Und so stand ich plötzlich am 21. Dezember 2013 am Flughafen Wien. Eine Umarmung zum Abschluss, ein Foto, wie ich zur Sicherheitskontrolle ging und ich war auf mich alleine gestellt. Normal, so sagten mir die Jungs, würde man immer zu zweit fliegen. Aber ich müsse schon vor den anderen im Jemen sein. Sie wollten, dass ich einige Tage Vorsprung hatte, um mich einzuleben und gleich meine Aufgaben zu übernehmen, damit ich dann die neuen Kollegen unterweisen konnte.
Ich trank noch einen gemütlichen Kaffee und stieg dann in das Flugzeug. Es war aufregend. Mein Herz schlug schneller, aber ich hatte noch immer keine Angst. Aufregung, ein wenig Anspannung, viel Neugier, aber keine Angst. Mein erster Flug und dann gleich in so ein Abenteuer! Das Flugzeug setzte sich in Bewegung. Ich war so nervös. Was hatten meine Freunde gesagt? Am besten einen Kaugummi nehmen beim Start. Kauen und den Mund offen lassen, wegen dem Druckausgleich. Ich nahm den Kaugummi. Das Flugzeug hielt an. Wir waren in der Warteposition für den Start. Und da passierte es.
Wie aus dem Nichts, überkam mich die totale Panik. Ich begann zu schwitzen und bekam in dieser Röhre von Flugzeug unglaubliche Platzangst. Mein Puls schoss in undenkbare Höhen.
Was mache ich hier? Bin ich verrückt? Ich werde schon im Flugzeug sterben! Das ist doch nicht normal! Wie soll dieses Stück Metall fliegen, wenn die Flügel schon beim Fahren so wackeln? ICH MUSS HIER RAUS! Aber wie? Gibt es hier eine Notbremse, wie im Zug? Ich riss an meinem Sicherheitsgurt und wollte nur noch raus. Die Platzangst wurde unerträglich. Mir war so heiß und ich schwitzte ohne Ende.
Und erst diese dämliche Idee mit dem Personenschutz im Jemen! Ja, ich war natürlich auch die letzten Jahre oft schießen, ich machte bei taktischen Trainings einfach zum Spaß mit und ja, ab und zu machte ich ein paar Aufträge nebenbei. Aber ich bin doch raus aus dem Ganzen! Ich werde dort keine drei Tage überleben! Wie peinlich wird das werden! Alle werden über mich lachen oder mich bemitleiden. „Ja, das war echt dumm von ihm. Da war er lange nicht in dem Bereich tätig und dann macht er sowas. Jetzt hätte er sein Studium fertig endlich, die Welt würde ihm offenstehen und dann macht er sowas.“
Ich konnte all diese Stimmen in mir hören. Das Flugzeug rollte. Ich überlegte fieberhaft, wie ich hier noch rauskam. Konnte man einen Flieger einfach anhalten, damit ich aussteigen kann? Wie würde es sich anfühlen, wenn die Kugeln meinen Körper durchschlagen, sollte ich den Flug überleben und erst im Jemen getötet werden?
Ich verfiel in eine unglaublich tiefe Panik. Eine Panik, wie ich sie trotz all meiner Ängste, die ich schon oft hatte im Leben, so noch nie erlebt hatte. Der Pilot drückt derweilen aufs Gas und mir wurde bewusst, dass es jetzt kein Entkommen mehr gab. Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
In diesem Moment geschah etwas, das ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde:
plötzlich, in all meiner vollkommenen Verzweiflung hatte ich das Gefühl, dass mich etwas an meiner linken Schulter berührte, die Schulter, die dem Gang des Flugzeuges zugewandt war. Ich sah mich sogar zur Seite und nach hinten um, ob da jemand war, aber es war niemand zu sehen. Dann hatte ich plötzlich ein vollkommenes Gefühl der Ruhe. Die Panik war weg, von einer Sekunde auf die andere. Ich hatte nur noch das Gefühl, dass alles gut gehen würde. Einfach alles an meinem Abenteuer würde gut gehen. Das Flugzeug hob in dem Moment vom Boden ab und ich konnte meinen ersten Flug unglaublich genießen. In diesem Moment verliebte ich mich ins Fliegen. Sekunden zuvor hatte ich noch die Panik meines Lebens, jetzt war ich ruhig und entspannt. Fliegen sollte die nächsten Jahre meines Lebens sehr häufig vorkommen. Und ich genieße bis zum heutigen Tag jeden meiner dutzenden Flüge.
