„Den kannst du haben“, antwortete Onno und holte die Flasche Strothmann aus der Küche. Beide stießen mit den kleinen Gläsern an, aber irgendwie war jetzt die Gesprächsbereitschaft abhandengekommen. Onno fühlte sich sichtlich unwohl, weil er Petersen augenscheinlich die Laune verdorben hatte.
„Lars, die Sache mit dem Graffiti hat sich auf der Insel wie ein Lauffeuer rumgesprochen. Das wir hier mal was aufklären, kommt nicht so oft vor. Die Leute sind ganz angetan von dir. Der Musiklehrer der Inselschule, der einen Shantychor leitet, hat mich auch schon angesprochen, ob er dich mal wegen deiner Gitarrensache ansprechen darf. Du hast einen guten Start hingelegt."
„Danke, ich fühl mich ja auch ganz wohl, aber ob das noch ohne dich so sein wird, weiß ich nicht."
„Quatsch, du wirst hier auch noch andere nette Leute kennen lernen. So, nun Schluss mit dieser Miesepeterstimmung."
Er stand auf und holte aus seiner Wohnzimmerschrankwand die Mappe mit den Zeitungsausschnitten, die Petersen ihm gegeben hatte und legte sie auf den Tisch. Frieda brachte noch zwei Flaschen Jever.
„Danke für das Bier, aber nun lass uns mal allein“, knurrte Onno Frieda an. Mit einem „is‘ ja schon gut“ verzog sie sich wieder.
„Wenn ich das hier alles richtig verstanden habe, hast du in Bremen ein sehr erfolgreiches Drogenfahnderteam geleitet. Ihr habt große Erfolge gehabt. Und nun wurde euch oder insbesondere dir vorgeworfen, dass ihr Dealern, die euch ‚nen Tipp gegeben haben, mit beschlagnahmten Stoff belohnt habt. Richtig?“ schloss Onno erst einmal seine Zusammenfassung ab.
„Das ist richtig und das bestreite ich auch nicht, aber nur so ist Drogenfahndung möglich, um an die Hintermänner ranzu-kommen. Wir standen damals unter enormem politischen Druck. Im Ostertor– und Steintorviertel, das ist in Bremen das Szeneviertel, wurden wir regelrecht vorgeführt."
„Kenn ich Lars, ich sag nur Helenenstraße“, lachte Onno.
„Ja, richtig, aber um den Puff ging‘s nicht“, unterbrach ihn Petersen grinsend. „An der berüchtigten Siewallkreuzung und an anderen Stellen hatte sich eine offene Drogenszene entwickelt und die Politik verlangte von der Polizeiführung, die Sache zu unterbinden. Es wurde mit schnellen Beförderungen gelockt und unter der Hand wurde auch eine Zusammenarbeit mit Kleindealern nicht ausgeschlossen und das haben wir eben dann auch gemacht."
„Wenn ich mal als kleiner Dorfpolizist was dazu sagen darf, aber anders geht das doch auch nicht oder?“ unterbrach Onno Petersen.
„Natürlich nicht“, fuhr Petersen fort, „durch reines Observieren und Razzien läuft gar nichts und wenn du mal jemanden hast, lassen die Richter ihn sofort laufen. Kleindealer, die mit uns zusammenarbeiten, hab’n dann auch was von uns gekriegt, aber nur kleine Mengen, und nur Hasch, kein Koks und kein Heroin. Irgendwann sind wir dann verpfiffen worden. Ich denke von Kollegen, die neidisch auf uns waren, die haben natürlich einige Kleindealer weichgekocht und die haben dann im Prozess gegen uns ausgesagt."
„Und die Polizeiführung, wie hat die sich verhalten?“ hakte Onno nach.
„Einige haben durchaus versucht, die internen Ermittlungen gegen uns runterzufahren, aber das ging dann nicht mehr, als bekannt wurde, dass ich bei diesem Brechmitteleinsatz mit dem toten Afrikaner dabei war. Wir hatten einen Nigerianer festgenommen, der direkt bei der Festnahme mehrere Drogenbeutel verschluckt hatte. Die damals geltende Anweisung lautete, Brechmittel zuführen, um den Drogenbesitz nachweisen zu können. Heute steht keiner mehr zu der Anweisung."
„Davon haben sie auch hier in der Nordwest-Zeitung berichtet."
