Ein Lengefelder Bürger anderen Namens zog nach und schob vier süße Hündchen hinterher.
Empfänger ebenfalls das Institut in Roßlau.
Roßlau, schon jetzt ein Ort für mich, wo man mit gebrauchten Eheringen handelt, wo man verrußte Herzschrittmacher aus der Krematoriumsasche kratzt, um sie neu aufzubereiten und bedürftigen Einheimischen einzupflanzen.
1 Wäsche
Die volle Vielfalt an Verpackungsmitteln, die in Lengefeld- Rauenstein aufgegeben oder in Empfang genommen wurden, entfaltete sich in der Rubrik Wäsche.
Da stopfte man Koffer, Reisekörbe und Kartons mit Kleidung, Bekleidung, Bekleidungsstücken, Garderobe und Wäsche voll, und wenn das noch nicht reichte und noch Platz war, fügte man ein Paket (!) Kartoffeln hinzu.
Richard B. aus Lengefeld war dieses Ungeheuer, der sich selbst in Bad Doberan multiversorgte.
Garderobe und Kartoffeln- ich fasse es nicht.
Begreifen werden die Jüngeren schwerlich, was in den Köpfen unsereins früher so vorging und warum sich Menschen selbst beschickten.
Kurz erklärt: Urlaubsreisen fanden damals meist mit dem Zug statt und da Familien sich außerstande sahen kiloschwere Kassettenrekorder, Sommermäntel und Klamotten aus derben Stoffen, die zudem jede Menge Platz in den Transportgefäßen beanspruchten, herumzuschleppen und von Bahnsteig zu Bahnsteig zu wuchten, sendete man die benötigten Urlaubsutensilien eine Woche vor Reiseantritt per Bahn an den Urlaubsort, wo sie in der Gepäckaufbewahrung fortan auf ihre Kofferöffner warteten.
Ging auch meist gut, zumindest ist mir keine Familie bekannt, die sich vierzehn Tage Erholung an der Ostsee gönnte und nur die auf dem Leib getragenen Klamotten zur Verfügung hatte.
Sehr fürsorglich in meiner Expressgutkartensammlung zeigte sich Gabriele S. aus Lengefeld, die Herrn Heinrich N. mit einer Lieferung Frischwäsche in Prerow überraschte.
Ebenfalls aus Lengefeld kommend, belieferte sich Gottfried B. selbst nach Rangsdorf und ließ sich nicht lumpen, das Angebot der Bahn zu nutzen und seine Stoffe durch eine Zusatzgebühr mit eintausend Mark zu versichern.
Horst Schulz (Ein Name, den man für gewöhnlich nicht unkenntlich machen braucht, so trivial ist er. Ein Name, wo man sich wünscht, dass er sich durch irgendeine besondere Fähigkeit, von mir aus auch Laster, noch einen Zusatz verdient hat, dass man über ihn am Stammtisch reden kann, ohne zu rätseln, um wen es geht. Horst „das Rangiergenie“ Schulz als Kampfname, vielleicht.) aus Lengefeld/Vorwerk belieferte sich ebenfalls selbst nach Berlin- Hohenschönhausen mit drei Koffern, die ein stattliches Gewicht von 32 Kilogramm aufwiesen und Hohenschönhausen, naja, wahrscheinlich Uniformen und Lametta und das mit dem Namenszusatz muss ich auch noch mal überdenken.
Decknamen und so.
Versöhnlich fahren wir nun mit Dora B. in den Zielbahnhof ein, die einen nur fünf Kilo leichten Karton Kleidung in Leipzig empfing, während Kalle S. einen Koffer Wäsche zu Händen von Waltraud M. nach Taura schippern ließ.
Wie viele Kartoffeln kann man eigentlich ungenervt am Mann tragen, wenn man eine Zugreise unternimmt?
Bei Sitzplatz und Fernreise sind für gewöhnlich die Arschtaschen schon mal blockiert.
Ich habe es bisher genauso wenig probiert wie das Aufbrauchen der gesamten Gratishandgepäcklast mit Kartoffeln im Flugzeug.
1 Leeres
Nicht verblüffte mich die nicht mal als verantwortungs- und umweltbewusst zu bezeichnende Rücksendung von Gefäßen, nachdem die Kübel, Bottiche und Kisten ausgekippt, ausgelesen und ausgeräumt worden waren, denn selbst diese Gefäße waren damals Mangelware und hatten einen derart hohen Stellenwert, dass man sie selbst wie Trophäen und Pokale kreuz und quer hin- und herschickte.
Ob sich in ländlichen Regionen, wie Lengefeld zum Beispiel, Bauern befüllbares Leergut wie Kisten und Kästen zu Weihnachten und zu Ehrentagen schenkten, ist mir nicht bekannt, auch wenn die Vermutung angesichts der folgenden Expressscheinchen nahe liegt.
