Petersen verstand nicht alle Zusammenhänge. Die kritischen Fragen der Grünen wurden häufig mit Beifall bedacht, obwohl die anderen Parteien immer wieder darauf verwiesen, dass auch die Grünen dem Bau der Eigentumswohnungen zugestimmt hätten. Für Petersen auffällig war die grüne Ratsfrau mit Namen Brigitte Dunker. Sie fiel durch ihre scharfe Rhetorik auf und war offensichtlich in dieser Hinsicht den anderen Mitgliedern des Rats deutlich überlegen. Petersen schätzte sie auf Ende 50. Sie war schlank, machte einen sportlichen Eindruck. Ihre Haare waren augenscheinlich silbergrau gefärbt, dies verlieh ihr eine gewisse Eleganz. Das Gesicht empfand Petersen als maskenhaft. Man konnte nicht erkennen, was in dieser Frau vorging. Irgendetwas erinnerte ihn an diese Frau, er wusste nur nicht was.
Im Tagesordnungspunkt 2 wurden die Polizeikontrollen in der Fußgängerzone der Insel angesprochen. Unverholt stand der Vorwurf im Raum, die Polizei täte hier zu wenig. Nun kam Onnos Auftritt. Er verwies auf die mangelnde personelle Ausstattung der Polizei auf der Insel, versprach aber für die kommende Saison die Kontrollen zu verstärken. Genüsslich wies er dann noch darauf hin, dass die Verwaltung in den letzten Weihnachtsferien versäumt habe, die Fahrrad-verbotsschilder anzubringen. Der Bürgermeister reagierte verärgert und kündigte an, dies zu überprüfen. Die anderen Ratsmitglieder unterstützten Onnos Beobachtung. Nach allerlei Kleinkram war die Sitzung gegen 21:30Uhr beendet. Es bildeten sich noch einige Gesprächstrauben. Petersen stand sehr verloren im Raum, bis ihn ein bärtiger Mann mittleren Alters ansprach:
„Mein Name ist Sönke Meiners, ich bin hier Lehrer an der Schule und leite den Shantychor „die Knurrhähne." Ich habe gehört, dass Sie sehr gut Gitarre spielen können. Kann ich Sie gewinnen, mal bei einer Probe vorbeizuschauen?“
Petersen stutzte, die Sache mit seinem Gitarre spielen schien sich tatsächlich wie ein Lauffeuer verbreitet zu haben.
„Erst mal, ich bin Lars, Shanties sind nicht unbedingt mein Ding, aber Lust auf Musik hätte ich schon.“
„Gut Lars, ich sehe das ähnlich. Aber auf so ´ner Insel muss man irgendetwas auf die Beine stellen, sonst dreht man hier durch. Wenn du einverstanden bist, Mittwoch in der Inselschule 20 Uhr, bring nur deine Gitarre mit. Alles andere ist vorhanden. Ich freu mich!“
„Okay, ich komme“, antwortete Petersen, der nicht bemerkt hatte, dass Onno schon hinter ihm stand:
„Geht doch! Die suchen den Kontakt zu dir. So jetzt komm, ich hab von dem vielen Sabbeln eine trockene Kehle.“
Gemeinsam verließen sie den Versammlungsort und gingen langsam die Zedeliusstraße hinunter. Kurz bevor sie beim „Störtebeker“ angekommen waren, stieß Onno Petersen an:
„Jetzt verarschen wir den Magister!“ Er riss die Kneipentür auf und brüllte:
„Razzia, keiner bewegt sich von der Stelle!“
Die Kneipengäste blickten erschrocken auf, nur die Thekenbesatzung, die gerade knobelte, reagierte gelassen.
Mit tiefer Stimme konterte der Magister: „Mit deinem Insel-SEK kannst du hier niemanden erschrecken. Was wollt ihr trinken?“
„Na ja, ein kleines Bier dürfen wir ja wohl, auch wenn wir Uniform an haben?“
Onno lief zur Hochform auf: „Mein neuer Kollege hat mich neulich gefragt, ob es auf Wangerooge einen Puff gibt? Magister, was sagst du dazu. Jetzt muss der Klassiker kommen."
Der Magister reagierte sofort: „'nen Puff brauchen wir hier nicht. Du musst nur klingeln.“
Grölendes Gelächter in der gesamten Kneipe, am lautesten lachte der Magister selbst. Petersen erinnerte sich an seine Zeit mit dem Magister in Bremen, auch dort konnte er über seine eigenen Witze am lautesten lachen.