„Ja, das war natürlich auch 'ne heftige Sache. Aber es gab die Anweisung von Oben, das zu machen. Damals, als der Mann starb, wollte es keiner gewesen sein. Die Szenen mit dem Afrikaner verfolgen mich noch heute. Ich hatte da überhaupt keine aktive Rolle und musste als ermittelnder Beamter nur zuschauen, ein Albtraum. Man sucht die Schuldigen dann ja immer bei den kleinen Beamten." Petersen war jetzt sichtlich erregt. „In diesem Fall hat es den Polizeiarzt getroffen, obwohl der erst einmal freigesprochen wurde. Jetzt soll es ein Wiederaufnahmeverfahren geben. Das hat das Bundesgericht verfügt. Die politische Stimmung ist dann gekippt. Die Politik hat sich aus dem Staub gemacht. Man hat sogar versucht, mir Drogenbesitz, Drogenkonsum und persönliche Bereicherung vorzuwerfen."
„Das kann doch nicht wahr sein“, mischte sich Onno wieder ein, der spürte wie erregt und verbittert Petersen immer noch war. Er holte die Kornflasche und zwei neue Buddel Jever.
„Lass uns mal eben einen trinken. Ich kann deine Verbitterung verstehen“, versuchte er Petersen vergeblich zu beruhigen.
„Was nachher wirklich überblieb, war die Sache mit den Dealern als Tippgebern. Alles andere mussten sie fallen lassen. Im Richterspruch wurde ausdrücklich die Polizeiführung kritisiert. Rausgekommen ist ja dann nur eine kleine Geldstrafe“, sprudelte es aus Petersen raus.
Onno unterbrach ihn: „Und deshalb haben die dich hierher abgeschoben. Ich verstehe."
„Na ja, was meinst du was in unserer Abteilung los war. Da ging ein richtiger Riss durch die Kollegen. Und ich wollte dann auch nicht mehr. Ich hatte die Schnauze voll! Hinzu kam dann noch, dass meine Frau sich von mir getrennt hatte. Du weißt ja, Lehrerin hoch moralisch und ich musste mir ständig Vorträge über moralisch anständiges Verhalten anhören. Wenn das denn auch noch kommt, bist du platt."
„Das wusste ich ja nicht, aber ich glaube, dass das ganz gut ist, dass du jetzt auf der Insel bist. Das tut dir gut.“
Onno griff erneut zu den Getränken.
Langsam beruhigte Petersen sich wieder:
„Das tat gut, Onno, danke."
Sie tauschten noch für den Rest des Abends Belanglosigkeiten aus. Petersen verließ das Haus Siebelts mit einiger Schieflage. Zum Einschlafen musste wieder ACDC herhalten Highway to Hell.......
Der nächste Vormittag verging ohne besondere Vorkommnisse. Onno erinnerte Petersen noch einmal an die Gemeinderatssitzung am Abend.
„Wir kommen in Uniform, das macht ‘nen besseren Eindruck“, instruierte Onno Petersen, der sichtlich Schwierigkeiten hatte, sich zu konzentrieren. Die Folgen des gestrigen Bierabends machten ihm zu schaffen und er wunderte sich, dass Onno so fit war.
Am Abend machten sich beide Beamte auf den Weg zum Restaurant „Strandlust“ an der Promenade. Hier sollte die Sitzung stattfinden. Unterwegs trafen sie einige Insulaner, die auch auf dem Weg zur Sitzung waren und die beiden Polizisten freundlich grüßten. Der Sitzungsraum war eine Art Clubraum. Vorne hatte man in U-Form die Sitzordnung des Gemeinderates festgelegt. Auf den Tischen standen Namensschilder mit dem Hinweis auf die Parteizugehörigkeit. Ab der Mitte des Raumes waren Stuhlreihen für die Besucher aufgestellt. Der Saal war schon recht gut gefüllt, als Onno und Petersen eintraten. Onno schüttelte viele Hände und stellte Petersen einigen Leuten vor u.a. dem Chef der freiwilligen Feuerwehr und einem der Inselärzte. Sie nahmen beide in der ersten Besucherreihe Platz und warteten auf den Sitzungsbeginn. Nachdem die Mitglieder des Gemeinderates Platz genommen hatten, begann die Sitzung. Im Tagesordnung Punkt 1 ging es um die Bebauung des Grundstückes an der Promenade. Von diesem Streitpunkt hatte Onno Petersen erzählt. Die beiden Grünen Ratsmitglieder versuchten den Bürgermeister mit Fragen in die Enge zu treiben, ob die Sache mit dem versprochenen Hotelbau nur eine Täuschung gewesen sei, um die Eigentumswohnungen durchzusetzen und ob es einen Zusammenhang zwischen dem Wunsch nach Ausbau des Golfplatzes und Zusagen an den Investor der Appartementanlage gäbe.
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