Da diese Versuche erfolglos blieben, ergriff er verschiedene Berufe, immer mit der Absicht daran zu sterben. Unter anderem arbeitete er als Bodyguard, weil er hoffte wenigstens erschossen zu werden. Die Liste an Ärzten, die er deswegen aufsuchte, würden ein eigenes Buch füllen. Erst im Jahr 2019 wurde es langsam besser und er konnte die junge Dame vergessen, aber sein Schicksal hatte eine weitere Überraschung parat. Er verliebte sich in eine andere Frau, der er auf drängen, seine Gefühle auch gestanden hat. (Unter anderen hatte auch ich meine Finger im Spiel) leider war diese Frau bereits in einer Beziehung und hat im weiteren Verlauf dafür gesorgt das er neben seinem Job auch jeglichen Kontakt zu ihr unterlassen musste. Er ist daran furchtbar zerbrochen und saß aufgrund eines erneuten Suizidversuchs lange Zeit in der Psychiatrie. Seitdem ist aus dem quirligen Jungen von damals ein psychisches Wrack entstanden, dass keinerlei Lebensmut oder Wille mehr aufbringt.
Doch genug davon. Dieses Buch soll meinen Weg durch mein Leben bis heute zeigen. Es hat sich für mich zum besten gewendet, aber ich kenne leider auch die Kehrseite, denn in meinem Bekanntenkreis finden sich viele Homosexuelle, die bis heute nicht so viel Glück haben.
Da stand ich nun also in meinem neuen Leben. Diese kleine Insel sollte also meine neue Heimat sein. Irgendwie hatte ich sie mir deutlich anders vorgestellt. Was ich sah, war eigentlich nicht groß anders als in meiner alten Heimat, dem Ruhrpott. Gut, das Wetter war deutlich besser hier. Es war Anfang November, und als ich in Deutschland gestartet bin, zeigte das Thermometer frostige 8 Grad unter null. In Bochum, wo ich geboren und aufgewachsen war, lag noch Schnee. Hier stand ich nun vor dem Flughafen und vor meinen Augen drehte sich alles. Als ich aus dem verglasten Flughafengebäude in die Freiheit trat, umfing mich sofort eine unglaubliche Hitze.
Drinnen war die Temperatur noch angenehm und auch mein Kreislauf machte nicht die kleinsten Probleme. Die Tür nach draußen war für mich wie der Schritt in ein neues Leben und sofort zeigten sich die ersten Veränderungen. Mir wurde schwarz vor Augen und ich stand plötzlich nicht mehr ganz so sicher auf meinen kurzen Beinen. War mein Nikotinspiegel dafür verantwortlich? In meiner Handtasche suchte ich nach einer Zigarette und meinem Feuerzeug. Das hatte man mir zum Glück bei der Sicherheitskontrolle bevor ich in das Flugzeug geklettert war gelassen. Schon der erste Zug löste einen langen nicht mehr erlebten Hustenreiz aus. Anstatt das es mir besser ging, wurde es noch deutlich schlechter. Neben mir stand vor einem Blumenkübel eine Holzbank. Ich musste mich dringend setzen, bevor ich gleich an meinem ersten Tag hier umkippte. Die Holzstreben der Bank waren von der Sonneneinstrahlung deutlich zu warm. Das meldeten auch meine Hinterbacken durch die Jeans, die ich für den Flug angezogen hatte.
Aufstehen klappte trotzdem nicht mehr. Mir war schwindelig und konnte mich auf absolut nichts konzentrieren. Mein großer Koffer neben mir stand noch in der prallen Sonne. Ich brauchte ein paar Minuten, bis ich wieder halbwegs normal aus den Augen sehen konnte. Erst dann erschloss sich mir, wo ich eigentlich gelandet war. In Deutschland, die Heimat, die ich hinter mir lassen wollte, war es schon Winter und eiskalt. Hier saß ich in meinen langen Jeans und dem dicken Pullover auf einer Holzbank vor dem Flughafen. Es sah nicht wirklich großartig anders aus als noch in Bochum. Nur die wehenden grünen Palmen und die farbigen Blumen passten überhaupt nicht ins Bild. Ich musste den Pullover ausziehen, denn der Schweiß lief mir schon in strömen übers Gesicht.