Eine Kanne leer von Rauenstein nach Freiberg.
Eine Kiste leer von Lengefeld nach Schönborn.
Ein Eimer leer von Lippersdorf nach Rottenbach.
Vier Eimer leer von Lippersdorf nach Rottenbach.
Ein Korb leer von Lengefeld nach Karl- Marx-Stadt.
Eine ominöse Holzkiste von Rauenstein nach Großkugel.
Und ein noch ominöseres ‚Ein unverpackt leer’ von Rauenstein nach Bischheim.
Nach Aue gingen auf einen Ritt: zwei Kanister, ein Glasballon, eine Kiste und eine Flasche.
Allesamt leer.
1 Frisches und Versorgung
Körbe, die man schultert, kennen heute maximal noch paar Dutzend Kohlelieferanten, Wein- und Obstbauern, dabei war der Korb an sich (ausgenommen der in der Jetztzeit noch gebräuchliche Wäschekorb) einst ein gern benutztes Transportmittel.
Den Beweis trete ich gern an, ohne mich vorher schuldig zu machen, irgendwas über jede Menge erhaltene Körbe zu quasseln.
Körbe nach Offerten, ihr wisst schon; Körbe, die je nach Körbchengröße der Absenderin mal mehr und mal weniger wehtaten.
Einhundert Kilo Kartoffeln gingen in zwei Säcken nach Niederwiesa und ein Korb Kirschen nach Simmersdorf, wobei der Kirschenkorb fünf Kilo aufwies und die 228 Kilometer gegen eine Zahlung von einer Mark zwanzig absolvieren durfte.
Eine Stiege nicht näher bestimmtes frisches Obst nach Erfurt.
Nicht näher bestimmt bedeutet nicht, dass es eventuell Südfrüchte gewesen sein können, vielmehr darf man die nähere Bestimmung zwischen Birnen und Äpfeln und höchstens noch Birnen und roten Äpfeln vermuten.
Ein Karton Lebensmittel nach Salzwedel.
Ebenfalls ein Karton, gefüllt mit Obst und Gemüse, ging in die nächstgelegene Großstadt, also die mit dem bärtigen Monolithen im Stadtzentrum.
Noch mal dasselbe, noch mal dasselbe.
In Burgstädt freute man sich unterdessen über einen 35 Kilo schweren Korb frisches Obst von Ella K., Salzwedel erreichte diesmal ein Eimer Obst, vielleicht waren den Lengefeldern kurzfristig die leeren Kartons ausgegangen. Oder der Salzwedeler Empfänger wollte die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten eines Eimers testen.
Nachttopf war so eine und nicht mal selten.
Willy S. in Elstertal/Hundsgrün erhielt einen vollen Korb Obst. Zwei Eimer Kartoffeln erfreuten Armin B. in Freiberg.
Ein Korb frisches Obst gegen Vitaminmangel ging 1988 nach Erfurt.
Im selben Jahr war ich in Karl- Marx- Stadt beim Punkkonzert von Tausend Tonnen Obst.
Die Band reiste nicht mit Güterwaggon an, wenn gleich sich Punkbands damals darum gerissen hätten.
Im Jahr 1993 erschien ihr weitestgehend unbemerktes Album „Die Fruchtlawine rollt“ beim weitestgehend unbekannten Label „Obst- Records“.
1 Lebendiges
Fürderhin zuckelten über die ganzen Jahrzehnte auch die von mir als Zuchterfolgszüge bezeichneten Waggons zu den Tierschauen in Sachsen.
In den vorderen Abteilen die normalen Passagiere und ganz hinten im letzten Bahnwagen in einem Kistendickicht jene urplötzlich nicht mehr so fidelen Kleintiere, die sich bäuchlings von einem Winkel ihres Kerkers zum anderen schleppten, um ihr Misstrauen und ihre Unruhe abzuschütteln.
Nun aber geschwind hinaus mit euch ins Rampenlicht, und zwar: eine Kiste lebendes Geflügel zur Rassegeflügelausstellung 1982 in Geringswalde und dasselbe noch mal nach Erfurt zur Junggeflügelausstellung.
Dann folgte eine Kiste lebende Kaninchen nach Pillgram, ohne nähere Angabe, also hoffentlich kein Kaninchenwettessen, ebenfalls eine Kiste nach Obergrinstedt und schlussendlich von derselben Person noch eine wiederum nach Pillgram, wobei l-e-b-e-n-d auf der Karte unterstrichen worden war.
Als Pessimist muss ich jetzt denken, dass der Versender dies im Zusammenhang mit einer vorherigen Sendung, die im Verlaufe der Fahrt Verluste im Sinne von Todesfällen zu verzeichnen hatte, kritisch, wenn auch wortkarg, nachträglich anmerken wollte.
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