Und er wollte ja nicht mit ihrem neuen Schiff die Nähe und angesagten Heimathäfen der Megajachten und Börsengewinnler suchen. Sondern das Meer, die Ozeane, die Hafenstädte waren das natürliche Umfeld, wo er sein Leben verbracht hatte – auch beruflich. -
*
Der graubärtige Skipper warf jetzt durch die Fenster einen Blick auf seine ‚Röde Orm III’, an der gerade ein Motorboot mit zwei riesigen Außenbordern längsseits ging und dort bindfadendünne Leinen festbändselte.
Dann zog er umständlich die Pfeife und den ledernen Tabaksbeutel heraus, während der Schaum auf seinem Bierglas zusammensank:
„Darf man hier rauchen?“
„Hier raucht eigentlich keiner, von uns. Aber ich mach die andere Nocktür auf – dann zieht das so raus.“
Hannes stieß dicke Qualmwolken aus und warf ihm durch den blauen Dunst einen forschenden Blick zu. Scheinbar beiläufig stieß er hervor, die Pfeife zwischen den Zähnen:
„So – und ihr seid jetzt ohne euer Boot, hab ich gehört… nach so langer Zeit. Auch nicht schön… wie lange hattet ihr das jetzt? Zwanzig Jahre?“
Petersen nickte, nahm durch den Schaum einen Schluck aus dem Glas und wischte sich über den Mund:
„Ja, so ungefähr. Aber es ist in guten Händen gelandet – werftmäßig restauriert und soll dann weiter auf großen trail gehen. Ist im Moment in Portugal – da haben die neuen Eigner ein Häuschen und machen noch Restarbeiten, ehe sie los wollen. Über die Kapverden, Antillen und weiter in den Pazifik. Da könnte man fast neidisch werden. Fast. Na ja, mal sehen…“
Er ließ eine kleine Kunstpause folgen. Aber Hannes wusste, wie man Petersen Neuigkeiten aus der Nase zog.
„Soso – und jetzt willst du ein Wohnmobil anschaffen. Ist ja nicht viel, was man für so alte Schätzchen noch kriegt – so schön und kernig sie auch war! Vor allem, wenn sie dann erst aufwendig restauriert werden müssen…“
Er grinste harmlos und sein Rauschebart verschwand wieder halbwegs hinter blaugrauen Schwaden.
Aber nun war Petersen endlich am Zug.
„Wohnmobil…!? Neues Schiff kommt jetzt!“
Er schüttelte belustigt den Kopf, tat geheimnisvoll und freute sich in Wirklichkeit auf weitere Fragen.
„Wieder so eins, in der Größe? Angeboten wird ja einiges… aber auch viel Schrott.“
Petersen stellte behaglich sein Bierglas ab und bequemte sich, mit Einzelheiten herauszurücken. Es war ihm, als skizziere er dabei einen Kurs… über den er sich noch gar nicht so sehr im Klaren war. Ganz zu schweigen davon, was dann noch alles so zu regeln war in seiner Familie. Und in seinem Job.
„Mal schauen… vielleicht ein bisschen größer. Aber ich will kein Stahlschiff mehr. Was Pflegeleichteres – aber wertbeständig. Was man immer ohne viel Verlust wieder verkaufen kann, wenn mal was ist. Auch noch nach Jahren… eine noch nicht so alte, vielleicht auch neue GFK-Konstruktion. Wahrscheinlich was Skandinavisches. Kann einen oder zwei Masten haben… zwölf bis vierzehn Meter. Muss große und kleine Rollfock, Rollgroßsegel, Selbststeueranlage, Radar und vielleicht Bugstrahler haben. Ocean going… aber sonst möglichst wenig Technik – nicht alles hydraulisch, die Winden und so. Selbstholend reicht. Vielleicht noch eine schöne elektrische Ankerwinsch.“
Hannes schwieg und machte große Augen. Er paffte so angestrengt, dass man ein leichtes Schmurgeln aus dem Pfeifenkopf hörte, als Petersen fast andächtig innehielt und sich diesen Traum von einer Fahrtenjacht vor Augen führte. Und das unvorstellbarste war, dass sie jetzt die finanziellen Mittel hatten, sich genau dieses Schiff anzuschaffen. Kein Jahr, nachdem sie ihre geliebte, treue „Jan van Gent“ zu einem lächerlich niedrigen Preis verkaufen mussten, weil sie zu alt geworden war. Das war schon was.
Eine Weile sagte keiner etwas. Von unten aus dem Wohnbereich und der Kombüse drangen verhaltene Geräusche herauf – leises Klirren von Geschirr, das jemand aus der Spülmaschine räumte, Türenklappen und gedämpfte Stimmen aus der Mannschaftsmesse, wo der Fernseher lief.
