Bill Winston hatte nur einen Fehler, der ihm denn auch zum Verhängnis wurde: Er war unheimlich stolz auf seine Leistungen im Dienste des organisierten Verbrechens, so stolz, dass er sich nicht damit begnügte, die Erinnerung daran in den Windmühlen seines Gedächtnisses aufzubewahren.
Zwar sprach er selbstverständlich mit niemandem darüber, jeder hielt ihn für einen seriösen Geschäftsmann, aber er führte ein Tagebuch, was jedem Mitglied von Chinchillas Organisation strengstens verboten war.
James Winston aber, der schon als Kind einen ausgesprochenen Hang zum Schnüffeln gehabt hatte, entdeckte eines Tages im Schreibtisch seines Vaters dieses Tagebuch, las es voll Bewunderung für den tatkräftigen Herrn Papa, und obwohl Chinchilla niemals namentlich erwähnt wurde, begriff der kleine James, dass mit ‚Boss’ niemand anders gemeint sein konnte als der nette Onkel mit dem ulkigen Akzent und der schönen Baskenmütze, auf dessen Schoß er schon so oft hatten sitzen dürfen, ein Stück Pizza oder eine Tüte Gelatti im kleinen Fäustchen.
Eines Tages, nachdem Winston die Wahrheit über seinen Vater herausgefunden hatte, spielte er mit den Nachbarsjungen erstmals ein neues, von ihm selbst erfundenes Spiel, das sich ‚Boss und Bulle’ nannte, wobei der ‚Boss’ immer daran zu erkennen war, dass er eine Baskenmütze trug.
Selbstverständlich erfuhr Chinchilla davon, stellte Bill Winston zur Rede und legte ihn um, wenn auch mit allergrößtem Bedauern.
Weil aber Bill ihm zeit seines Lebens ein guter, treuer Freund gewesen war und von böswilligem Verrat nicht die Rede sein konnte, gewährte er ihm eine letzte Bitte:
Er versprach dem Vater, seinen Sohn, den kleinen James, weder jetzt – als Strafe für seine verräterischen Kinderspiele – noch irgendwann später zu liquidieren noch jemals seine Liquidierung zu veranlassen.
Von diesem Versprechen wusste James Winston freilich nichts, wenngleich es ihm, der im Lauf der Jahre zum mit Abstand lästigsten Gegner Chinchillas avanciert war, oft merkwürdig vorkam, dass der Gangsterboss bisher noch nie auch nur den Versuch unternommen hatte, ihm das Lebenslicht auszuknipsen.
Fest steht, dass James Winston, wenn auch ohne es zu wollen, den Tod seines eigenen Vaters verschuldet hatte, und obwohl er alles andere als ein Sensibelchen war, schätzte er es ganz und gar nicht, daran erinnert zu werden.
In solchen Fällen konnte er sogar richtiggehend grob werden.
So wie in hunderttausend anderen Fällen auch.
***
„Stimmt. Sie haben recht. Das geht mich wirklich nichts an“, sagte der Agent hastig. „Und vermutlich haben Sie auch damit recht, dass es uns wenig genützt hätte, die Verbindung Chinchilla - Davis aufzudecken.“
„Außerdem ist das bestimmt auch gar nicht möglich, dazu ist Chinchilla zu gerissen“, stellte Winston fest. „Wissen Sie, wie er meiner Ansicht nach vorgehen wird?“
„Keine Ahnung. Wie denn?“
„Davis hat ja, wie ich vermute, im Verlauf seiner Karriere ein beträchtliches Vermögen angesammelt. Berühmte Filmschauspieler sind bekanntlich keine armen Schlucker.“
„Das ist richtig.“
„Davis finanziert sich seinen Vorwahlkampf selbst und kann dadurch, sollte eine Überprüfung stattfinden, jeden einzelnen Dollar belegen. Und nach dem Wahlkampf kriegt er ganz unauffällig das Geld von Chinchilla zurück, wobei anzunehmen ist, dass diese Ausgabe nicht einmal in Chinchillas eigener Buchhaltung aufscheinen wird.
Der Mann ist nämlich ausgesprochen vorsichtig.“
„Eines verstehe ich aber immer noch nicht ganz, Mr. Winston. Oder darf ich Sie James nennen?“
„Nur, wenn ich Sie Null nennen darf. Was verstehen Sie denn nicht?“
„Wenn Chinchilla so vorsichtig ist, warum macht er dann ausgerechnet einen Mann zum Präsidentschaftskandidaten, dessen Verbindung zu ihm so offensichtlich ist? Es wäre doch viel klüger, jemanden aufzustellen, von dessen Verbindung zu ihm keiner etwas ahnt...“
„Bravo. Das war die erste wirklich intelligente Frage. Nun, Chinchilla hat eine einzige Schwäche, die ihn verwundbar macht, und das ist eine Art Sportsgeist. Er will zwar immer gewinnen, aber er will nicht, dass ihm der Sieg ohne jede Mühe in den Schoss fällt.
