Henning Puvogel
Roman
Texte: copyright beim Autor
Titelfoto: Autor
Verlag: Henning Puvogel
Streekmoorweg 3
26316 Varel
Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
Henning Puvogel war 45 Jahre lang in seinem Beruf als Seefahrer, Nautiker und Kapitän tätig. Er fuhr von 1972 bis heute ohne Unterbrechung auf Frachtern, Spezialschiffen und Seglern zur See und lebt mit seiner Familie in Norddeutschland.
Foto: Torben Mau
Von ihm erschienen bisher:
„Die letzte Fahrt der Scarabea“ (Hauschild/Bremen, 1990)
„Ebbstrom“ (Koehler/Hamburg, 1999)
„Das glückhafte Schiff“ (Holtzbrink/ Neopubli, 2017)
„Das zweite Gesicht“ (Holtzbrink /Neopubli, 2019)
Petersen setzte das Fernglas ab und legte es zurück auf seinen rutschfesten Platz, neben den Steuerkompass im Brückenpult.
Die blaue Segeljacht, die sich in der südlichen Brise vom Vorsegel Richtung offene Nordsee ziehen ließ, kam ihm irgendwie bekannt vor. Als sie jetzt bei der roten Tonne Kurs ändern musste und ihre Plicht zeigte, sah er auch das schwer verwechselbare Profil des Skippers, der an der Pinne saß und dem schwarz-gelben Behördenschiff entgegensah.
Schnell war sie heran. Der Ebbstrom in der Außenharle schob bereits mit Macht und ließ die schräg liegenden Fahrwassertonnen gurgeln. Der bärtige Mann am Ruder hob die Hand und rief etwas herüber, als Petersen durch die offene Tür in die Brückennock hinaus trat. Keine zwanzig Meter querab passierten sie sich in dem engen Fahrwasser – er sah ins Cockpit hinunter:
„Wo geht’s hin?“
„Helgoland!“ schallte es von dort zurück. Der Skipper legte beide Hände als Schalltrichter an den Mund, wobei sein Vollbart im Wege war:
“Bei dem Wind…“
Der Rest war nicht mehr zu verstehen, das Boot zog vorbei und zeigte das Heck.
Rasch, in einem spontanen Entschluss knipste Petersen den Lautsprecher zum Achterdeck ein. Blechern verzerrt, aber deutlich schallte seine Stimme übers Wasser dem schwindenden Boot hinterher:
„Dann bis heute Abend… wir liegen auch dort!“
Er sah auf dem Kamerabildschirm, wie der Mann am Ruder die Hand hob und jetzt rasch die Schot dichter nahm, als er dem Bogen des Fahrwassers bei der Barre folgen musste. Schnell kam das Boot außer Sicht.
„Helgoland?“
Der junge Steuermann am Ruder schaute fragend, überrascht – und auch ein bisschen neugierig, während er den Drehknopf der Steuerautomatik nachregelte, um das Schiff bei der Tiefenmessung möglichst genau auf dem track zu halten.
Petersen erklärte wie nebenbei, als stünde sein Entschluss lange fest:
„Können wir genau so gut liegen zur Nacht. Wir sind hier gleich fertig und haben dann noch genug Wasser, um zur Blauen Balje zu verholen und die äußeren Profile zu fahren, ehe die Tide zu weit weg fällt. Dann müssten wir ohnehin außen zurück – gegen den Strom, und uns über die Barre in den Hafen tasten… und dann in dem Schlickloch morgen früh noch drei Stunden warten, bis genug Wasser da ist und wir wieder ’raus kommen.“
Er warf seinem Steuermann einen Blick zu:
„Da können wir genauso gut die knapp zwei Stunden Fahrt nach Helgoland machen – schön mit dem Ebbstrom. Dort liegen wir gut und laufen morgen eine Stunde früher mit der Flut wieder ’runter, so dass wir rechtzeitig hier sind… können weitermachen und den Plan fertig kriegen.“
Der kantige, rot in der Sonne leuchtende Klinkerbau des Westturms der Insel kam jetzt nah heran, sie näherten sich der steinernen Buhne. Er wandte sich um, durchmaß die Brücke mit ein paar Schritten nach achtern und hieb auf die Tastatur des Messcomputers:
„Ist doch mal ein bisschen Abwechslung, auch für euch!“
Das rhythmische Klickern des Echographen, das wie ein Metronom in ihrem Rücken ertönt war, verstummte – wurde ersetzt durch das leise Summen des vorwandernden Lotstreifens. Sie mussten wenden, die Wassertiefe nahm hier rasch ab.