Viele Jahre habe ich darüber nachgedacht, was an diesem 21. Dezember 2013 in dem Flugzeug passiert war. Es war ein unglaubliches, unbeschreibliches Ereignis. Selten zuvor hatte ich etwas derartig Tiefes und emotional Berührendes erlebt. Einige Jahre dachte ich mir: „War es ein Wunder? War es mein verstorbener Bruder, der plötzlich an meiner Seite war und mir das Gefühl gab, dass etwas oder jemand auf mich achtet?“
Mein Leben war oft geprägt von Angst. Als Kind, im Ring als Boxer, bei Schlägereien, Zukunftsängste, Existenzängste, Angst vor Krankheiten, Angst vor Trennung, Angst vor Schmerz. So viele Ängste hatten mein bisheriges Leben geprägt. Doch Angst hatte mich auch immer ein Stückweit fasziniert. Was war es also an diesem Tag, dass mir so ein tiefes Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens schenkte?
Im Zuge meinen Ausbildungen in den Bereichen Kommunikation, Konfliktmanagement, psychologische Beratung und dem psychotherapeutischen Propädeutikum, die ich in den Jahren danach absolvierte, stellte ich mir diese Frage immer wieder. Und im Zuge meiner logotherapeutischen Ausbildung kam ich dann zu einer Antwort. Eigentlich erhielt ich durch die Logotherapie viele Antworten. Auch auf viele Fragen zu den Themen Angst, Emotionen, Mut, Liebe und Vertrauen. Aber von diesen Antworten werden Sie später noch mehr erfahren und auch praktische Tipps erhalten, wie Sie diese in Ihrem Leben anwenden können.
Und liebe Leserin, lieber Leser, wie auch immer Sie diese Situation interpretieren, was auch immer Ihr Zugang ist, ob es nun ein Schutzengel, eine verstorbene Person, etwas Göttliches oder einfach eine neuronale Entladung irgendwo im Gehirn war, ich möchte Ihnen Ihre Meinung nicht nehmen.
Aber ich glaube all, dass man all das auch zusammenfassen kann. Wir Menschen verstehen mit Sicherheit nicht alles, was auf unserer Welt oder in unserem Universum geschieht. Ich kann also nicht ausschließen, ob es nicht tatsächlich mein Bruder war (ein Gedanke, der mir natürlich sehr gefällt). Vielleicht war es auch tatsächlich etwas Göttliches. Auch das kann ich nicht ausschließen. Aber für jemanden wie mich, der sich auch immer versucht an der Wissenschaft zu orientiert, gab es noch eine ganz andere und plausible Erklärung. Es war etwas, dass wir Menschen seit der Geburt in uns tragen. Etwas, dass der Großteil von uns Menschen aber verliert. Und genau das gilt es aber zurück zu gewinnen.
Unser Urvertrauen!
Der Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, Viktor Frankl, sprach schon davon. Besonders häufig erwähnte es seine berühmteste Schülerin, Elisabeth Lukas. Sie hat dem Thema ganze Bücher gewidmet.
Und ein stückweit ist Urvertrauen auch Ziel dieses Buches. Weil Urvertrauen uns alle Ängste nehmen kann. Naja, vielleicht nicht ganz nehmen. Aber Urvertrauen kann die Ängste erträglich machen. Und Urvertrauen macht uns mutig, und lässt uns liebevoll werden.
Leider gibt es keinen direkten Weg zum Urvertrauen. Man kann also nicht hergehen und sagen: „Ab heute habe ich Urvertrauen in meinem Leben“. Wir müssen es wiederentdecken. Zurückgewinnen, wo es verschüttet wurde.
Und in diesem Buch erhalten Sie hierzu praktische Tipps, wie Sie dies schaffen können. Sie erfahren von einigen Methoden, die auch wissenschaftlich belegt sind. Genutzt wird dafür beispielsweise die Logotherapie, die systemischen Lehre, die positiven Psychologie, aber auch tiefenpsychologische Schulen. Keine Sorge, es wird keine theoretische Abhandlung dieser Themen. Anhand von Geschichten, Beispielen, Tipps und Tricks, die Sie aktiv umsetzen können, möchte ich Sie dazu anregen, Ihren Mut wiederzufinden. Und damit auch die Beschränkungen der Ängste hinter sich zu lassen.
Ein kleiner Vorgeschmack
Die oben geschilderte Situation war eine wundervolle Erfahrung für mich. Von dieser Erfahrung zehre ich noch heute und rufe sie mir immer wieder ins Gedächtnis und in meine Gefühlswelt. Gerade dann, wenn es im Leben schwierig wird. Dann brauchen wir unser Vertrauen ganz besonders. Es gibt auch eine Reihe von Zitaten von Viktor Frankl, von denen ich Ihnen im Laufe des Buches einige vorstellen möchte.
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