! Und wo sind die Jahre geblieben… sicher, es war auch schön, immer wieder. Aber weißt du noch, grade die letzte Zeit – jedes freie Wochenende, den ganzen Winter über, in der kalten Halle – nur das Schiff, das Schiff und die Arbeiten! Und jetzt wieder…! Können wir das denn sinnvoll nutzen? Was ist mit deinem Job? Da kannst du ja auch nicht morgen einfach so weg… Könnte man dieses – Geld nicht auch erst mal weglegen, auf ein Sperrkonto packen oder so was… nachher ist da doch noch was…“
„Damit es da ’rum liegt und weniger wird? Ich fass’ es ja nicht, Anneke… ist das dein Ernst? Wir leben im Jetzt und Hier! Wir sind doch noch jung! Du wenigstens… ich zwar auch, wenigstens so’n bisschen…“
Petersen nahm mangels zugkräftiger Argumente Zuflucht zu seinen Plattitüden.
„Man ist immer so alt, wie man sich fühlt – oder? Dem Glücklichen schlägt keine Stunde – und ohne Moos nix los! Wir wollen doch wieder ein Boot haben, Anneke – und das auch nutzen! Soll ich denn ’n Wohnmobil anschaffen jetzt? Dann komm ich mir wirklich vor wie so’n Opa, der noch mal…“
Er ließ den Satz halbwegs unheilvoll in der Luft hängen, schüttelte unmerklich den Kopf und stierte verdrossen vor sich hin, als stände er schwitzend im Stau auf der hitzeflimmernden Autobahn.
„Und mit meinem Job – da muss ich mal sehen… man kann auch früher gehen. Bekommt man ein bisschen weniger Geld, nachher…und ich hab’ doch schon damals die private Rentenversicherung abgeschlossen! Da gibt’s auch was.“
Anneke sagte leise, wie zu sich selbst:
„Wir haben auch ein Haus. Und Kinder, die noch lange nicht fertig sind.“
Langes Schweigen. Keine Spur mehr von entspannter Sommerabendatmosphäre, plötzlich.
Vom Grill fielen zischend Öltropfen in die aufflackernde Glut, und Petersen zog an der Kette und hängte ihn wortlos höher.
Lisa dauerte das zu lange:
„Aber Mama – wollt ihr denn gar nicht mehr segeln, im Sommer? Wie sonst immer? Und wir könnten doch auch mitkommen, wenigstens ab und zu! Und haben wir denn unseren schönen Liegeplatz nicht mehr? Wollt ihr den denn aufgeben? Dann kann doch alles so bleiben wie bisher. Das war doch immer so toll, die Geburtstage an Bord mit Schatzsuche und das…“
„Ihr seid keine Kinder mehr. Und könnt ja ohnehin nicht mehr so oft mit. Du machst ja schon länger auch ganz andere Sachen, und Jonas hat nicht mehr lange bis zum Abitur…da muss er sich ja eh noch ein bisschen ’ranhalten. Ich denk einfach daran, was für ein Stress es auch oft war! Nie ein Wochenende mal Zeit im Frühjahr, auch nicht bei schönstem Wetter… immer am Schiff arbeiten – schleifen, lackieren, Unterwasseranstrich und und und…Papa abgenervt…“
Hier hatte Jonas mal eine Frage.
„Muss das denn alles auch so oft gemacht werden, bei einem neueren Schiff? Ich dachte immer, dass Kunststoffboote viel leichter zu pflegen sind. Da kann doch nichts rosten oder so was… Papa? Das war doch bei unserer ‚Jan’ das Hauptproblem, oder?“
Die Katze sprang von seinem Schoß und schielte unauffällig hoch zu den kleinen Fleischstücken auf dem Teller. Dann leckte sie sich verlegen einmal über die gelbbraune Brust, trollte sich gemächlich zur Hecke und legte sich dort auf den Bauch – die Vordertatzen unter der Brust eingeklappt, die Augen halb geschlossen.
Die Meisen in der Birke starteten ein Schimpfkonzert, auch der Zaunkönig in der Hecke fiel warnend ein.