Der junge Nautiker am Fahrstand griff zu den Maschinentelegrafen und nahm Fahrt heraus – ging auf Handruder, um das Schiff in einer engen 180-Grad-Kurve genau auf die letzte noch zu messende Linie zu führen, die auf dem Bildschirm in Rot vor ihm lag.
Er hatte eine ganz spezielle Art, mit einem halb entschuldigenden, halb spitzbübisch amüsierten Lächeln wenig angenehme Dinge, die eventuell noch passieren könnten, anzusprechen – als könne er kaum erwarten, dass diese einträten:
„Gab auch schon mal kräftig Ärger damit, im Amt… da hinzufahren, meine ich – ganz früher mal. Hab ich aber auch nur gehört. Haben wohl einige Kollegen gute Geschäfte mit zollfreiem Schnaps und Zigaretten gemacht. Seitdem soll jede Fahrt dahin angemeldet werden und muss genehmigt…“
Petersen lachte humorlos auf.
„Das lasst man meine Sorge sein! Nehm’ ich auf meine Kappe. Bestimmen immer noch wir, wo übernachtet wird! Wenn wir hier selbstständig arbeiten sollen die Woche über, im Außendienst…“
Er warf einen Blick auf die beiden dicht an der offenen Brückentür ohne einen Flügelschlag segelnden Heringsmöwen:
„Demnächst soll ich wohl noch ’n Antrag stellen, wenn wir die Leinen loswerfen lassen… ich muss hier nicht unbedingt arbeiten, bei diesem Verein.“
Er biss sich auf die Lippen und schüttelte ärgerlich den Kopf. Eigentlich aber mehr über den letzten halb unfreiwillig herausgerutschten Satz als über irgendwelche gängelnden Vorschriften.
Er musste sich mehr vorsehen – die neue Lebenssituation, die veränderten Zukunftsaussichten ließen ihn leichtfertig werden.
„Navigatorisch ist das jedenfalls der logische Weg, und mehr Treibstoff wird auch nicht verbraucht. Das kommt alles genauestens ins Logbuch. Zollfreien Schnaps und Zigaretten könnt ihr natürlich kaufen – aber eben nicht mehr, als pro Person erlaubt.“
Er ging zum Echolot und ließ die Messung wieder anlaufen, der rote Strich des track auf dem Bildschirm wechselte seine Farbe und wurde giftgrün. Der Steuermann korrigierte den Kurs und horchte den Worten des Kapitäns nach, wie befremdet… ließ aber nur ein maliziöses Kichern folgen und warf klackend den Schalter der Selbststeuerung herum. Das Schiff war wieder auf Westkurs, das flache Ostende Spiekeroogs vor dem Bug:
„Nicht…? Na dann… kann ich ja endlich mal wieder ’ne Runde ums Oberland joggen…“
*
Die kernige Seglergestalt im gestreiften Fischerhemd, die sich die Eisenleiter am Kai herunter tastete, um das Deck der NORDEROOG zu betreten, mochte auf die siebzig zugehen. Der Vollbart graumeliert, lang und das Haar hinten zu einem nachlässigen Pferdeschwanz gebunden. Der sehnige, braungebrannte Mann stieg die letzten grün veralgten Stufen herunter; unten stand Petersen schon und hob die Relingspforte aus der Halterung, um den Zugang frei zu machen.
„Bitte an Bord kommen zu dürfen… ! Moin, Achim – lange nicht gesehen…“
Er hieb klatschend in die ausgestreckte Hand.
„Schöner kann man nicht herkommen – mit so ’ner Backstagenbrise! Knapp 3 Stunden hab’ ich gebraucht. Happy hour… und kaum Querverkehr in der Elbe.“
Segeln war Hannes’ Leidenschaft, seit Jahrzehnten. Auch wenn es schon die dritte „Röde Orm“ war, die jetzt drüben im Päckchen lag. Das jungenhafte Grinsen über diesen schönen Schlag war ansteckend.
„Wo geht’s lang? Ich war ja noch nie hier an Bord… das ist ja ein richtiges Schiff, ist das…“
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