»Ich werde nicht mit dir unter die Dusche gehen«, keife ich und zerre an den Handschellen. Mein Kopf ist noch immer mit dem beschäftigt, was er gerade gesagt hat. Und mein Körper verarbeitet noch immer die Hitzeschauer, die seine Worte ausgelöst haben. Anders kann ich mir das Feuer in meinen Eingeweiden nicht erklären. Ich fühle mich ganz komisch, so als würde ich innerlich brennen.
Er bleibt in dem kleinen Badezimmer stehen, dreht sich zu mir um, reißt an den Handschellen, bis ich gegen seinen Körper falle, und fängt mich mit seinen Armen auf. »Das würde dir bestimmt auch nicht gefallen, ich dusche immer kalt. Mehr als kaltes Wasser gibt es hier ohnehin nicht.« Er schließt die Handschelle um sein Handgelenk auf und zieht mich zu einem kleinen Waschbecken, wo er mich unten an das Abflussrohr kettet. Wenn ich nicht die ganze Zeit vornübergebeugt stehen möchte, muss ich mich auf die sonnengelben Fliesen setzen, also hocke ich mich unter das Waschbecken, das einen Riss hat, und lehne mich mit dem Rücken gegen die Badewanne gleich daneben.
Ohne Rücksicht auf mich zu nehmen, zieht er erst sein Shirt aus, wirft es vor meine Füße und entledigt sich dann seiner Boxershorts, die daneben landet. Ich versuche, nicht zu ihm aufzusehen, aber seine bunte Haut, die zahlreichen Bilder von Wölfen, Wäldern und Bikes, machen es mir schwer, ihn nicht zu betrachten. Und auch die Erektion, die fast schon vor meinem Gesicht schwebt, macht es mir nicht leichter, nicht hinzusehen. Ich reiße meinen Blick los, als ich bemerke, dass er extra stehen bleibt, damit ich ihn ansehen kann.
»Du willst nicht hinsehen, aber du tust es doch«, sagt er düster.
»Ja, es ist wie bei einem Verkehrsunfall mit schrecklich entstellten Körpern. Man will es nicht sehen, aber man kann auch nicht wegsehen«, sage ich schnippisch und schließe die Augen, bevor mein Körper noch mehr zu zittern beginnt. Ich öffne die Augen erst wieder, als ich höre, dass er den Plastikvorhang über der Badewanne zurückreißt und das Wasser aufdreht. Jetzt steht er hinter mir, und ich bin erleichtert, ihn nicht länger sehen zu müssen. Ich konzentriere mich auf das Rauschen des Wassers und bereue es sofort, denn das Geräusch drückt auf meine Blase und erinnert mich daran, dass ich heute Morgen noch nicht auf Toilette war. Eben war es mir noch nicht so bewusst, aber meine Blase fühlt sich an, als wolle sie jeden Moment mit einem lauten Knall platzen. Es muss am laufenden Wasser liegen, denn ich leide auf einmal unter schmerzhaften Krämpfen. Aber wie könnte ich auch nicht dringend müssen, mein letztes Mal ist gefühlt Tage her.
Die Toilette steht auf der anderen Seite des Waschbeckens, vielleicht könnte ich sie trotz der Handschellen erreichen. Es wäre nicht einfach, ich müsste mich verrenken. Aber was, wenn er fertig ist mit Duschen und ich noch nicht. Ich will nicht, dass er mich in einer so verletzlichen Situation sieht. Andererseits muss ich irgendwann mal auf die Toilette. Ich war seit dem Motel gestern nicht mehr. Immerhin hatte er mich dort zumindest allein gehen lassen.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, nicht sicher, was ich tun soll, aber der Druck wird nur stärker, je mehr ich darüber nachdenke, also gebe ich auf, krieche unter dem Waschbecken entlang, öffne den Toilettendeckel und ziehe überrascht die Augenbrauen hoch, als ich sehe, dass im Porzellan Bilder von blauen Blumen sind, als würde ich in eine Teekanne blicken und nicht in ein WC.
Diese Toilette muss schon ziemlich alt sein, ich habe so etwas noch nie gesehen. Aber sie passt gut zur Wanne mit Füßen. Ich kämpfe mit einer Hand meinen Slip über meine Schenkel nach unten, meinen gefesselten Arm muss ich sehr lang machen. Ich muss mich mächtig verrenken und nebenbei auch noch darauf achten, ob das Wasser in der Dusche hinter dem Vorhang weiterläuft. Aber ich bekomme meinen Hintern auf die hübsche Toilette und nach ein paar Sekunden - und etwas Überredung durch mich - kann ich loslassen und atme erleichtert aus, als der Druck auf meine Blase weniger wird.
Und ich bin noch viel erleichterter, dass ich es tatsächlich schaffe, fertig zu werden. Das lässt mich mutiger werden. Ich stelle mich vor das Waschbecken, was ebenfalls nicht so einfach ist mit einer darunter gefesselten Hand, drehe den Hahn auf, aus dem wirklich nur eiskaltes Wasser kommt, und beginne mein Gesicht, meinen Hals und dann sogar meinen Körper unter dem Shirt mühevoll zu waschen. So gut es eben mit einer Hand und etwas Flüssigseife geht. Das eisige Wasser fühlt sich auf meiner brennenden Haut wie ein Schock an. Wie hält Ice es unter dem kalten Wasser aus?