„Ja, sicher – der Stahlrumpf und das viele Holz. Natürlich nicht – das ist ja grade das entscheidend andere bei einem GFK-Boot! Vor allem, wenn es noch nicht so alt ist. Einmal ungiftiges Antifouling im Frühjahr aufs Unterwasserschiff draufhauen, fertig aus. Und dann ins Wasser damit – Masten stellen, Segel auftakeln, Motorölwechsel, fertig. Und dann up, up and away …bound for Graciosa… playa de las conchas. Über Lissabon und Madeira…”
Petersen sah ein kleines Licht am Ende des Tunnels. Aber seine Partnerin und Ehefrau hatte alle Antennen ausgefahren:
„Mast-en? Soll das denn wieder so groß sein…? Was das kostet – dann ist das ganze Geld ja weg! Und das gehört dir doch eigentlich gar nicht…?!“
Er griff zur Zange und wendete einzelne Kartoffelscheiben, die jetzt goldgelb glänzten und an den Rändern knusprigbraun wurden. Es begann leise zu zischen.
„Doch nicht alles.“
Petersens Stimme war samtweich:
„Willst du das denn … liegenlassen? Aufs Sparbuch bringen, womöglich?“
Er pokerte hoch und ein bisschen unfair – er wusste, dass sie wusste, dass er zu solchen Aktionen durchaus fähig wäre:
„Dann lass es uns lieber Greenpeace oder Sea Sheperd überweisen – und gut ist!“
Er nahm seine halbvolle Bierflasche vom wackeligen Platz auf dem Rasen herunter und stellte sie auf den Gehwegplatten ab. Stand auf, setzte sich ihr gegenüber, wandte sich ihr ganz nah zu und versuchte, ihre Hand in die seine zu nehmen, die sie aber vorher unter den Tisch sinken ließ:
„Diesmal – wird es ganz anders. Wir sind ja nicht mehr jung und unerfahren. Diesmal denken wir auch an die Zukunft. Nautiker haben Weitblick, Anneke… so ein Boot, was mir vorschwebt – das ist eine Wertanlage, auch für lange Zeit! Das muss ich dir doch nicht erzählen… wenn man das Richtige anschafft. Man ist doch lernfähig… wir haben doch Lehrgeld bezahlt… sind nicht mehr so – blauäugig. Es gibt da große Unterschiede. Zum Beispiel zwischen einem Stahlrumpf, der in die Jahre gekommen ist, an dem viel gemacht werden muss… einem Einzelstück, das beim Bau auch noch auf einen bestimmten Eigner zugeschnitten war – custom-built sozusagen. So was ist immer ganz schwer verkäuflich, das haben wir doch nun gesehen. Kaum zu vergleichen mit einer gut gepflegten, neueren Serienjacht eines bekannten, wertbeständigen Typs. Von einer Werft, die jeder in der Branche kennt. Das ist fast wie eine Immobilie, in einer guten Wohngegend… eine Altersvorsorge auch, besser als jede Rentenversicherung!“
Er merkte, wie es fast mit ihm durchging und ruderte zurück:
„Na ja, nicht ganz vielleicht. Wir sind ja auch noch nicht alt. Eine Mobilie sozusagen – weil man damit ja überall hin… “
Er machte vage Handbewegungen, in die Ferne weisend; seine Stimme wurde leiser und erstarb. Aber niemand verzog auch nur eine Miene über sein geistreiches apercu.
Lisa und Jonas blickten unauffällig, aber unverwandt ihre Mutter an.
Anneke seufzte leise und verstimmt auf und verteilte klirrend kleine Schüsseln, in die sie Obstsalat füllte.
„Eben. Das sind Dinge, Achim – die kann man nicht so übers Knie brechen. Da werden Weichen gestellt, das weißt du auch. Ich hab jedenfalls keine Lust, mir den schönen Abend mit einem ganzen Sack voller Probleme, die wahrscheinlich demnächst am Horizont auftauchen, zu verderben… wenn du da hinfahren willst nach Holland oder Belgien oder wo das ist, dann mach das mal. Ich möchte da eigentlich lieber erst mal nicht mit… du kannst mir ja erzählen, wie das war, wenn du wieder da bist. Und dann schauen wir mal, was wir mit dem angebrochenen Sommerurlaub noch so machen können, wir beiden. Wenn noch was übrig bleibt… ich war so lange nicht mehr in der Bretagne, in Frankreich. Oder in der Normandie… ist das denn okay für dich?“
Petersen strahlte – völlig recht war ihm das.
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