Leider war Allegra in letzter Zeit nur noch für Zwischenstopps zu Hause. Sie hatten sich seit Mai nicht gesehen. Wen wunderte es also, dass Salomé in diesem Augenblick unglaublich froh war, ihre vertraute Freundin wiederzuhaben. Wie sehr sie Allegra vermisst hatte! Und genau zur rechten Zeit: Endlich konnte sie mit jemandem über die verwirrenden Gefühle, die dieser Schauspieler in ihr auslöste, reden.
Ihr Gesicht musste ihre Gedanken widergespiegelt haben, denn Allegra zog sie mit einem satten Grinsen ins Wohnzimmer.
„Bevor ich dir auch nur ein Sterbenswörtchen von Nepal erzähle, musst du mir sagen, wie der Kerl heißt, der dir Sterne in die Augen und Schmetterlinge aufs Kleid zaubert.“
Allegra bugsierte Salomé in Richtung Sitzlandschaft und stupste sie in die Kissen. Salomé kicherte und hob abwehrend die Hände. Allegras gespielt strenger Blick machte Leugnen zwecklos.
„Ist ja schon okay. Es gibt gar nicht so viel zu erzählen. Ich habe auf der Sommerparty meines Vaters mit einem netten Mann getanzt, und er ist gerade in New York. Also hat er angerufen, und wir hatten einen netten Abend zusammen.“
„Netter Mann, netter Abend?“ Allegra zog fragend ihre Brauen hoch.
Diese waren so wildwüchsig, dass Salomé einen Moment irritiert innehielt.
„Ja, nur nett.“
Die Miene ihrer Freundin blieb skeptisch.
„Kenne ich ihn?“ Salomé wollte gerade verneinen, als sie stutzte. Nate war immerhin berühmt. Weshalb sollte Allegra ihn nicht kennen?
„Könnte sein“, gab sie daher vage zur Antwort.
„Kannst du es ein bisschen genauer eingrenzen? Er ist also aus Manhattan?“
Salomé schüttelte den Kopf. Unerklärlicherweise war es ihr gerade jetzt furchtbar peinlich, sich ausgerechnet in ein Hollywood-Sexsymbol verknallt zu haben. Oberflächlicher konnte es ja kaum sein.
„Zaz, jetzt sag schon, wir sind doch hier nicht bei ‚Wer bin ich?’“
Nervös zupfte Salomé einen Faden aus einem Sofakissen.
„Also ... vielleicht kennst du ihn sogar. Er ist Schauspieler. Und hat gerade so einen Blockbuster-Highlander-Film im Kino.“
Allegra runzelte nachdenklich die Stirn. Dann erhellte sich ihr Gesicht.
„Du hast dir doch nicht etwa diesen Typen mit dem eingeölten Wahnsinnsoberkörper geschnappt, der auf jedem Plakat in der Stadt hängt und bei dem selbst ich überlege, wieder ans andere Ufer zu wechseln?“ Begeistert schlug sie auf die Sofalehne.
Salomé räusperte sich kleinlaut. Ihr waren diese Plakate erstmals heute Nacht auf der Rückfahrt von der Gala aufgefallen. Wie blind sie gewesen war, Nate auf ihnen nicht erkannt zu haben.
„Ich hab ihn mir nicht geschnappt . Wie ich bereits gesagt habe, wir sind nur einmal ausgegangen. Ein netter Abend, du erinnerst dich? Außerdem hat sich herausgestellt, dass er bereits vergeben ist.“
„Er ist verheiratet?“
Salomé zuckte die Achseln.
„Ich weiß es nicht genau. Er hatte auf jeden Fall eine Frau dabei heute Abend.“
„Ich dachte, du seist mit ihm ausgegangen? Und da hat er eine andere Frau mitgebracht?“ Allegra war verwirrt.
„Nein … ja. Also, gestern ist er mit mir essen gegangen, und ich hatte das Gefühl, er wäre echt an mir interessiert. Ich habe mich gefühlt wie ein Teenager, zittrige Hände, Kribbeln im Bauch, weiche Knie ... das ganze Programm. Dann hat er kurz telefoniert und dabei verliebt ins Telefon gesäuselt, und mir ist klar geworden, dass er sicher eine andere hat. Und heute ist er als Stargast bei der Gala aufgetaucht … mit einer Frau. Die sahen so unglaublich gut aus zusammen, er Schauspieler, sie Model, das perfekte Promipaar eben.“
„Und wie hat er sich dir gegenüber verhalten?“
„Das war die absolute Katastrophe! Er hat sich neben mich gesetzt und sein Bein die ganze Zeit an meines gedrückt. Stell dir vor, seine Freundin sitzt gegenüber und er flirtet mit mir, als wäre sie nicht da! So ein Mistkerl! Und als ich gehen wollte, kam er sogar ohne sie zum Auto gerannt. Aber wir sind sofort weggefahren.“
„Er ist hinter dir hergerannt? Also dann ist er sicher nicht vergeben!“ Allegra sprang begeistert auf. „Ich fasse es nicht. Jahrelang Ebbe in deinem Bett und dann so ein Sahneschnittchen. Zaz, ich hole den nepalesischen Wein, und dann musst du mir alles haarklein erzählen.“
„Ich war nicht mit ihm im Bett.“ Salomé verdrehte die Augen.
„Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Allegra verschwand summend in ihrem Zimmer.
„Habe ich dir nicht gerade erzählt, dass er vergeben ist?“, rief Salomé hinterher.
„Papperlapapp!“
Salomé schüttelte lächelnd den Kopf und nutzte die Wartezeit, um die Chanelrobe gegen eine bequeme Jogginghose und einen Schlabberpulli zu tauschen.
Als die beiden Frauen wenig später wieder beim Sofa zusammenfanden, beäugte Salomé misstrauisch die etikettlose Flasche in Allegras Hand.
„Ich wusste gar nicht, dass es in Nepal Wein gibt.“
Allegra grinste über das Ablenkungsmanöver.
„Gibt es eigentlich auch nicht. Also, zumindest nicht da, wo ich war. Man muss nur die richtigen Leute kennen.“ Allegra goss die bernsteinfarbene Flüssigkeit in die Küchengläser. „Cheers! Auf muskelbepackte Sexgötter und wahre Freundinnen auf dem Sofa.“
Salomé grinste über den für Allegra typischen Trinkspruch und stieß an. Nach dem ersten Schluck blieb ihr allerdings die Luft weg.
„Was zum Teufel ist das denn?“, konnte sie gerade noch mit brennendem Hals krächzen.
Allegra lachte wieder schallend. Gott, wie hatte Salomé die ungebändigte Lebensfreude Allegras vermisst.
„Okay, ich geb’s zu: Es ist eher Schnaps als Wein. Und vielleicht auf einer Basis vergorener Ziegenmilch. Aber er wärmt und desinfiziert. Vor allem, wenn man nach einem Erdbeben zwischen Schuttbergen hausen muss, ist das mehr als praktisch.“ Einen Moment runzelte Allegra die Stirn und war auf einmal innerlich sehr weit weg.
Salomé brannten die Fragen auf der Zunge, wie vorher der Schnaps. Aber heute Abend war nicht der geeignete Moment, Allegra über das Elend auszuhorchen, das sie erlebt hatte. Erfahrungsgemäß würden die kommenden Tage einzelne Informationshappen von ihr kommen.
Salomé stellte das Glas beiseite und dachte sehnsüchtig an den Champagner, den sie vor nicht mal einer Stunde auf der Gala zu sich genommen hatte. Womit sich ihre Gedanken wieder auf Nate konzentrierten. Wie klug seine Ansprache gewesen war. Seine Ausstrahlung ließ auch sie nicht kalt: diese Mischung aus Mann und Charmeur, Stärke und Humor. Und diese samtene Stimme mit dem schottischen Akzent. Und wie sexy sein muskulöser Körper in dem edlen Smoking ausgesehen hatte. Und wie er roch.
Ihr wurde ganz flau bei der Erinnerung daran. Sie gestand sich ein: Sie war genauso verrückt nach ihm wie die anderen Frauen. Wie gerne sie mit ihm getanzt hätte. Aber er war doch vergeben! Sie musste sich ihn aus dem Kopf schlagen.
Allegra hatte sich wieder gefangen. Sie unterbrach Salomés Tagträume, indem sie die Hände laut zusammenschlug.
„Hallo, hier bin ich. Jetzt schieß endlich los! Wie hast du ihn noch mal kennengelernt?“
Als Salomé Stunden später etwas schwindelig in ihrem Bett lag, grübelte sie über Allegras Ratschläge nach. Typisch Allegra, hatte diese ihr geraten, den Stier bei den Hörnern zu packen.
„Man lebt nur einmal und das nur sehr kurz. Du triffst dich noch mal mit ihm und fragst einfach, wer diese Frau war, mit der er telefoniert hat und was er mit dem Model am Laufen hat. Dann hast du wenigstens was getan. So passiv kenne ich dich gar nicht. Tz, tz. Wird Zeit, dass ich mal wieder in deinem Leben aufräume.“
Wie froh Salomé war, dass Allegra ihr den Kopf zurechtgerückt hatte. Mit einem Mal schien alles möglich. Sie knuffte ihr Kopfkissen und sank in unruhigen Schlummer.
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