Vielleicht liegt es an den letzten Tagen, vielleicht brüte ich aber auch nur etwas aus, denn ich fühle mich ein wenig zittrig und krank. Ich schiebe es auf die ganze Situation, aber vor allem auf Ice. Er ist einfach an allem schuld, beschließe ich.
Ich bin gerade fertig, als sich hinter mir der Vorhang öffnet. »Hier«, sagt Ice und kurz drauf landet ein Handtuch auf meinem Kopf.
Ich zerre es runter, drehe mich mit wütendem Blick zu ihm um, beginne aber doch, das Handtuch unter mein langärmeliges Shirt zu schieben und mich abzutrocknen. Es fühlt sich merkwürdig intim an, mit ihm im Bad zu stehen. Wir beide trocknen uns ab, er ist nackt. Als wären wir ein Paar, das am Morgen gemeinsam unter der Dusche war. Ich werfe ihm das Handtuch gegen den Oberkörper und setze mich wieder neben das Waschbecken, den Blick stur auf die Wand gegenüber gerichtet. Nur um nicht ihn und seinen beeindruckend muskulösen Körper ansehen zu müssen. Sonnengelbe Fliesen, hier und da ein alter Aufkleber mit Disneyfiguren und ausgefransten Rändern.
»Ist das dein Haus? Habt ihr hier mal gelebt?«, frage ich ihn, um mich abzulenken von dem Gedanken, dass er noch immer nackt ist.
»Ich weiß nicht, wem es gehört hat, aber es steht schon ewig leer. Ich bin früher manchmal nach einer Jagd hiergewesen. Zum Abschalten.« Nach einer Jagd, wie das klingt. Er hat das Wort schon ein paar Mal benutzt. Es klingt, als würde er in den Wald gehen, um Tiere zu jagen, wenn er es so nebenbei fallenlässt. Aber ich weiß, er redet von Menschen, die er jagt. Der Gedanke stößt mich ab und schockiert mich. Ich mag gar nicht glauben, dass es Menschen gibt, die Menschen jagen. Außer vielleicht Kopfgeldjäger. Ist Ice vielleicht ein Kopfgeldjäger? Das würde einiges erklären. Aber nicht die Morde.
Ice löst die Handschelle, sobald er fertig ist, vom Waschbecken und macht sie sich wieder um das Handgelenk. Schweigend zieht er mich die schmale Holztreppe nach unten in die Küche. Er führt mich herum wie einen Hund. Und ich folge ihm wie ein Hund. Als mir das bewusst wird, bleibe ich abrupt stehen und stemme mich gegen ihn.
»Ich bin nicht dein Haustier. Du kannst mich hier nicht festhalten«, keife ich ihn an, als er sich verärgert zu mir umdreht. Sein Blick ist düster, seine Augenbrauen tief über der Nasenwurzel zusammengezogen, Zorn scheint ihm aus jeder Pore zu tropfen. Irgendetwas muss heute Morgen seine Stimmung auf einen Tiefpunkt gedrückt haben.
»Wenn es nötig ist«, sagt er, packt mich an den Schultern und drückt mich brutal gegen die Wand hinter mir. Er ist plötzlich so kalt, dass es mir den Atem verschlägt. Manchmal ist er … nicht nett, aber immerhin umgänglich. Und ganz plötzlich ist er dann wieder hart, voll von Zorn, und ja, so wie ich mir einen Killer vorstelle. »Genau das habe ich vor.«
Ich hebe meine freie Hand und ohrfeige ihn mit so viel Kraft, wie ich aufbringen kann, und bin selbst überrascht von meinem Mut, angesichts der Wut in den Augen meines Entführers. Aber ich empfinde auch Wut. Unbändig und brodelnd frisst sie sich heute durch meinen Körper. Eine solche Wut habe ich noch nie zuvor empfunden.
Er dreht den Kopf zur Seite, atmet schwer aus und lehnt sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen mich. Sultan geht langsam an uns vorbei, was ich nur mitbekomme, weil ich seine Krallen über den PVC kratzen höre. Ice drückt seine Finger so grob in meine Kehle, dass ich nicht schlucken und nur schwer atmen kann. Trotzdem ist er mir so nahe, dass sein Geruch mir in der Nase und auf der Zunge zu liegen scheint. Obwohl er eben erst duschen war, ist da etwas Männliches, sehr Anregendes, das ihn umgibt. Ich atme flach und durch den Mund ein, nicht zu hastig, damit mich die Schwere dieses Geruchs nicht noch mehr anspricht, als sie es ohnehin schon tut. Mein Körper gerät immer mehr in Aufruhr, wenn Ice mir so nahe ist. Und ich verstehe nicht warum. Ich schließe die Augen vor dem Schwindelgefühl, das sich in meinem Kopf breitmacht, und unterdrücke das Zittern meines Körpers, so gut ich kann. Es fühlt sich an, als würde mich die Dunkelheit, die mich mein ganzes Leben schon begleitet, in seiner Nähe überwältigen. Sie wühlt in meinem Kopf, als wolle sie endlich losgelassen werden.
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