„Da musst du ja einiges investieren. Vierzehn Meter – Mann… ich dachte immer, ihr wolltet euch irgendwann verkleinern…! Sagtest du nicht mal so was, als wir letztens bei euch waren? Ich meine, so lange hast du ja auch nicht mehr, bis deine Rente anfängt. Und eure Kinder sind ja noch nicht aus dem Gröbsten ’raus – hat Lisa nicht grade mit dem Studium angefangen? Das kostet ja alles…“
Sie wurden unterbrochen, weil jemand die Treppe heraufkam.
Der vierschrötige Bootsführer des Tochterbootes blieb auf den oberen Stufen stehen, stützte die Arme lässig auf das Geländer und musterte den Fremden auf der Sitzbank neugierig. Dann nickte er ihm einen kurzen Gruß zu und wandte sich an Petersen:
„Will nicht lange stören… wir wollten noch mal eben los zum Schiffsausrüster. Der bleibt extra länger für uns. Also – eine Stange Zigaretten und eine Flasche Schnaps pro Person sind erlaubt?“
Petersen nickte zustimmend.
„Meine Stange und die Flasche kann einer von euch nehmen. Könnt ihr nachher erst mal in meine Kabine bringen und dort pro forma auf den Tisch stellen. Ich brauche nichts.“
Der bullige Mittdreissiger tippte dankend an seine Stirn unter dem militärisch kurzen Haarschnitt, als sei dort ein Mützenschirm und drehte sich im Abgehen auf der Treppe noch einmal um:
„Wir wollten uns nachher einen Film ankucken unten in der Messe… oder will jemand was anderes…?“
Petersen winkte zustimmend.
„Macht mal. Ich gehe nachher vielleicht noch mit meinem Bekannten kurz an Land oder auf sein Boot – bin ohnehin nicht da.“
Als sie allein waren, nahm Hannes den Faden wieder auf :
„Na ja, wenn man nachher so ’ne Pension hat wie du – als Beamter beim Staat! Da gibt’s ja keine Abzüge, hab’ ich gehört.“
Petersen lachte gutgelaunt auf und korrigierte das schiefe Bild, das sein Gegenüber offenbar hatte.
„Ich und Beamter! Kannst du dir das vorstellen, Mann? Bin ich natürlich n i c h t – da hätte ich als Zwanzigjähriger hier bei der Behörde anfangen müssen! Nein, ich bin immer noch der Neue hier. Auch nach fünfzehn Jahren… außerdem kein richtiger Ostfriese, das ist auch nicht ganz unwichtig. War ja schon Mitte vierzig, als ich hier anfing. Kleiner Angestellter im Öffentlichen Dienst, mehr ist nicht als Quereinsteiger – gläsernes Gehalt! Kann jeder nachschauen – kein Geheimnis, der Tarif. Entgeltgruppe 10, Stufe fünf. Jeder VW- oder Mercedesarbeiter in Emden oder Stuttgart verdient mehr im Schichtbetrieb. Ich bin hier nur so ’ne Art Vorhandwerker – beim Amt gibt’s ja für alles diese Dienstbezeichnungen! Nicht umsonst heißen die Schipper hier auf den Behördenfahrzeugen nur ‚Schiffsführer’ wie auf ’nem Binnenkahn. Kapitäne beim Staat nennen sich ‚Seeoberkapitän’ oder ‚Seehauptkapitän’ und sitzen im Büro an Land, oder in der Revierzentrale – d a s sind Beamte! Kannte ich auch alles nicht, diesen Zirkus…“
Hannes legte die ausgerauchte Pfeife neben sich auf den Schreibtisch.
„… na, nun übertreib man nicht. ‚Seehauptkapitän’… – so was gibt’s?“
Er schüttelte grinsend den Kopf, kam aber schnell wieder zur Sache:
„Aber ’ne neue 14-Meter-Jacht, Achim – das weiß ja nun jeder, was die so ungefähr kostet! Und ’n Häuschen habt ihr ja auch noch. Hört sich an, als… hast du im Lotto gewonnen, oder was…?“
Petersen, bestens gelaunt, nahm erst mal einen Schluck Bier und schenkte vorsichtig den Rest der Flasche ins Glas, bis die Blume schön bis über den Rand hoch wuchs – mitten in den knisternden Schaum hinein ließ er die letzten Tropfen fallen:
„Noch nicht so alt, hab’ ich gesagt. Und das Häuschen ist bald bezahlt. Aber da liegst du gar nicht mal so verkehrt. Lotto hab’ ich noch nie gespielt, keiner von uns. Aber ich hatte noch ’ne größere Zahlung zu kriegen… hatte ich gar nicht so mit gerechnet. Entfernte Verwandtschaft, der ich mal geholfen hab’. Ganz früher…“
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