1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Gut, dass er in den Niederlanden war, dem Land der Weltmeister im Wasserbau und Sturmflutschutz: laut Karte führten lange Straßenbrücken herüber von Noord-Beveland aus. Die äußeren, kilometerlangen schienen gleichzeitig gewaltige Sperrwerke zu sein, die die Nordsee daran hinderten, das gewonnene Land dahinter zu fluten.
*
Auch jetzt, um acht Uhr morgens, war es im Frühstücksraum schon warm.
Zwei Fenster standen eingehakt und weit geöffnet nach außen und ließen das laute Flöten der Amseln, das ihn in seinem Zimmer im ersten Stock geweckt hatte, auch hier eindringen.
Summertime – and the living is easy…
Der gemütliche Speisesaal war nur schwach besetzt – wahrscheinlich war es noch zu früh. Als er ein zweites Mal zum Büfett ging, warf er einen Blick auf das Motorrad.
Es stand noch da auf einem der Parkplätze vor der kleinen Bed-and-breakfast-Pension.
Die obere, leere Hälfte des Tanks war mit Tautropfen beperlt. Er hatte es gestern nicht einmal angeschlossen, sah er jetzt. Hoffentlich hatte er den Zündschlüssel wenigstens abgezogen… aber der erste Startversuch hätte wahrscheinlich ohnehin jeden potentiellen Dieb hastig in die Flucht geschlagen.
Er belud sein Tablett großzügig mit Müsli, drei Sorten Vollkornbrot, gekochtem Ei und Honig. Ein reichliches Frühstück mit Kaffee und frischem Toast war ein guter Start für einen solchen Tag, der leicht weitreichende Entscheidungen mit sich bringen konnte.
Er musste allerdings sehen, dass er gleich die schweren Motorradklamotten schön eng zusammengerollt in den Seitenkoffern verstaut bekam. Die letzten zehn Kilometer von diesem Dörfchen aus, wo er gestern Nachmittag noch das offenbar letzte freie Zimmer bekommen hatte, brauchte er nicht die volle Montur. Und das schöne Sommerwetter schien weiterhin anzuhalten. Auch wenn der Seewind es nicht ganz so heiß werden ließ, hoffentlich.
Er wollte nicht mit dem Motorrad beim Jachtmakler vorfahren. Es war weder ein rat bike noch eine Boulevard-Guzzi, sondern einfach nur ein nachhaltig genutztes Transportmittel – aber man brauchte gar nicht zu wissen, wie er angereist war. Er wollte zumindest hereingelassen werden… Kleidung zum Wechseln hatte er dabei – hatte sie gleich heute morgen nach dem Duschen angelegt.
Diese Fotos auf der homepage hatten stinkfein ausgesehen. Fassaden aus Chrom und grünlichem Glas, goldfarbene Namenszüge und futuristische Plastiken aus gebürstetem Stahl, fette Limousinen und Sportwagen davor. Es hätte auch der Eingangsbereich eines Autohauses irgendwo im Stuttgarter Kessel sein können, auf die grüne Wiese geklotzt. -
Aber überall schien er bei seinen Hotelsuchen unterwegs nur noch das letzte freie Zimmer zu bekommen – es war wie verhext. Und das war dann noch ein teures Doppelzimmer.
Er war allerdings froh gewesen, als er auf der spärlich besiedelten Insel in diesem Örtchen Noordgouwe überhaupt noch diese Pension gefunden hatte, die sich so einladend an ein kleines Waldstück schmiegte: „Ons Dijkhuisje“.
Man hatte fließend Deutsch gesprochen, und alles war von einem hervorragenden Standard. Abends hatte er sogar noch in dem rustikalen Dorfrestaurant nahebei ein schmackhaftes Gericht bekommen: Rode Poon – Knurrhahn, im Ofen gebacken, mit frischem Gemüse und Salzkartoffeln. Sicher von den schweren grünen Stahlkuttern aus Texel und Terschelling hereingebracht, die auch bei neun Windstärken vor der Doggerbank noch fischten mit breit ausgebrachten Kurrbäumen, kaum auszumachen in der fliegenden Gischt… er hatte sie oft genug gesehen von der „Jan van Gent“ aus.
Jetzt, um kurz nach zehn, trug Petersen sein Landgangspäckchen, sozusagen.
Jeans, neutrales weißes T-Shirt, leichte braune Lederjacke. Aber halbwegs neue Bootsschuhe, die er extra eingepackt hatte.
Er war ein wenig über die vereinbarte Zeit, weil er das Motorrad weit hinter der hohen Deichauffahrt in der schattigen, baumgesäumten Allee mit den kleinen Cafés abgestellt hatte.
