Salomé warf das Geschirrtuch nach Allegra, die quiekend aus der Küche floh.
In diesem Moment surrte ihr Smartphone erneut. Sie kapitulierte und las die eingegangenen Nachrichten. Mit leisem Bedauern stellte Salomé fest, dass keine einzige Nachricht von Nate war. Sie hatte ihm durch ihr Verhalten wohl erfolgreich klargemacht, dass da nichts zwischen ihnen laufen würde. Genauso, wie sie es wollte, oder?
Neben fünf Nachrichten von neugierigen Familienmitgliedern, darunter Julia, die anscheinend im Internet eines der gestern Abend geschossenen Bilder von Nate und ihr gefunden hatten, war eine Meldung von Keira dabei, die ihr Anrufe mehrerer Verwandten ausrichtete.
Salomé verzog das Gesicht. Das grenzte ja an Stalking! Eine weitere Nachricht war von einem Dr. Tigran Hagopian. Salomé stutzte. War das nicht der armenische Preisträger, mit dem sie sich gestern so angeregt unterhalten hatte? Sie hatten sogar getanzt. Obwohl Salomé dabei hauptsächlich damit beschäftigt gewesen war, Nate zu beobachten, der die Damen souverän übers Parkett geführt hatte. Dr. Hagopian bat dringend um Rückruf. Was er wohl wollte? Vielleicht fand er den Tower zu klobig und wollte ihn zurückgeben? Schmunzelnd legte Salomé ihr Smartphone beiseite.
Erst einmal fuhr sie den Laptop hoch und öffnete den Link zu einer der Klatschseiten, den ihr Keira geschickt hatte. Das Bild, das sich öffnete, ließ ihr Herz bis zum Hals klopfen. Sie und Nate in voller Gala-Montur. Die Fotografen hatten das Bild so beschnitten, dass Howard Bench und der armenische Arzt nicht zu sehen waren und es anmutete, als hätten Nate und sie nicht nur zufällig nebeneinandergestanden. War es überhaupt Zufall gewesen?
Je mehr Salomé darüber nachdachte, desto unsicherer wurde sie. Ihr Blick heftete sich auf das Foto. Nate sah so gut aus. Es war deutlich erkennbar, dass seine Hand auf ihrem Rückendekolleté ruhte. Er hatte seinen Kopf zu ihr hingeneigt, und ein verträumtes Lächeln lag auf seinen Lippen. Direkt daneben prangte ein Bild von Nate mit dem Model, einander zugewandt und professionell in die Kamera lächelnd. Kein Wunder, dass dies die Journalisten zu der Unterschrift „ Sexiest man alive unersättlich?“ inspiriert hatte.
Die nächsten Fotos verschlugen Salomé kurzzeitig die Sprache: Eine Bilderfolge zeigte Nate, wie er vom Eingang des Gebäudes, in dem die Gala stattgefunden hatte, zu ihrem Auto gerannt kam und sie ihm ihre Hand entzog, die aus dem Fenster hing. Die Nahaufnahme zeigte einen verzweifelt blickenden Nate, der an ihrer Hand zerrte. Das durfte ja nicht wahr sein!
Die Bildunterschrift sagte alles: „Der Highlander verliebt! “
Salomé, die den Umgang mit solch freien Interpretationen der Klatschpresse eigentlich gewohnt war, schluckte trocken. Zugegeben, sie und Nate wirkten auf dem ersten Bild sehr harmonisch. Weshalb nur war er ihr nach draußen gefolgt? Er wusste doch, dass die Pressehyänen dort lauerten. Und wo um alles in der Welt war die Kalinkaka?
Ihr Blick heftete sich abermals an seinen Gesichtsausdruck auf dem letzten Bild. Warum bloß hatte Nate sie so angeschaut? War er vielleicht tatsächlich in sie verliebt? Auf dem anderen Foto lächelte er eine andere Frau an. Er spielte einfach eine Rolle. Oh, Gott, das war zum Verrücktwerden!
Ein anerkennender Pfiff riss Salomé aus ihren Träumen.
„Wow. Also wenn der nicht auf dich steht!“, merkte Allegra in ihrer unverblümten Art an, während sie Salomé über die Schulter blickte. Hastig klappte Salomé den Laptop zu und versuchte, ihre Aufregung zu überspielen.
„Egal. Sollen wir los?“
Allegra lachte wieder schallend.
