„Was möchtest du essen?“
Ertappt riss sich Nate aus seinen Gedanken. „Wähle du. Ich begebe mich gerne in deine Hände.“
Salomé errötete und warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. Als Nate die Zweideutigkeit seines Satzes auffiel, stahl sich automatisch das jungenhafte Grinsen in sein Gesicht. Salomé blinzelte und räusperte sich, bevor sie sich wieder an Gustave wandte.
„Willst du diese Kappe nicht endlich abnehmen?“, fragte sie, als Gustave ihre Bestellungen entgegengenommen hatte.
Nate seufzte und riss sich das Basecap vom Kopf. Adieu Intimität. Er zog die Schultern hoch in Abwehr des erwarteten Ansturms. Doch es blieb still. Sofern man das gemütliche Geplapper der Restaurantgäste als still bezeichnen konnte.
„Alles okay?“, frage Salomé, die Nate amüsiert beobachtet hatte.
„Ja … alles okay. Scheint zumindest so.“
In diesem Moment erschien der junge Xavier mit Wein und einem Glas Pastis. Salomé stellte den Pastis vor Nate und legte ihre Hand auf seinen Arm.
„Hier, zur Beruhigung. Eigentlich wollen Frauen ja, dass man ihretwegen nervös ist. Ich finde, du kannst langsam runterkommen. Hier hast du nichts zu befürchten. Gustave ist cool und seine Gäste auch. Man muss eben nur die richtigen Orte kennen.“
Ein Kribbeln breitete sich von der Stelle aus, an der Salomés Hand lag. Nate schwitzte.
„Kein Wunder, dass du noch nichts von mir gehört hattest, wenn du dich nur an solchen Orten aufhältst.“ Er nahm einen großen Schluck von der milchigen Flüssigkeit.
Salomé schien ernsthaft über seinen Satz nachzudenken, während ihr Finger über den Rand des Weinglases strich.
„Du könntest recht haben. Mirabel ist auch so ein Ort. Als du auf der Geburtstagsfeier meines Vaters warst, ist keine Frau in Ohnmacht gefallen.“
„Mir hätte es gereicht, wenn eine schwach geworden wäre.“ Nate schaute sie durchdringend an.
Jetzt war es an Salomé, trocken zu schlucken.
Langsam begann Nate, sich zu entspannen. Er blickte sich um. Gustave hatte es geschafft, die Bistro-Atmosphäre nach New York zu bringen. Durch die enge Bestuhlung war die Stimmung familiär und gesellig. Die Gäste saßen an viereckigen Tischchen, auf denen weiße Decken lagen. Die Wände waren bis Brusthöhe in dunklem Holz getäfelt, und unzählige kleinformatige Fotos in antiken Rahmen zeigten Gustave mit seinen Gästen. Viele der abgebildeten Personen waren prominent, Politiker, Sportstars, Schauspieler. Jetzt wurde Nate auch klar, weshalb er hier kein Aufsehen erregte. Neben den Größen, die auf den Fotos abgebildet waren, war er eine vergleichsweise kleine Nummer.
„Möchtest du Brot?“ Salomé hielt Nate das geflochtene Körbchen mit knusprigen Baguettescheiben hin.
„Brot? Ich hatte ganz verdrängt, dass es Menschen gibt, die noch Brot essen. In Kalifornien ist Brot mittlerweile fast so verpönt wie Zigaretten.“
„Tja, wir sind aber hier nicht in Kalifornien, sondern in Frankreich“, stellte Salomé fest, während sie demonstrativ Butter auf eine Scheibe Baguette strich.
„Habe ich was verpasst?“
Nate grinste sie an, und Salomé bemerkte ihren Versprecher.
„Komisch, nicht wahr? Wenn ich hier bin, kommt es mir vor, als wäre ich in Frankreich.“ Sie warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu.
Ein Zischen am Nachbartisch unterbrach sie, Xavier karamellisierte dort eine Creme Brulée. Salomé strahlte Nate an.
„Himmlisch, wie das duftet, nicht?“
Gustave servierte die Vorspeise, eine französische Lauchsuppe.