Es wurde schon wieder heiß. Im grellen Sonnenlicht lag vor ihm jetzt ein weitläufiger, nicht öffentlicher Jachthafen mit Fingerstegen, schicker, flaggenbewehrter Tankstelle und flachem Wellenbrecher.
Hunderte von Segel- und Motoryachten – kaum eine unter zwölf Metern.
Hinter der Bunkerpier die Vorführmodelle, zwei Sechzigfüßer – Ein- und Zweimaster mit 30-Meter-Masten. Megateure, funkelnagelneue Spitzenmodelle ihrer Art. Längsseits festgemacht mit einer Armada dicker Ballonfender, Gangway ausgebracht.
Als Paradestück davor eine riesige schwarze Motorjacht mit ausgeprägtem negativen Sprung, schwärzlichen, blickdichten Glasflächen und langer Badeplattform. Keine Öffnungen, nirgendwo – nur hinten eine Art Tresortür aus schwarzem Panzerglas.
Von innen blickte man wahrscheinlich heraus wie aus einer klimatisierten, luxuriösen Grabkammer des Thutmosis I. Von außen wirkte sie, als sei sie luftdicht in hochglänzende, transparente Zellophanverpackung eingeschweißt. Das bucklige Design sollte möglicherweise an einen sprungbereiten Panther gemahnen – es gab jetzt auch solche Mercedeswagen, deren ganz ähnliche Formen allerdings mehr das vergebliche Bemühen offenbarten, sich britischem Jaguardesign anzunähern. Offenbar nahm der Geschmack der poser , der Zuhälter und der neuen Börsenelite auch solche Verirrungen klaglos, wenn nicht begeistert hin.
Davor ein riesiger, pseudo-kubistischer Gebäudewürfel mit asymmetrisch ansteigender Dachfront und verglastem Eingangsbereich. Endlos lange Bootshallen, daran angebaut. Weitläufige, geschwungene Parkplätze, mit rotem Klinker zugepflastert; dekoriert mit Volvo- und BMW-SUV. Von superkurzen, besprengten Rasenflächen umgeben, auf denen summend zwei Mähroboter wie Riesenkäfer aus Plastik scheinbar orientierungslos umherruckelten.
Er betrat die kühle Eingangshalle und sah sich in dem menschenleeren Raum um. Von irgendwoher tönte gedämpft instrumentale, weichgespülte Popmusik – er glaubte, Evergreens wie Hello, Goodbye zu erkennen.
Mehrere geschwungene weiße Tresen, Sitzgruppen mit modernistisch gestylten Ledersesseln mittendrin, blitzende Espressomaschinen. Alles in weiß gehalten, auch der riesige Schriftzug NOVA YACHTING . Weiße Kaffeebecher mit dem Aufdruck Navigare necesse est.
Nicht nur John Lennon, auch Klaus Mewes hätte sich in seinem Seemannsgrab auf der Doggerbank vermutlich umgedreht.
Immer diese Erinnerungen, die einen so unvermittelt anfielen – wahrscheinlich wurde man alt… wann war das gewesen, als sie in die Altdeutsche Diele nach Steinhausen gefahren waren, wo der Hamburger Dichter Kinau am flackernden Kaminfeuer aus seinem Buch vorgelesen hatte? Das er ihm anschließend lächelnd signiert hatte mit ‚Rudl Kinau’, als sei er ein besonderer Kinderfreund… wie hieß es doch, ‚Braune Segel im Wind’…? Damals eines seiner Lieblingsbücher – neben „Seefahrt ist Not“ natürlich.
Auf der Rückfahrt nach Hause war es so neblig gewesen, dass Vater, ohnehin durch seine Kriegsverletzung fast nachtblind, seine neuen Halogenscheinwerfer hatte einschalten müssen und es nur im Schritttempo voranging… zehn musste er gewesen sein. -
Ganz hinten in dem mit imitiertem Fischgrätenparkett ausgelegten Raum öffnete sich jetzt eine Glastür. Ein noch junger Angestellter in hellem Sommeranzug hielt auf ihn zu. Halb Dressman, halb Leibwächter – mit tadellosen Manieren und maßgeschneiderten, braunen Sebagos an den Füßen.
Mit einem Blick hatte er Erscheinung und Outfit seines Gegenübers einsortiert – war aber weit entfernt davon, auch nur ansatzweise eine Augenbraue zu heben oder ein noch so unauffälliges Lächeln über sein gebräuntes, langes Gesicht huschen zu lassen. Dafür war er ein zu perfekt geschulter und erfahrener Verkäufer.
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