Der Nachmittag war zu schön, um ihn im Kino zu verbringen, und so schlenderten die beiden Freundinnen durchs spätsommerliche New York. Allegra lauschte Salomés Erzählungen von den Geschehnissen auf Mirabel , wie auch Salomé mit zunehmender Ergriffenheit Allegras Berichten von ihrer Arbeit im Erdbebengebiet zuhörte. Sie gönnten sich Hotdogs mit Relish und Sauerkraut an einem der Straßenstände und schlürften jede einen großen Cappuccino-to-go auf den Stufen des Metropolitan-Museums, während sie die zum Central Park vorbeihastenden Menschen kommentierten. Es war ein perfekter Nachmittag in Manhattan.
Als sich beide am frühen Abend wieder ihrem Apartmenthaus näherten, wartete bereits eine Meute Fotografen auf sie.
„Salomé! Miss de Bertrand! Wie haben Sie Nate kennengelernt?“, stürmten die Fragen auf sie ein.
„Oh, nein. Die sind wegen des Fotos mit Nate hier.“ Salomés schaute Allegra entschuldigend an.
Für eine Flucht war es zu spät. Allegra genoss allerdings den Trubel, zog Salomé an ihre Seite und posierte vor den Fotografen.
„Salomé! Hierher. Zu mir. Ist Nate wirklich in Sie verliebt?“
„In diese Frau kann man nur verliebt sein. Vergessen Sie nicht zu schreiben, dass der Erlös aus den Fotos den Erdbebenopfern in Nepal zugutekommt!“, rief Allegra den irritierten Paparazzi zu.
Salomé musste kichern. Gut gelaunt entkamen sie dem Trubel und winkten Conrad im Vorbeirauschen zu, bevor dieser auch nur eine Frage stellen konnte.
Zu Salomés Erleichterung warteten am nächsten Morgen nur noch ein paar versprengte Paparazzi vor ihrem Haus und dem Bürogebäude, die sich damit zu begnügen schienen, sie nur abzulichten.
Allegra textete vormittags begeistert, dass die meisten Zeitschriften im Zusammenhang mit dem Foto zu Spenden für die Erdbebenopfer aufriefen. Salomé rief die entsprechenden Seiten auf und tatsächlich: Sogar Salomés Engagement in diversen anderen Bereichen wurde lobend erwähnt. So hat die Sache doch noch etwas Gutes, stellte Salomé fest. Sie war dennoch erleichtert, dass die Aufregung um ihre Person in den nächsten Tagen abflaute.
Doch die Ruhe war trügerisch.
„Nennen Sie mich bitte Tigran.“
Salomé blickte in die schokoladenbraunen Augen und musste zugeben, dass der armenische Arzt die Kunst des Flirtens vollendet beherrschte. Sie hatte Dr. Hagopians beharrlichem Werben nach ein paar Tagen nachgegeben und sich mit ihm zu einem Dinner verabredet. Tigran hatte sie in ein versteckt gelegenes armenisches Restaurant an der Lower East Side entführt. Salomé war nicht nur überrascht von den unbekannten, köstlichen Speisen, sondern auch darüber, dass sie sich keine einzige Sekunde in seiner Gegenwart langweilte. Tigran verstand es, in intelligenter, spritziger Art von seinem Leben zu erzählen, und war erfreut, dass Salomé durch ihr Engagement in der Stiftung, aber auch durch Allegras Berichte eine ebenbürtige Gesprächspartnerin war.
Als sie das Restaurant verließen, legte Tigran seine Hand auf Salomés Rücken und führte sie nach draußen. Die Berührung war nicht unangenehm. Kaum hatte Salomé einen Schritt vor die Tür gemacht, ging ein Blitzlichtgewitter auf das Paar los. Instinktiv nahm Tigran Salomé in den Arm und zog sie schützend an sich.
„Salomé. Was ist mit Nate?“
„Salomé, wer ist der neue Lover?“
„Salomé, bringt Nate es nicht?“
Bevor Tigran sie in ein rasch herbeigerufenes Taxi bugsieren konnte, prasselten diese Fragen in sämtlichen Variationen auf sie nieder. Eine Weile fuhren sie schweigend durch New York. Salomé musste den Schock über diesen unerwarteten Ansturm erst einmal verarbeiten.
„Es tut mir leid. Damit habe ich nicht gerechnet. Danke für deine Hilfe.“ Sie legte ihre Hand auf Tigrans Arm.
Der Arzt hatte nachdenklich aus dem Fenster gestarrt. Er wandte sich ihr zu. „Wer ist Nate?“
Salomé vergrub das Gesicht in ihren Händen und stöhnte auf.
„Es ist nichts mit Nate. Das wünschen die sich nur.“
„Doch nicht etwa Nate Hamilton?“
Salomé nickte.
„Es gab einige Fotos von der Gala in der Presse.“
Selbst im spärlichen Licht, das im Taxi herrschte, konnte sie bemerken, wie sich Tigrans Gesichtsausdruck veränderte. Unvermittelt schnalzte er mit der Zunge.
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