Nach einer halben Stunde unterbrach der Magister alle Unterhaltungen:
„Männer, der Magister hat jetzt Pause!“ Er holte aus seinem Thekenschrank ein riesiges Schild, auf dem „Pause“ stand, hängte es sich um den Hals und zündete sich eine Zigarette an.
Diesen Gag kannte Petersen noch nicht. Nach drei Bieren zahlten Onno und Petersen. Beide hätten gerne noch weiter getrunken, aber in voller Uniform war das ein Risiko. Auf dem Nachhauseweg murmelte Onno:
“Ich wär‘ noch gern geblieben. Aber du weißt nie, wer dich dann anscheißt. Du wirst einfach angreifbar, wenn du in Uniform säufst.“ Sie verabschiedeten sich und Petersen ging in seine Polizeistation.
Am nächsten Morgen erledigten sie auf der Wache bürokratische Dinge. Petersen bemerkte aber die zurückhaltende Art Onnos:
„Hast du was?“
„Na ja, es wird dir nicht gefallen, aber Freitag ist erst mal mein letzter Arbeitstag“, druckste Onno herum.
Petersen spürte ein Grummeln in seiner Magengrube: „Das ist ja denn schon früher als erwartet.“
„Ja, ist mir auch unangenehm, aber ich kann doch schon früher in die Kur, umso eher bin ich wieder da. Übrigens Wilhelmshaven schickt den Polizeianwärter schon nächstes Wochenende, am Sonntag mit dem Abendschiff.“
Petersen war die gute Laune vergangen. Kaum hatte er zu Onno Vertrauen gefunden, wurden sie wieder getrennt. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte war ihm Vertrauen sehr wichtig und nun stand er wieder allein da. Das Telefon klingelte. Ein benachbartes Hotel hatte Schwierigkeiten mit einem ehemaligen Angestellten, der lautstark in der Lobby des Hotels randalierte.
„Ich mach das“, mit diesen Worten verließ Onno die Wache. Ihn schien die etwas angespannte Stimmung zu nerven, deshalb nahm er den Einsatz sofort an. Erneut klingelte das Telefon. Diesmal war der Magister dran:
„Kannst du mal eben kommen, die wollten bei mir einbrechen!“
„Bin schon unterwegs."
Petersen nahm den Spurensicherungskoffer aus dem Schrank und ging die paar Schritte zum „Störtebeker." Vor der Eingangstür stand auch schon der Magister und zeigte ihm die Einbruchsspuren an der Eingangstür. Jemand hatte versucht die Tür aufzuhebeln, was ihm aber nicht gelungen war. Offensichtlich wurde er gestört oder die Tür war zu robust. Petersen fotografierte den Schaden und suchte nach Fingerabdrücken. Spuren waren aber nicht zu finden. Der Magister unterbrach plötzlich Petersen bei der Arbeit:
„Vielen Dank Sheriff, dass du nichts gesagt hast, du weißt schon,.... dass wir uns aus Bremen kennen und so. Das geht niemanden etwas an oder?“ Er blickte sein Gegenüber zweifelnd an.
„Sehe ich genauso“, kam von Petersen zurück.
„Du musst mir mal in einer ruhigen Minute erzählen, was in Bremen abgegangen ist und warum du hier bist. Ich habe das nur am Rande mitgekriegt, dass gegen dich ermittelt wurde“, fuhr der Magister fort.
„Sei froh, dass du nicht mehr in Bremen warst, sonst hätten sie dich auch noch als Zeugen vorgeladen“, unterbrach Petersen den Magister.
„Aber ich hätte nie gegen dich ausgesagt“, versicherte der Magister.
„Lass es gut sein, die Wunden sind noch nicht verheilt.“ Der Magister spürte Petersens Unwillen, weiter über die Sache sprechen zu wollen.
Petersen nahm noch die Anzeige auf, gab dem Magister die Tagebuchnummer und ging wieder zurück zur Wache. Dort saß bereits Onno mit dem Randalierer vom Hotel und schrieb Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, Beleidigung und Sachbeschädigung.
„Du gehst heute Abend zum Shantychor habe ich gehört?“ fragte Onno plötzlich Petersen.
„Woher weißt du das denn schon wieder?“ tat Petersen erstaunt.
„Du weißt doch, auf der Insel bleibt nichts geheim. Ich find das übrigens gut, dass du hingehst, auch wenn das nicht unbedingt deine Musik ist. Da sind wichtige und nette Leute".
„Ich weiß bloß nicht, was die in einem Shantychor mit einem Gitarristen wollen, da ist doch Schifferklavier angesagt."
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