Nate konnte sich an Salomés sinnlicher Art zu essen nicht sattsehen. Sie brummte genießerisch, als sie den ersten Löffel Vichyssoise zu sich nahm und dann herzhaft in das Baguette biss. Ihre buttrigen Lippen glänzten, und er keuchte leise, als Salomés rosige Zungenspitze erschien und unbewusst ihre Lippen sauber leckte. Seine Temperatur stieg. Er lockerte seinen Hemdkragen.
„Nate, bist du noch da?“
Anstatt zu antworten, beugte er sich langsam vor, und wie in Zeitlupe sah Salomé Nates Gesicht näher kommen. Was sollte das? Wollte er sie etwa küssen? Wie hypnotisiert starrte sie auf seine sinnlichen Lippen und fand die Idee auf einmal gar nicht so schlecht. Eine Sekunde später fühlte sie Nates Daumen an ihrem Mundwinkel. Die Berührung jagte einen flirrenden Schauer durch ihren ganzen Körper. Unweigerlich öffnete sie ihre Lippen und holte tief Luft. Nate zog seine Hand zurück, und Salomé spürte den Verlust körperlich. Seine Stimme klang rau.
„Du hattest da einen Krümel, Zaza.“
Salomé nickte nur. Die Geräusche der anderen Gäste schienen unwirklich gedimmt. Warum sonst konnte sie trotz des Trubels im Bistro ihre eigene beschleunigte Atmung hören? Wie schaffte es dieser Mann nur, dass sie sich ihres Körpers und ihres Begehrens so bewusst wurde?
Ihre Brustwarzen zogen sich zusammen und drängten sich auf der Suche nach seiner Nähe gegen ihre Seidenbluse. Ein sehnsuchtsvolles Ziehen pochte zwischen ihren Beinen. Verschwommen nahm sie wahr, wie Xavier die Vorspeise abtrug, während sie in den Tiefen von Nates Augen versank. Gleichzeitig nagte eine beharrliche Stimme in ihr. Du darfst nicht schwach werden, Zaza. Er ist vergeben. Du darfst ihm nicht vertrauen. Er will dich nur erobern und wird dich dann fallen lassen.
Gustave rettete sie mit zwei Schüsseln Moules frites. Die Muscheln mit Pommes frites dufteten herrlich. Erleichtert, dass der Zauber gebrochen war, richtete Salomé ihre Aufmerksamkeit auf das Gericht.
Nate war verwirrt. Während ihre Blicke ineinander versunken gewesen waren, hatte er eine unglaubliche Nähe zu dieser Frau gespürt. Fast hatte er das Gefühl gehabt, er und Salomé wären die einzigen Gäste in dem Bistro. Dann hatte ihr Blick geflackert, und der intime Moment war vorbei gewesen. Jetzt galt ihre Aufmerksamkeit wieder ganz dem Essen.
Salomés Begeisterung über das Gericht ließ sie in die Hände klatschen. Er musste schmunzeln. Diese bereits vertraute Geste von ihr, wenn sie sich freute, rührte ihn zutiefst an.
Während des weiteren Essens war die Stimmung zwischen ihnen außergewöhnlich harmonisch. Der Wein löste ihre Zungen, und inbrünstig diskutierten sie über Themen, die sie bewegten. Wobei sie einen Bogen von Colins Kunst über den neuesten Finanzskandal zu den vielversprechendsten Regisseuren schlugen.
Salomé hatte eine Art, von ihrer Kindheit und Jugend auf Mirabel zu erzählen, dass Nate sie als bezopftes Mädchen vor seinem inneren Auge sah. Er fieberte nachträglich mit ihr über die Entdeckung ihres Halbbruders Mathieu diesen Sommer und die stetig wachsende Freundschaft zu Julia. Salomé klärte Nate über die berühmte Zitronencreme auf, die Fredo, der beste Freund ihres Halbbruders Mathieu, in seiner kleinen Cabane am Meer zubereitete und die, so Julias Vermutung, sogar dafür verantwortlich war, dass Salomé bald Tante würde.
Nate erzählte von seinen Rivalitäten mit Colin und der Kindheit in den schottischen Highlands. Sie lachte herzlich, als Nate ihr sehr bildhaft von seinen ersten Schauspielerfahrungen im Schultheater berichtete, dem er angeblich nur wegen einer Becky beigetreten wäre, in die er damals unsterblich verliebt gewesen sei.
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