Das ist also die Karibik. Meine neue Heimat. Fühlte sich noch nicht danach an. Aber wie kommt eine junge Frau, mit ihren gerade mal 26 Jahren dazu sich ein neues Leben auf einer kleinen Insel in der Karibik aufzubauen. Die Antwort lag in meiner Vergangenheit begründet. Als ich am 10. März 1967 das Licht der Welt erblickte, hatte ich eine schöne Kindheit vor mir. Meine Mutter war schon lange vor meiner Geburt von meinem Vater alleine gelassen worden. Er brachte sein Geld mit Prostituierten und Alkohol durch. Ich habe ihn nie kennengelernt, aber durch die Erzählungen meiner Mutter konnte ich mir dann doch ein ganz gutes Bild machen. Mit ihr verbrachte ich die ersten paar Lebensjahre in einer kleinen Wohnung in Bochum.
Während ich noch nicht mitbekam, was um mich herum passierte, war auch alles in Ordnung. Meine erste Erinnerung setzt ein, als ich zarte drei Jahre alt war. Ich spielte im Sandkasten mit Plastikförmchen, während meine Mutter sich mit den anderen Müttern in der Sonne sitzend unterhielt. Morgens wurde ich dann zu Oma und Opa gebracht und meine Mutter ging zur Arbeit in ein großes Kaufhaus. Danach schob man mich in den Kindergarten ab, wo ich dann bis zum Nachmittag bleiben musste. Mir gefiel das nicht wirklich. Ich durfte zwar spielen, wie ich wollte, aber da waren viel zu viele andere Kinder, mit denen ich nicht unbedingt etwas zu tun haben wollte. Die waren mir viel zu laut und schrien den ganzen Tag nur herum.
Zu Hause durfte ich bei meiner Mutter in der Küche mit Teig matschen oder das frisch duftende Essen umrühren. Sie setze mich dazu neben den Herd auf die Arbeitsplatte, drückte mir einen langen Holzstiel in die kleine Hand und ich durfte dann rühren. Das machte mir sehr viel Freude. Im Hintergrund dudelte ein Radio und meine Mutti schnitt Gemüse, Fleisch oder sonstiges Zeug, während sie mir versuchte, den Text der Lieder durch Mitsingen beizubringen. Singen konnte ich aber nicht. Aber mein Leben war eigentlich schön.
Mit zunehmendem Alter kam dann der Zeitpunkt, an dem ich eine große aus Pappe zusammengeklebte Tüte in die Hand gedrückt bekam und mit den anderen Kids, die ich bereits aus dem Kindergarten kannte, vor ein großes Gebäude gestellt wurde. Man nannte es Einschulung und in der Tüte waren jede Menge Süßigkeiten. Aber das große Gebäude sollte ich nicht sehr lange in guter Erinnerung behalten, da konnten auch die ganzen süßen Sachen in der Tüte nichts daran ändern. Ich musste mich mit anderen Muttis herumschlagen, die mir Buchstaben und weiteren Unsinn zeigten. Wenn es wenigstens beim Zeigen geblieben wäre, aber ich sollte sie auch noch selber auf Papier malen. Dieser ganze Unsinn dauerte ganze vier Jahre und ich durfte kaum noch das machen, was mir Spaß bereitete.
Allerdings fiel anderen Leuten in dieser Zeit noch etwas anderes an mir auf. Dieses kleine Mädchen mit den schwarzen Haaren und den braunen Augen war ganz anders. Während andere Kinder schrien und kreischten, mit hochrotem Kopf auf Möbel und Einrichtungen einschlugen, saß ich immer wie völlig unbeteiligt daneben. Auch hatte man sie nie weinen sehen. Irgendwas stimmte mit dem Mädchen nicht. Als meine Mutter darauf angesprochen wurde, konnte sie sich auch nicht daran erinnern, mich weinend oder schreiend gesehen zu haben. Es kam einfach nie vor.
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