Er gleicht einem Schachspieler, der seinem Gegner einen Springer vorgibt, weil er davon überzeugt ist, um einen Turm stärker zu sein. Er ist sicher, die Partie zu gewinnen, weiß aber, dass er sich um den Sieg bemühen muss. So eine Partie macht ihm Spaß, im Gegensatz zu einer, in der er von vornherein als Sieger feststeht.
Ich bin sogar sicher, dass er inzwischen schon bereut, meinen Rücktritt als Detektiv provoziert zu haben, denn ich war der einzige, dem es mehrmals gelungen ist, ihn ernsthaft zu fordern.
Meinetwegen sind schon eine ganze Reihe von Chinchillas Leuten in Untersuchungshaft gesessen.
Sie sind zwar immer freigesprochen worden, trotz erwiesener Schuld, aber es hat die Organisation doch ziemlich viel Mühe gekostet, Zeugen oder Geschworene zu kaufen, sie einzuschüchtern oder, wenn sie unbelehrbar waren, unauffällig verunglücken oder Selbstmord begehen zu lassen.
Ich bin davon überzeugt, dass er sich über meine Wiederbetätigung sogar freuen wird, denn die Leichtigkeit, mit der er in letzter Zeit seine Erfolge errungen hat, behagt diesem großen Spieler ganz und gar nicht.
Diesmal wird ihm aber das Lachen vergehen, denn ich werde ihm kräftig in die Suppe spucken und sie ihm gründlich versalzen.“
„Halten Sie das denn wirklich für notwendig?“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, wenn Sie ihm schon kräftig in die Suppe gespuckt haben, dann wird er sie ja ohnehin nicht mehr essen wollen. Wozu wollen Sie ihm dann die Suppe auch noch gründlich versalzen?“
„Soll das etwa ein Witz sein, oder sind Sie wirklich so blöd, wie Sie aussehen?“, fragte Winston scharf.
Er hatte durchaus Sinn für Humor. Allerdings nur für seinen eigenen.
„Entschuldigen Sie, ich dachte nur, ein kleiner Scherz zwischendurch...“
„Das Denken sollten Sie lieber mir überlassen. Konzentrieren Sie sich lieber auf die Dinge, die Sie können.
Jedenfalls wird Chinchilla die erste schwere Schlappe seines Lebens hinnehmen müssen. Er wird es noch bitter bereuen, mich herausgefordert zu haben, denn ich werde es zu verhindern wissen, dass Davis Präsident wird, so wahr ich James Winston heiße!“
„Und die CIA wird Sie dabei tatkräftig unterstützen“, erklärte der Agent.
Winston schüttelte den Kopf:
„Nein. Lieber nicht. Wenn nämlich rauskommt, dass ich von der CIA damit beauftragt wurde, die Wahl von Charlton Davis zu verhindern, dann haben wir einen Politskandal von Watergate-Dimensionen am Hals und Chinchilla hat sein Ziel erreicht.“
„Da haben Sie recht. Aber Geld werden Sie vermutlich doch von uns brauchen, oder?“
„Das ist richtig. Ich werde sogar eine ganze Menge Geld brauchen. Ich schätze, so an die zwei Millionen Dollar.“
„Wenn’s weiter nichts ist, kein Problem. Wir überweisen Ihnen das Geld gleich morgen auf Ihr Konto.“
„Idiot! Und wenn der Bankbeamte, der die Überweisung tätigt, für Chinchilla arbeitet? Oder wenn der Kerl irgendeiner Zeitung was verrät? Was dann?“
„Keine Gefahr. Als Einzahlenden werden wir nämlich einen gewissen Cecil Isaac Adams angeben.“
„Und wieso sollte mir ein gewisser Cecil Isaac Adams zwei Millionen Dollar überweisen? Nein, entschuldigen Sie, aber das ist mir alles viel zu idiotisch.“
„Na, dann machen Sie doch einen besseren Vorschlag“, brummte der Agent ärgerlich.
„Die CIA hat doch bestimmt Verbindungen zu einer großen Versicherung, oder?“
„Uns gehört sogar eine!“, erklärte der Agent. „Zufällig ist es sogar die gleiche, für die ich angeblich arbeite.“
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